Attendorn. NRW-Unternehmerpräsident Arndt Kirchhoff lobt Stil und Steuerpolitik der neuen Bundesregierung. Die Erhöhung des Mindestlohns hält er für falsch.

Knapp zwei Jahre Corona-Pandemie haben Wirtschaft und Gesellschaft arg strapaziert. Die neue Bundesregierung hat sich Veränderung auf die Fahne geschrieben und insbesondere bei der Energiewende ambitionierte Ziele gesetzt. Im Gespräch mit dieser Zeitung blickt Arndt Kirchhoff, Sauerländer Unternehmer (Kirchhoff-Gruppe Iserlohn) und NRW-Unternehmerpräsident, durchaus optimistisch auf 2022.

Herr Kirchhoff, haben wir eine gute neue Bundesregierung?

Arndt Kirchhoff: Der Start war ordentlich. Mit SPD, FDP und Grünen haben wir nicht nur eine andere politische Mischung, sondern auch ein anderes Vorgehen.

Viel ist noch nicht passiert, oder?

Aber der Stil der Regierungsbildung hat mir gut gefallen. Lautlos, ohne viele Talkshowauftritte und ohne Schaulaufen auf irgendeinem Balkon. Das war gut. Deutschland ist ja sonst schon aufgeregt genug.

Sind Sie denn auch zufrieden mit dem Koalitionsvertrag?

In weiten Teilen ja. Die neue Bundesregierung um Kanzler Olaf Scholz hat erkannt, dass wir ein höheres Tempo anschlagen müssen, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen – was wir alle wollen. Und, das finde ich auch bemerkenswert, bei den Verhandlungen ist niemand an der Nase herumgeführt worden.

Inhaltlich kann die Wirtschaft mit dem Verhandlungsergebnis also leben?

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Es ist gut, dass es keine erkennbaren neuen steuerlichen Belastungen für Unternehmen gibt. Hier sehe ich im Koalitionsvertrag sogar Verbesserungen etwa bei Abschreibungsmöglichkeiten oder dem Verlustvortrag. Da ist insbesondere die Handschrift von Gelb (FDP) und teilweise auch von Grün zu erkennen. Allen muss aber auch klar sein, dass wir durch Corona und die Rezession zwei Jahre Wachstum für notwendige Investitionen verloren haben. Bei der Beschäftigung haben gute Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld und staatliche Überbrückungshilfen viel abgefedert. Sozialpolitisch halte ich die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro ebenso für falsch wie das erneute Ausbleiben von Reformen in der Rentenversicherung. Das kann uns angesichts der demografischen Entwicklung noch vor die Füße fallen.

Zwei verlorene Jahre durch Corona, dazu ein Milliarden-Fluthilfepaket und die Notwendigkeit, hunderte Milliarden Euro in die Erreichung der Klimaziele investieren zu müssen – droht Deutschland eine Überschuldung oder schaffen wir das?

Im Moment schaffen wir das. Ich kann in dieser außerordentlich schwierigen Lage nachvollziehen, dass Finanzminister Lindner (FDP) nicht verausgabte Corona-Milliarden im Haushalt umschichtet. Denn es ist doch klar, dass wir das wesentliche Geld für die Erreichung der Klimaziele in den Jahren bis 2030, also jetzt, investieren müssen!

Was muss die neue Bundesregierung zuerst anpacken?

Das Planungs- und Genehmigungsrecht muss schnell geändert werden. Heute kann jeder von uns eine Bürgerinitiative gründen und jedes Projekt in Deutschland durch immer neue Einwände erheblich verzögern. Mit diesen Endlosschleifen muss jetzt Schluss sein. Und wir müssen viel mehr parallel planen, um die Umsetzung von Vorhaben zu beschleunigen. Das gilt für den Stromnetzausbau genauso wie beispielsweise für den Brückenneubau an der A45.

Die Ziele in Deutschland und in Europa sind benannt. Kohleausstieg in Deutschland 2030; Klimaneutralität 2045. In Europa bis 2030 eine CO2-Reduktion um 55 Prozent gegenüber 1990 (Fit for 55). Was bedeutet das für den Standort Deutschland bzw. Europa?

