Attendorn. Arndt G. Kirchhoff, Präsident von Unternehmer NRW, bescheinigt der Bundesregierung ein gutes erstes Jahr, aber Fehler bei den Energiepreisbremsen.
Zwei Jahre Pandemie haben die Gesellschaft durcheinandergewirbelt. Die Hoffnung auf ein normaleres Jahr 2022 ist am 24. Februar schlagartig zerplatzt. Deutschland befindet sich beinahe drei Jahre im Krisenmodus. Der Attendorner Arndt G. Kirchhoff, Präsident von Unternehmer NRW, im Gespräch über die Situation am Ende eines schwierigen Jahres mit neuer Bundesregierung.
Vor einem Jahr haben Sie der neuen Bundesregierung einen stilvollen guten Start bescheinigt. Keine 100 Tage nach diesem Start herrschte Krieg in Europa. Hat uns die „Ampel“ gut durch das Jahr gebracht?
Es war auch für die Politik ein schweres Jahr. Denn im Februar kam der Krieg. Waren wir in der Wirtschaft zunächst durchaus optimistisch, dass das erste Halbjahr 2022 wieder ein bisschen besser werden könnte, wurden die Zeiten danach noch unübersichtlicher und schwieriger. Die Bundesregierung hat schnell die Ärmel hochgekrempelt und mit viel Geld versucht, Krisenmanagement zu betreiben. Dazu gehören die Entlastungspakete und auch der schnelle Bau von Flüssiggas-Terminals.
Stimmt. Seit der Corona-Pandemie werden mit Wumms die Staatskassen geleert. Vielen Menschen macht dies Angst. Wie lange kann das noch gut gehen?
Das ist ein berechtigtes Gefühl. Wir müssen tatsächlich auf zwei Dinge aufpassen. Erstens die Industrie erhalten, denn da kommt ein Großteil des Geldes für die Staatskasse her. Das Zweite: Wir müssen die Soziallasten begrenzen. Ich finde deshalb den Hinweis des Kanzlers nicht verkehrt, diejenigen, die wollen, auch länger arbeiten zu lassen. Und die Ampel hat zu Recht auch ein Belastungsmoratorium für die Wirtschaft angekündigt.
Also sind die Milliarden gut angelegt und die Ampel-Entscheidungen bis hierhin der richtige Weg?
Vieles ist richtiggemacht worden. Insbesondere den Grünen dürften einige Entscheidungen schwergefallen sein, da sie eigentlich nicht zu ihrem Grundsatzprogramm passen. Ich denke da an die Verlängerung der Laufzeiten für Atom- und Kohlekraftwerke. Da muss man auch anerkennen, dass sie hier über ihren Schatten gesprungen sind.
Nichts zu beanstanden nach einem Jahr „Ampel“?
Wir haben natürlich offene Fragen. Erheblicher Korrekturbedarf besteht bei den Energiepreisbremsen für die Unternehmen. Das eigentlich gut gedachte Instrument geht jedenfalls mit seinen jetzigen Bedingungen insbesondere an vielen Betrieben des energieintensiven Mittelstands vorbei. Wir erhalten da teilweise alarmierende Rückmeldungen aus den Unternehmen. Bleibt das so, dann kommen die Entlastungen bei vielen Unternehmen entweder zu spät oder in erheblichem Umfang gar nicht an. Vielerorts ist dann keine kostendeckende Produktion mehr möglich. An dieses Thema muss die Politik noch mal ran – und zwar schnell.
Ist das Energiethema im Moment unser größtes Problem?
Ich glaube ja, sowohl für jedes Unternehmen als auch die Energieversorger selbst, wenn wir an Uniper denken, und nicht zuletzt für die Bürger. Es ist für alle im Augenblick eine absolute Mondfahrt.
Das bedeutet?
Beschleunigt die Erneuerbaren Energien ausbauen. Und wir müssen das Energie-Angebot insgesamt so schnell so groß wie möglich machen. Wenn nötig, bin ich der Meinung, dann müssen auch die Atomkraftwerke länger laufen. Ich bin dafür, in dieser Notlage alle verfügbaren Reservekapazitäten auszuschöpfen. Dann hätten wir eine Chance, den Preis nach unten zu drücken.
Aber erst einmal bleibt es teuer.
Deshalb ist es richtig, dass der Staat viel Geld zur Verfügung stellt, um dem Rentner, dem Studenten, der Familie oder auch den Unternehmen zu helfen, wenn die feststellen, es reicht nicht. Mit der Landesregierung in NRW haben wir für solche Fälle verabredet, dass sich Unternehmen sofort melden und pragmatisch eine Lösung gesucht wird. Das haben wir übrigens mit der IG Metall bei den Tarifverhandlungen genauso ausgemacht.
Was ist da genau verabredet?
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wird nicht müde zu betonen, dass die Energiepreise mittelfristig auf höherem Niveau bleiben werden als bisher und nennt das „New Normal“. Die Preise für Energie waren aber bereits vor der Krise im Vergleich zum Ausland recht hoch. Was bedeutet dieses „New Normal“ also für den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass die Preise auf jeden Fall höher sein müssen. Wenn wir nicht dafür sorgen, dass die Energiekosten international wettbewerbsfähig sind, ist doch klar was passiert. Die nächsten Investitionen finden erst einmal gar nicht und dann woanders statt. In den vergangenen zehn Jahren habe ich hier keine Investitionen in neue energieintensive Betriebe gesehen. Keine neuen Stahlwerke, Papierfabriken oder Chemiebetriebe. Wenn der Preis nicht wieder auf ein konkurrenzfähigeres Niveau zurückkommt, findet hier weniger statt. Und das wird auf Dauer Industriearbeitsplätze kosten.
Also droht eine Deindustrialisierung?
Sie droht dann, wenn unsere Industrie am Standort Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren kann. Und das wird auch Folgen für die Finanzierung unseres Sozialstaats haben, weil dann dem Staat die Einnahmen fehlen werden. Noch einmal: Es hängt ganz maßgeblich am Preis für Energie. Das bedeutet, je schneller wir mit dem Ausbau der Erneuerbaren sind, desto besser. Auch Wasserstoff aus Namibia ist eine prima Idee. Sie muss nur gemacht werden.
Was ist mit Fracking?
Ich teile jene Stimmen aus der Politik, die das prüfen wollen. Es muss allerdings schnell gehen, sonst nutzt es nichts. CCS ist auch ein Thema, also das Verpressen von Kohlendioxid unter der Erde.
Reicht das Tempo aus?
Wir sind bei allem noch weit zurück. Beim Wind, beim Stromnetz, bei der Digitalisierung. Das Stromnetz nützt uns aber nur etwas, wenn es auch smart ist. Jetzt ist die Frage, schaffen wir es, die nötigen Beschleunigungsgesetze auf den Weg zu bringen oder nicht? Bürgerbeteiligung und Umweltverträglichkeitsprüfungen müssen sein – aber bitte nicht mehr in Dauerschleifen.
Also ein Bundesgesetz, das jegliche Infrastrukturmaßnahme erleichtert und beschleunigt?
Ja. Das gilt auch für die Straßen, wie sollen wir etwa die Windräder für unsere Energiewende sonst eigentlich transportieren? Wir kennen doch Südwestfalen. Wie alt ist die Diskussion darum, Schwerlaststrecken auszuweisen, damit die Maschinenbauer aus dem Siegerland ihre Produkte in die Welt bekommen? Bei allem Lob für manches Regierungshandeln in der Krise: Wenn wir die Klimaziele bis 2030 einhalten wollen, muss 2023 das Jahr der Umsetzung werden.