Arnsberg. Die Herbstumfragen der IHK Arnsberg und Siegen belegen einen Absturz der südwestfälischen Wirtschaft. Wird Gas knapp, wird es wohl ganz schlimm.

Die Nervosität in südwestfälischen Unternehmen steigt analog zur Inflation und zur Energie(preis)krise. Das hat eine Menge damit zu tun, dass der 200-Milliarden-Euro schwere Abwehrschirm des Bundes noch nicht aufgespannt ist. Andreas Rother, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Arnsberg, spricht am Montag von einer Art Kettenreaktion, in deren Folge die Stadtwerke als Energieversorger ihre preisgetriebenen Liquiditätsengpässe auf die heimische Wirtschaft verlagerten. Rothers Forderung: „Der Staat muss das abpuffern!“ Und zwar umgehend. Eine Forderung, die auch der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) schon in Richtung Bund gestellt hatte, um die Liquidität der Stadtwerke zu gewährleisten – bereits vor zwei Wochen.

IHK will offen über Atomkraft und Fracking diskutieren

Bei der Frage der Versorgungssicherheit mit Energie drängt Kammerpräsident Rother zudem auf absolute Technologieoffenheit. Weder Atomkraft noch Gas-Fracking in Deutschland dürften demnach Tabuthemen sein. „Wenn wir uns nicht deindustrialisieren wollen, brauchen wir Antworten“, fordert Rother mit Blick auf fehlendes, billiges Russlandgas bei gleichzeitig mangelhafter Infrastruktur zur Nutzung Erneuerbarer Energien.

Alles, was in der aktuellen Hochrisikosituation hilft, sollte demnach zumindest abgewogen werden, schließlich ist die Wirtschaft seit dem Frühjahr enorm ins Trudeln geraten. Lage und Aussichten der Betriebe in Südwestfalen sind so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Das zeigen die aktuellen Konjunkturumfragen, deren Ergebnisse die Kammern in Siegen und Arnsberg am Montag erläuterten. Der düstere Trend zeichnet sich auch im Gebiet der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer Hagen ab, wie Fabian Schleithoff dieser Zeitung bestätigt. Südwestfalen, Deutschlands drittstärkste Industrieregion, wackelt mächtig.

„Nur noch 20 Prozent der Industrieunternehmen bezeichnen ihre Lage als gut. Halb so viel wie im Frühjahr“, nennt Schleithoff einen starken Indikator für den Abwärtstrend, der sich von der Soester Börde bis ins Sieger- und Sauerland sowie das östliche Ruhrgebiet gleichermaßen zieht – und zwar über alle Branchen, wie die Kammern gleichermaßen feststellen müssen.

In der Baubranche gehen nahezu 90 Prozent der befragten Unternehmen im Kammerbezirk Arnsberg davon aus, dass sich die Geschäftslage verschlechtert. In der Industrie sind es mehr als 58 Prozent. Der bei Befragungen abgeleitete Klimaindex liegt in Arnsberg im Schnitt bei unterirdischen 66 Punkten und damit noch einmal drei Punkte niedriger als beim bisherigen Allzeittief im Jahr 2020, als die Coronapandemie begann. Im Bezirk der IHK Siegen ist der Index mit 68 Punkten ähnlich niedrig.

Standortverlagerungen und Stillstände angekündigt

Die Kammer in Hagen veröffentlicht in der kommenden Woche die Ergebnisse ihrer Befragung. „Ich gehe davon aus, dass sich ganz Südwestfalen ähnlich entwickelt“, prognostiziert Fabian Schleithoff von der SIHK. Neben der Frage nach der Energie-Versorgungssicherheit zeichne sich immer mehr Dramatik bei der Fachkräftesicherung ab. Im Raum Hagen und dem Märkischen Kreis wirkt sich zunehmend die Sperrung der Autobahn 45 bei Lüdenscheid aus. Viele Firmen könnten langfristig ihre Stellen nicht mehr besetzen. Das durch das tagtägliche Verkehrschaos entstandene Negativimage ließe Stellenbewerber immer häufiger abwinken.

Die Ergebnisse der Befragungen in Arnsberg und Siegen offenbaren, dass aufgrund der nachteiligen Wettbewerbssituation ohnehin immer mehr Unternehmen die Standortfrage stellen. „Mancher Unternehmer liebäugelt mit Frankreich, wo der Strom lange nur 4,5 Eurocent gekostet hat“, sagt Kammerpräsident Rother. In Nordamerika liege er, nebenbei bemerkt, bei 2,5 Cent pro Kilowattstunde.

Rund zwölf Prozent der befragten Unternehmen erwägen demnach ernsthaft eine Standortverlagerung ins Ausland. Ernsthaft? Es ist eine Drohgebärde von Unternehmern, wie man sie in der jüngeren Vergangenheit häufiger vernahm, wenn es um die Forderung von Bürokratieabbau, vermeintlich hohe Arbeitskosten und wettbewerbsnachteilige Energiepreise ging. Tatsächlich war eine Standortverlagerung insbesondere für den familiengeführten Mittelstand lange kaum denkbar und sicher nicht von heute auf morgen umsetzbar. Die aktuelle Situation ohne absehbare Verbesserungen der Rahmenbedingungen, könnte nun aber dazu zwingen.

Aktuell sind die Preise für Gas und Strom das eine. Das andere ist Frage der Versorgungssicherheit. Kommt es zu einer Gasmangellage, rechnet Rother mit einer Pleitewelle und massiven Entlassungen. Noch weiß niemand, wie kalt der Winter wird und wie viel Gas und Strom zur Verfügung stehen könnte. Wird Gas rationiert, wird es düster. Ab einer Drosselung von 25 Prozent kündigt rund ein Drittel der Betriebe an, die Produktion einzustellen.