Düsseldorf. Eine Gratwanderung zwischen Entlastung der Beschäftigten und Überlastung der Betriebe steht ab Montag in der Metall- und Elektrobranche an.
In der kommenden Woche starten die Tarifverhandlungen in der deutschen Schlüsselbranche Metall und Elektro. Am Montag in Niedersachsen, ab Freitag dann in NRW: „Ich glaube, es ist noch nie so schwierig gewesen wie jetzt“, sagt Arndt Kirchhoff, Präsident des Arbeitgeberverbandes Metall NRW mit Blick auf die kommende Tarifauseinandersetzung, aber auch auf die insgesamt höchst volatile Wirtschaftslage.
Acht Prozent mehr Lohn und Gehalt hatte die Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) für ihre Mitglieder in der Metall- und Elektrobranche bereits vor der Sommerpause aufgerufen. Wenige Tage nach einem satten Abschluss für die Beschäftigten in der Stahlindustrie, in der in NRW immerhin knapp 70.000 Menschen arbeiten. Zur Erinnerung: Sie bekommen seit August 6,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt, dazu eine Einmalzahlung. Ein Paket, das die Reallohnverluste in inflationären Zeiten einigermaßen in Grenzen hält.
Viele Stahlunternehmen hatten 2021 und bis ins laufende Jahr hinein eine Art Sonderkonjunktur erlebt, die Konzerne unmittelbar vor Start der Stahltarifverhandlungen sogar zu Gewinnwarnungen zwang. Das war im Frühjahr. Zu einem Zeitpunkt, als sich die Rahmenbedingungen durch extrem steigende Energiepreise bereits tagtäglich verschlechterten.
Acht Prozent zwischen notwendig und utopisch
Der Unterschied zu heute: Die Energiepreisspirale hat sich weiter in die Höhe geschraubt, das Preisniveau hat für viele bedrohliche Ausmaße angenommen und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Bedrohung betrifft Unternehmen wie Beschäftigte gleichermaßen. „Jeder einzelne Beschäftigte ist ebenso wie die Unternehmen schon stark belastet“, anerkennt Kirchhoff. „Die Verantwortung der Sozialpartner ist noch einmal größer geworden.“ Der Präsident und Sauerländer Unternehmer (Kirchhoff Gruppe) wiederholte in dieser Woche, was er bereits Ende Juni erklärte, als die Gewerkschaft die Forderung erstmals in den Raum stellte. „Die acht Prozent sind absolut unverträglich für viele Betriebe und sie sind absolut unrealistisch.“
Würde die Gewerkschaft zum jetzigen Zeitpunkt nicht das genaue Gegenteil behaupten, hätte sie die Forderung erst gar nicht erheben dürfen. „Bei den stark steigenden Preisen etwa für Energie und Lebensmittel sind acht Prozent mehr Geld die richtige Forderung. Wichtig ist uns auch, eine soziale Komponente für Menschen mit niedrigen Einkommen zu erreichen. Dabei kann die abgabenfreie Zahlung bis zu 3000 Euro eine Rolle spielen. Da die Energiepreise für längere Zeit hoch bleiben werden, braucht es aber auch eine dauerhafte Erhöhung der Entgelte“, positioniert sich der NRW-Bezirksleiter der IG Metall, Knut Giesler.
Energiepreisspirale: plus 248 Prozent
Er wird am Freitag kommender Woche als Verhandlungsführer Arndt Kirchhoff gegenübersitzen. Die erste Verhandlungsrunde in NRW findet im Stadion auf Schalke statt, einer Giesler wie Kirchhoff vertrauten Atmosphäre. Beide sind bekennende Fans des Revierclubs. Viel zu gewinnen gibt es für beide Seiten dieses Mal nicht. Für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer eine gerechte und verträgliche Lösung zu finden, wird eine Gratwanderung und ein Spiel auf Zeit werden. Am 28. Oktober endet die Friedenspflicht, erst dann sind Streiks denkbar. Vor November dürfte nicht mit einem Ergebnis zu rechnen sein.
Bis dahin könnte der Blick auf den kommenden Winter und das zentrale Thema Energieversorgung sich geschärft haben. Arbeitgeberpräsident Kirchhoff spricht von einer enormen Spreizung unter den gut 2000 Unternehmen im Verband, von denen rund die Hälfte im Tarif ist. Darunter Firmen, die bislang sehr gute Geschäfte gemacht hätten und jene, die bereits Existenzsorgen plagen. Die Energiepreise seien von Juli 2021 bis Juli 2022 um durchschnittlich 143 Prozent gestiegen. Im Vergleichszeitraum 2019 zu 2022 seien es sogar 248 Prozent. Wer kurzfristig auslaufende Versorgungsverträge hat, für den lohnt sich mitunter das Produzieren nicht mehr. Die „Kernfrage, was können wir uns leisten“ (Kirchhoff) lässt sich also in der Fläche nicht eindeutig beantworten. Klar sei, dass „alles was zur Energieerzeugung laufen kann, auch laufen sollte, ausgenommen Gaskraftwerke zur Verstromung“, erklärt Kirchhoff mit Blick auf die Streckbetriebe der drei noch laufenden Atommeiler und den Missstand, dass die Gaskraftwerke seit Monaten die Strompreise aufgrund des überteuerten Gases und des Merit-Order-Mechanismus in die Höhe treiben.
3000 Euro abgabenfrei eine Option auf Schalke
Eigentlich sind die Sozialpartner, Gewerkschaften wie Arbeitgeber, allergisch, wenn Politik sich in Tarifangelegenheiten einmischt. Die Erhöhung des Mindestlohns ist hier das jüngste Beispiel. Der Vorschlag im Entlastungspaket III, Firmen könnten ihren Beschäftigten bis zu 3000 Euro steuer- und abgabenfrei zukommen lassen, findet aber hier wie dort Anklang. Gut möglich, dass diese Vorlage der Bundesregierung schnell ins Spiel kommt, wenn Giesler und Kirchhoff auf Schalke die Verhandlungen am 16. September erst einmal angestoßen haben.