Vom Ende her gedacht: Wenn uns die Umsetzung gelingt, sind wir ein Vorbild, das überall auf der Erde Nachahmer finden wird. „55“ ist viel, und noch haben wir bei vielem zu wenig: Es fehlen hunderte Kilometer Netzausbau, nicht nur beim Übertragungsnetz, sondern auch von Haus zu Haus. Und das Netz muss smart werden. Das bedeutet, wir müssen gleichzeitig mit hohem Tempo die Digitalisierung vorantreiben. Beispiele hierfür sind Mobilität und Ladeinfrastruktur, wenn Elektroautos auch als Speicher genutzt werden sollen. Wir sind bei vielen Themen noch weit zurück. Und was wir nicht vergessen dürfen: Existenziell für Deutschland sind wettbewerbsfähige Energiepreise und eine jederzeit sichere Stromversorgung bei jedem Wetter. Wenn das nicht gewährleistet ist, gelingt die Energiewende nicht. Wir müssen bei allen Themen gleichzeitig das Tempo hochfahren, und zwar in ganz Europa. Für Länder wie Deutschland, Frankreich oder die Niederlande bin ich optimistisch, aber in Südeuropa klappt das bisher noch nicht.

Brauchen wir Nord Stream2 im kommenden Jahr?

Ob Nord Stream2 kommendes Jahr ans Netz gehen wird, ist zuletzt immer mehr zu einer politischen Frage geworden. Sowohl Befürworter als auch Gegner haben nachvollziehbare Argumente. Deutschland ist auf Dauer auf Gasimporte in großem Umfang angewiesen. Die Liefersicherheit spräche also für Nord Stream2.

Was wünschen Sie sich für 2022?

An erster Stelle wünsche ich uns allen, dass die Pandemie ein Ende findet. Für die Wirtschaft wünsche ich mir natürlich, dass sich die Lieferketten wieder stabilisieren. Die Auftragsbücher in der Industrie und im Handwerk sind zwar voll, aber es fehlt uns für die Produktion an Material – und wenn es kommt, dann oft zu Mondpreisen. Bei beiden Themen müssen wir unbedingt wieder in normales Fahrwasser kommen. Wir alle sind mittlerweile schließlich schon arg strapaziert.

Zufrieden mit der NRW-Landesregierung

Am 15 Mai 2022 ist Wahltag in Nordrhein-Westfalen. Fünf Jahre hatte die CDU/FDP-Regierung dann unter Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und seit dem 27. Oktober mit seinem Amtsnachfolger Hendrik Wüst (CDU) Zeit, es – wie angekündigt – besser zu machen als SPD und Grüne unter Hannelore Kraft (SPD in sieben Jahren zuvor. NRW-Unternehmerpräsident Arndt Kirchhoff hatte vor fünf Jahren mehrfach kritisiert, dass NRW in vielen Bereichen Schlusslicht sei.

Wie zufrieden ist die Wirtschaft denn mit dem Erreichten unter der Regierung Armin Laschet?

Arndt Kirchhoff: Es bewegt sich sehr viel in die richtige Richtung, aber auch in NRW haben zuletzt die zwei Corona-Jahre gebremst. Die Entfesselungspakete waren richtig, der Landesentwicklungsplan ist deutlich investitionsfreundlicher als vorher und der gröbste bürokratische Unsinn beim Tariftreue- und Vergabegesetz ist weg. Und in seiner Zeit als Verkehrsminister hat Hendrik Wüst entschlossen an der Erneuerung der Straßeninfrastruktur gearbeitet. Ich halte es für absolut richtig, dass jetzt auch nachts und an Wochenenden an Baustellen gearbeitet wird, selbst wenn dies teurer ist als vorher. Schnell und dazu unbürokratisch muss jetzt auch bei der A45 gehandelt werden, schließlich war und ist da eine Brücke und es muss auch wieder schleunigst eine neue dorthin.

Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien ist NRW insbesondere bei der Windkraft in den vergangenen vier Jahren nicht sonderlich weit gekommen.

Ich finde den Ansatz, Windkraft auf geschädigten Waldflächen zuzulassen, gar nicht so schlecht. Klar ist: Wir brauchen einen massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien, auch wenn dies in NRW schwieriger ist als anderswo.

Zur Energiewende und der angestrebten Dekarbonisierung gehört auch der Ausbau des Wasserstoff-Pipelinenetzes zur Versorgung der Stahlhersteller, der Chemieindustrie und der mittelständischen Zulieferindustrie. Da ist NRW auf einem guten Weg, auch in Südwestfalen wird das Netz ertüchtigt.

Zur Person Arndt Günter Kirchhoff

Arndt Günter Kirchhoff ist gebürtiger Essener und lebt in Attendorn. Der 66-Jährige ist Beiratsvorsitzender der Kirchhoff Gruppe, eines familiengeführten Automobilzulieferers mit Sitz in Iserlohn und Attendorn.Kirchhoff ist seit 2016 Präsident von Unternehmer NRW, der Landesvereinigung der Unternehmensverbände. Seit 2013 ist er u. a. Vizepräsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) und Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW).