Arnsberg. Topökonom Clemens Fuest ist überzeugt: Der 200 Milliarden-Euro Abwehrschirm hilft nur den Gasanbietern. Was die Regierung gerade falsch macht.
Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Institutes, sieht in dem am Donnerstag mit Doppel-Wumms verkündeten 200 Milliarden-Euro-Paket der Bundesregierung offenbar nicht mehr als ein hastig unters Volk geworfenes Beruhigungsmittel, vor dessen Risiken und Nebenwirkungen der renommierte Ökonom noch am Abend desselben Tages bei einem Vortrag in Arnsberg warnte: „Was im Moment von der Bundesregierung geboten wird, ist wirklich nicht hinreichend.“
Eine Wumms-Watschen, die gesessen hat und die Unternehmerinnen und Unternehmer im Saal der Industrie- und Handelskammer Hellweg-Sauerland wenige Stunden nach Verkündung des Milliarden-Abwehrschirms mit ihren Sorgen vor Höchstpreisen bei Strom und Gas schnell wieder im Regen stehen ließ.
Massive Kritik auch an der „Muss-weg-Opposition“
Fuest, Mitglied der Expertenkommission der Bundesregierung, die erst noch die Details festlegen soll, wie denn der Abwehrschirm aufzuspannen sein wird, ist merklich verärgert über das Regierungshandeln: „Ich hätte es besser gefunden, die Kommission erst einmal arbeiten zu lassen.“
Die Regierung scheint selbst verunsichert und getrieben von der vielleicht noch größeren Verunsicherung in der Gesellschaft mit Blick auf den kommenden Winter – und von einer „Muss-weg“-Opposition, der Fuest allerdings ebenfalls kein gutes Zeugnis ausstellt: „Die Opposition hat null Antwort darauf, wie die Signale richtig ankommen.“ Und auf richtige Signale komme es gerade mehr denn je an, unterstreicht der Ifo-Chef. Die müssten folgendermaßen aussehen: Vor allem die Nachfrage senken, die Stand heute bei privaten Verbrauchern trotz aller Appelle bereits um zwanzig Prozent höher liegen soll als im Vorjahreszeitraum. Zweitens: das Angebot kurzfristig ausweiten, und zwar um alles, was geht. Das Angebot an Strom und auch Gas zu erhöhen, müsse im Zentrum aller Bemühungen stehen. Hier einmal Lob für die Bundesregierung, für die schnelle Umsetzung beim Thema LNG-Terminals. Dass Deutschland, ausgenommen Russland, momentan Gas quasi von überall her noch über Markthöchstpreisen einkauft, steht auf einem anderen Blatt. Diese Rechnung wird später präsentiert werden. Momentan geht es eben darum, den Laden am Laufen zu halten.
Fuest: „Es ist verrückt, die Atomkraftwerke abzustellen“
Das bedeutet aus Fuest Sicht auch: Sofort mehr Kohlekraftwerke (KKW) ans Netz, sicher auch die Hürden für Spartenenergieerzeugung wie Biogas senken, in jedem Fall alle drei noch laufenden Atomkraftwerke am Netz lassen, so lange es geht. Sicher, erkennt Fuest an, sei es schwierig für einen grünen Minister, „aber es ist komplett verrückt, die Atomkraftwerke abzustellen.“ Habecks Aussage, wir hätten kein Stromproblem, sei inakzeptabel. Auf keinen Fall dürfe in das Strommarktdesign eingegriffen werden. Beim Merit-Order-Prinzip richtet sich der Strompreis zwar nach der teuersten Erzeugung, das bedeute aber, dass mehr Kraftwerke ans Netz müssten, die billiger als die Gaskraftwerke (GUD) produzieren, eben AKW und vor allem KKW. Nach Fuests Einschätzung müssten Gaskraftwerke zur Stromerzeugung nicht länger genutzt werden, wenn konsequent mehr Kohlekraftwerke wieder ans Netz gingen und die AKW vorerst weiterliefen. Dann wäre die Stromerzeugung in GUD passé, würde der Strompreis wieder sinken und noch dazu Gas gespart.
Gasumlage aus Sicht des Topökonoms bessere Maßnahme
Die nun in den Raum gestellte Summe von 200 Milliarden Euro zu nehmen, um die Preise für die Verbraucher zu dämpfen, sei insofern das falsche Signal, weil sie keinerlei preissenkende Wirkung hätte. Im Gegenteil. „Wir könnten das Geld gleich Norwegen oder Russland überweisen, dann spart man wenigsten administrativen Aufwand“, so Fuest. Ähnlich falsch wie der Tankrabatt wäre dies.
Die zur Verfügung stehende Gasmenge, so viel ist recht einfach nachvollziehbar, erhöht sich durch die Milliarden nicht um einen Kubikmeter. Ein staatlicher Gaspreisdeckel sorgt also nicht dafür, dass die Unternehmen und Haushalte den notwendigen Sparanreiz erhalten. Auch die Erleichterung auf Unternehmerseite scheint verfrüht.
„Das Geld sollte den Menschen lieber gegeben werden, damit sie zum Friseur oder zur Tanzstunde gehen können.“ Was Fuest meint. Es muss da ankommen, wo es wirklich gebraucht wird. Nicht in Moskau oder Oslo. Der Ökonom schlägt vor, Menschen mit geringen Einkommen eine Pauschale zu zahlen. „Ein Weg wäre auch eine Energieprämie, aber steuerpflichtig.“
Im Grunde sei die Gasumlage die richtigere Maßnahme gewesen, weil sie den richtigen Anreiz setze, argumentiert Fuest. Die Umsatzsteuer auf Gas von 19 auf 7 Prozent zu senken, nennt Fuest „eine Blödheit“, weil die Verbraucher das Signal bekämen, dass es ja nicht ganz so teuer werden dürfte. Für Unternehmen sei diese Maßnahme ohnehin nutzlos.
Auf eine vorgegebene Menge Gas Geld zu geben, bringe auch hier nichts - jedenfalls nichts Gutes. „Wenn die Nachfrage jetzt nicht die richtigen Preissignale bekommt, dann werden wir die Krise nicht überstehen“, warnt der Ökonom. Die Sicherheit gut gefüllter Gasspeicher scheint hier mehr als trügerisch zu sein.
Wenn es kalt wird, sind die Gasspeicher schnell leer
„90 Prozent hört sich gut an, aber wenn es wirklich kalt ist, sind die Speicher schnell leer.“ Dann droht die auch von Unternehmen gefürchtete Gasmangellage. Nach jetzigem Stand wohl frühestens im Januar, schätzt Fuest.
Dann allerdings müsste entschieden werden, wem der Gashahn zuerst zugedreht wird. Die Wählerinnen und Wähler wird die Regierung kaum frieren lassen wollen.
Zum Krisenszenario hat Fuest eine klare Haltung: Je größer die Wertschöpfungstiefe eines Unternehmens ist, desto länger müsse das Gas fließen. Diese Logik des in Münster geborenen und in Geseke im Kreis Soest aufgewachsenen Ökonoms dürfte nicht alle Unternehmerinnen und Unternehmer im Saal erfreut haben.