Arnsberg. Das Handwerk in der Region brüllt nach Hilfe. Von Existenzgefahr und Perspektivlosigkeit ist die Rede. Die Stimmung reicht „fast an Panik heran“.

Es ist ein Hilfeschrei, ein Weckruf an die Politik, daraus machen sie gar keinen Hehl. Damit aber ihr Hilfeschrei zwischen all den anderen, die aktuell ausgestoßen werden, gehört wird, wählen die Handwerker in Südwestfalen drastische Worte. „Die Stimmungslage“, sagt Hendrik Schmitt, „reicht fast an Panik heran.“

Anlass für die extreme Zustandsbeschreibung durch den Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Südwestfalen ist die Vorstellung der Herbstumfrage unter den 6211 angeschriebenen Handwerksbetrieben im Kammerbezirk (Hochsauerlandkreis, Märkischer Kreis, Kreis Olpe, Kreis Siegen-Wittgenstein). Bereits bei der Frühjahrserhebung fiel das Ergebnis besorgniserregend aus, nun ist es alarmierend. Von „Existenzgefahr“ ist die Rede. Der Geschäftsklimaindex, der die Stimmung im Handwerk anzeigt, fiel von 110 auf knapp 88 Punkte. „Einbruch ist untertrieben, wir erleben einen Absturz. Es ist, als ob man einen Stein fallen lässt. Die Kurve fällt steiler ab, als sie es jemals getan hat“, sagt Schmitt.

„Inflations-Gaspedal bis aufs Bodenblech durchgedrückt“

Was die derzeitige Krise so einzigartig macht, ist, dass zum einen diesmal nahezu kein Handwerksbereich verschont bleibt, zum anderen sehen sich die Unternehmen nicht nur einem Problem allein ausgesetzt. Nach der Pandemie und zu bereits länger bestehenden Schwierigkeiten wie dem Fachkräftemangel oder den Materialengpässen (infolge der Corona-Maßnahmen) kommen nun Energiekrise, Inflation und die Sperrung der Rahmedetal-Brücke an der A45 in Lüdenscheidhinzu. „Wir haben eine Multifaktorenkrise“, sagt Schmitt. Zudem erreichen die Symptome der Krise(n) zum Teil ungekannte Ausmaße, etwa bei der Inflation. „Durch die Energiekrise ist das Inflations-Gaspedal bis aufs Bodenblech durchgedrückt“, so Schmitt.

Viele Betriebe haben ihre gestiegenen Kosten (zum Teil) an die Verbraucher weitergegeben. Das treibt die Inflation weiter an – und die Entwicklung dürfte weitergehen. In den kommenden Monaten sei mit weiteren Preissteigerungen zu rechnen, unter anderem, weil die meisten Unternehmen noch neue Verträge mit ihren Energieversorgern abschließen müssen (zu welchen Konditionen?). Seriöse Planung ist so kaum möglich. „Der Preisschock ist in der Bevölkerung noch gar nicht richtig angekommen. Erst nächstes Jahr trifft der voll“, sagt Schmitt.

Kuchen und Torten sind Luxus

Laut Umfrage geht die Mehrzahl in allen Handwerksgruppen von Preisanhebungen von bis zu 25 Prozent aus. Nur: Jede (weitere) Erhöhung verstärkt die Zurückhaltung bei den Kunden. Dabei ist bereits jetzt für viele Verbraucher das Limit erreicht. Kuchen und Torten zum Beispiel seien „zum Luxus“ geworden. Zudem: Statt beim Bäcker, Konditor oder Fleischer werde verstärkt bei Discountern eingekauft. Bio und Tierwohl? War einmal. Der Kunde schaue eben zuerst ins Portemonnaie, hält die Kammer fest.

Das energieintensive Nahrungshandwerk ist besonders betroffen, aber die Sparsamkeit der Verbraucher trifft nicht nur Luxusgüter. So würden bei Autos Inspektionen oder Reparaturen hinausgezögert, bei Baumaßnahmen Sanierungen oder etwa die Terrassengestaltung, zunehmend würden aber auch ganze Bauprojekte eingestellt. „Alles, was nicht zwingend sein muss, schiebt man nach hinten“, sagt Ingomar Schennen von der Kreishandwerkerschaft Hochsauerland. „Baugrundstücke werden zum Teil zurückgegeben“, berichtet Jens Rodermund (Märkischer Kreis).

