Iserlohn. Top-Ökonom Michael Hüther rechnet vor, dass bis 2030 Milliarden Arbeitsstunden fehlen - und wie viel pro Woche mehr gearbeitet werden müsste.

Die Diskussion über eine Vier-Tage-Arbeitswoche nimmt Fahrt auf. Einer der gefragtesten Ökonomen in Deutschland, Michael Hüther, Chef des unternehmernahen Instituts für Wirtschaft (IW) in Köln, mischt sich ein: „Wir müssen über Arbeitszeiten reden.“ Aus Hüthers Sicht allerdings über eine Ausweitung der Wochenarbeitszeit um zwei Stunden. Warum, das rechnet der Volkswirt am Donnerstagabend bei der Verbandsversammlung des Märkischen Arbeitgeberverbandes in Iserlohn vor.

Die demografische Entwicklung und der damit verbundene Fach- und Arbeitskräftemangel sorgten bis 2030 dafür, dass der deutschen Wirtschaft „4,2 Milliarden Arbeitsstunden verloren gehen werden“. Die von Hüther geforderten zusätzlichen zwei Stunden bei der Wochenarbeitszeit würden nach seiner Rechnung genau die Stunden ausgleichen, die zum Ende des Jahrzehnts fehlten. Zuviel verlangt sei dies nicht. In Schweden liege die Wochenarbeitszeit im Schnitt um eine Stunde höher als für deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In der Schweiz sogar exakt die zwei Stunden, die der Ökonom als drohende Lücke ausgemacht haben will. „Wenn alle nur noch zu Dreivierteln arbeiten wollen, geht es nicht auf.“

Doch die Debatte lässt sich kaum allein mit kühler Berechnung beenden. „Wenn man heute ein attraktiver Arbeitgeber sein will, muss man flexibel sein“, bemerkt NRW-Arbeitgeberpräsident Arndt G. Kirchhoff. Allerdings, warnt Kirchhoff, dürfe sich in puncto Arbeitszeiten keine Zwei- oder gar Dreiklassengesellschaft ausbilden – und die Wirtschaftlichkeit am Standort Deutschland nicht weiter leiden.

Viessmann-Verkauf in die USA kein Problem

Daran arbeite nach Ansicht des Ökonomen Hüther die Regierung in Berlin im Übermaß. Der IW-Chefvolkswirt spricht von einer „Politisierung des Ökonomischen“ als zunehmendes Risiko.

Bundesminister Robert Habeck hält er offenbar mindestens für schlecht beraten von den zahlreichen verbeamteten Experten in seinem Haus. Ob sie es nicht besser wissen, oder wie in so manchem Ministerium ein Eigenleben führen, gleich wer gerade Ministerin oder Minister ist, wäre vielleicht zu vernachlässigen – wenn es nach Hüthers Meinung nicht eine Zeitenwende in der Wirtschaft gäbe. Eine Wende nach drei Jahrzehnten „ungestörter Globalisierung“, in der sich die Wirtschaft weltweit eng und enger vernetzt hat. Jetzt sei „das politische Risiko zurück“, beschreibt Hüther zunehmende Eingriffe und Vorgaben aus Berlin und Brüssel, die Einfluss auf das nähmen, was Unternehmer entscheiden müssten. Beispielsweise, wann in welchem Tempo welche Veränderungen im Unternehmen durchgeführt werden, um die Klimaziele bis 2045 zu erreichen und finanzieren zu können.

Mit Blick auf Habeck fällt sofort das hitzig diskutierte „Heizungsgesetz“ und mehr ein. Dabei stört den Ökonomen der jüngst aufgeregt in diesen Zusammenhang genannte Fall Viessmann kaum. Der Verkauf weiter Teile des renommierten Heizungsbauers aus dem nordhessischen Allendorf/Eder an einen US-Konzern ist aus Hüthers Sicht kein großes Problem. Wer die Wärmepumpe als Hochtechnologie bezeichnet, verbreitet aus seiner Sicht vermutlich heiße Luft. Solche Geräte seien nicht das wesentliche Differenzierungsmerkmal, das die deutsche Wirtschaft brauche, um im globalen Wettbewerb zu bestehen, spricht Hüther: „Das sind simple Klimageräte. Die werden in großer Stückzahl in China hergestellt. Warum sollen die den Markt hier bei uns nicht mitbedienen?“

Industriestrompreis für Europa gefordert

Anders sehe es bei der Grundstoffindustrie und damit bei energieintensiven Betrieben aus. „Diese Betriebe sind überproportional wichtig für unsere Wirtschaftsleistung“. Derzeit steht in Deutschland eine Deckelung bei sechs Eurocent pro Kilowattstunde im Raum. Für 80 Prozent des Strombedarfs.

Unternehmerpräsident Kirchhoff hält dies allenfalls für die zweitbeste Lösung. „Wir brauchen einen verlässlichen Industriestrompreis auf europäischer Ebene. Nur wenn das nicht klappt, sollten wir einen nationalen Industriestrompreis einführen.“ Dass es eine Entlastung deutscher Unternehmen bei den Energiekosten brauche, um wettbewerbsfähig zu bleiben, steht nicht nur für Hüther und Kirchhoff außer Frage. Die Energiepreise sind nicht das einzige, aber das offensichtlichste Ausschlusskriterium für Investitionen in Deutschland.