Von der Talfahrt sei sogar der Metallbau betroffen. „Die deutsche Konjunkturlokomotive legt den Rückwärtsgang ein“, sagt Schmitt und ergänzt grundsätzlich: „Wir sehen Auftragsstornierungen ungeahnten Ausmaßes.“ Dass es noch nicht zur Arbeitsplatzkatastrophe gekommen sei, liege am demografischen Wandel. Wer jetzt entlässt, steht künftig ohne Fachpersonal da.

Mitglieder der Handwerkskammer Südwestfalen nach der Präsentation der Herbst-Umfrage 2022: Ingomar Schennen (Geschäftsführer Kreishandwerkerschaft Hochsauerland), Hendrik Schmitt (Hauptgeschäftsführer Handwerkskammer Südwestfalen), Jens Rodermund (Geschäftsführer Kreishandwerkerschaft Märkischer Kreis) und Stefan Simon (Geschäftsführer Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd, von links).
Mitglieder der Handwerkskammer Südwestfalen nach der Präsentation der Herbst-Umfrage 2022: Ingomar Schennen (Geschäftsführer Kreishandwerkerschaft Hochsauerland), Hendrik Schmitt (Hauptgeschäftsführer Handwerkskammer Südwestfalen), Jens Rodermund (Geschäftsführer Kreishandwerkerschaft Märkischer Kreis) und Stefan Simon (Geschäftsführer Kreishandwerkerschaft Westfalen-Süd, von links). © Handwerkskammer Südwestfalen

Viele Aufträge, aber Lieferschwierigkeiten

Einen Lichtblick aber muss es doch geben: Die Energiekrise soll der Energiewende und energetischen Sanierungen einen Schub verleihen. Windräder, PV-Anlagen, Wärmepumpen und Co. müssen in Häusern, Wohnungen und Unternehmen eingebaut werden, um weg von fossilen Brennstoffen zu kommen. Das verschafft den Fachbetrieben viele Aufträge. Oder? Stimmt, sagt Schmitt, beim Sanitär- und Elektrohandwerk brenne die Bude, „aber diese Betriebe sind kurz- und mittelfristig kaum lieferfähig“. Wartezeiten betragen Monate. Und: Keiner weiß, wie sich die Preise bis zum fernen Lieferzeitpunkt entwickeln. Auch das schreckt ab.

Bleibt noch die öffentliche Hand, die weiterhin Bauvorhaben angeht. Doch auch hier rechnet das Handwerk damit, dass in Zeiten der sich verschärfenden Krise und drohender Haushaltslöcher bald mehr Zurückhaltung einkehrt.

Für viele das Reizthema: die A45

Das führt zu zwei Themen, für die der Staat verantwortlich ist. Zum einen der Gaspreisdeckel; die Handwerker begrüßen die geplante Maßnahme, doch die Umsetzung sei ja noch offen, zudem könne der Gaspreisdeckel nur temporär Abhilfe schaffen. „Das Grundproblem der gestiegenen Energiekosten ist damit nicht gelöst“, sagt Schmitt.

Ungelöst ist und bleibt auch die Sperrung der Rahmedetalbrücke, die insbesondere Metall- und Elektro-Betriebe trifft, weil diese oft als Zulieferbetriebe tätig sind. Die A45 ist ein Reizthema, gerade für den bereits durch die Flut im Vorjahr getroffenen Märkischen Kreis, aber auch für die südlicheren Kreise Olpe und Siegen-Wittgenstein. „Die A45 zwingt uns zusätzlich in die Knie. Das bringt das Fass regional zum Überlaufen“, sagt Schmitt.

Dass Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) keinen konkreten Zeitplan für den Neubau der bald ein Jahr gesperrten Brücke nennt, „dafür habe ich kein Verständnis“, betont Schmitt und bemerkt: „Die Perspektivlosigkeit ist das Schlimmste.“

Der Wunsch nach Klarheit, er gilt nicht nur für das Thema A45. Auch bei der Energiewende oder der Digitalisierung warten die Handwerker auf konkrete Pläne der Politik.

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