Essen. Nur 17,7 Prozent der Gründer von technik- und datenorientierten Start-ups waren 2021 Frauen. Ein Grund ist die Männerdomäne der Investoren.

Die Start-up-Szene im Ruhrgebiet wächst. Doch sie ist weitgehend eine Domäne von Männern. Der Anteil der Gründerinnen von Tech-Unternehmen bundesweit ist nicht einmal 18 Prozent groß. Vier Frauen aus dem Revier berichten, warum das so ist und wie es sich ändern soll.

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Vanessa Meyer und Carolin Strehmel haben es gewagt: Seit zwei Jahren investieren sie all ihre Zeit und ihr Wissen in das eigene Start-up Knowbody. In Bochum haben sie eine App entwickelt, die den Sexualkunde-Unterricht revolutionieren soll. An etlichen Schulen bundesweit, darunter eine in Oberhausen, haben sie das neue Lehrmedium bereits erfolgreich einem Praxistest unterzogen. 200.000 Euro Fördermittel unter anderem von der Bundesregierung sind bislang in das Projekt geflossen.

Start-up Knowbody will Sexualkunde-Unterricht revolutionieren

Doch jetzt stellt sich die Frage der Finanzierung neu, um den nächsten, entscheidenden Schritt zu gehen: auf den Markt. Vor einigen Tagen startete Knowbody eine Aktion, um Geldgeber und Spender für ihr Start-up zu werben. „Nachdem wir bereits 200.000 Euro Fördermittel investiert haben, ist es nun unser Wunschziel, 100.000 Euro über Crowdfunding einzusammeln, um die App fertigzustellen“, sagt Mitgründerin Vanessa Meyer.

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Für etablierte Wagniskapitalgeber sind 100.000 Euro eine lächerlich kleine Summe. Und dennoch scheint die Sexualkunde-App auf dem Finanzierungsmarkt kein Selbstläufer zu sein. „Ab einem gewissen Punkt sagen uns Investoren, dass wir zu langsam wachsen. Dabei können wir mit unserer App durchaus Gewinne generieren“, meint die zweite Gründerin Carolin Strehmel. Die Frauen berichten aber, dass es sehr schwer sei, Fachkräfte zu finden, die Aufklärungsthemen digital aufarbeiten können. Rasches Wachstum ist deshalb gar nicht so leicht. „Wir reden jeden Tag mit Schulleitungen. Die App wird krass nachgefragt. Es gab schon 62.000 Downloads“, sagt Strehmel.

Carolin Strehmel (v.l.), Britta Marek, Vanessa Meyer und Britta Dombrowe werben dafür, dass sich mehr Frauen selbstständig machen.
Carolin Strehmel (v.l.), Britta Marek, Vanessa Meyer und Britta Dombrowe werben dafür, dass sich mehr Frauen selbstständig machen. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Das weibliche Bochumer Start-up ist freilich nicht das einzige, das vor hohen Hürden steht. „In den Investoren-Runden sitzen fast ausschließlich Männer. Da wundert es nicht, dass 27,8 Prozent der Start-ups, die von Männern gegründet werden, Risikokapital in Höhe von über einer Million Euro erhalten. Bei Frauen sind es nur 5,2 Prozent“, sagt Britta Dombrowe, Programmleiterin für die Start-up-Aktivitäten des Wirtschaftsbündnisses Initiativkreis Ruhr. Dombrowe zeigt sich aber optimistisch: „Ich bin davon überzeugt, dass auch bei den Kapitalgebern ein Umdenken stattfinden wird.“

Gründerinnen eher in sozialen Branchen

Dennoch zeigt sich auch Dombrowe alarmiert. „Der Mangel an Frauen ist total offensichtlich“, sagt sie. „Das betrifft dann vor allem Start-ups, die sich zum Beispiel mit Tech-Themen oder mit Daten beschäftigen.“ Bei jungen Firmen, die sich gesellschaftlichen, sozialen oder ökologischen Fragen widmen, sei der Anteil mit rund 50 Prozent deutlich höher.

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Den Riss hat auch Britta Cornelißen erkannt. „Gründerinnen gibt es zum Beispiel vermehrt im sozialen und nachhaltigen Bereich. Ihnen ist an der Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse gelegen“, sagt die Betreuerin der Initiative Female Founders Ruhr, die Gründerinnen aus dem Ruhrgebiet miteinander vernetzt. „Mit den Female Founders Ruhr wollen wir Frauen befähigen, an sich selbst zu glauben und sich selbstständig zu machen.“

„Frauen sind nicht so risikobereit wie Männer“

Dass Gründerinnen in der Minderheit seien, habe viele Gründe, meint Cornelißen. Ihre Beobachtung: „Frauen sind nicht so risikobereit wie Männer. Das bedeutet aber auch, dass sich weniger weibliche Start-ups wieder vom Markt verabschieden müssen, denn die Geschäftsmodelle sind auf langsameres und nachhaltiges Wachstum ausgelegt.“ Investoren schielen aber meist auf rasche Expansionschancen. „Skalierung“ ist das Zauberwort in der Branche.

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Trotzdem macht Cornelißen allen Frauen Mut, die mit einer Selbstständigkeit liebäugeln. „Jeder Mensch kann es schaffen, ein Unternehmen zu gründen. Angebote zur Unterstützung gibt es viele“, sagt sie. „Es fehlen aber immer noch ausreichend weibliche Vorbilder.“

App statt veralteter Biologie-Bücher

Vorbilder wie Vanessa Meyer und Carolin Strehmel, die nach eigener Einschätzung dabei sind, Innovatives auf dem bedeutenden Feld der sozialen Bildung entwickeln. „Bei der sexuellen Aufklärung in den Schulen gibt es eklatante Wissenslücken“, weiß Meyer, nachdem sie sich tief ins Thema eingearbeitet hat.

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„Mit unserer App betreten wir digitales Neuland im Sexualkundeunterricht und sind nach unserem Wissen bislang die einzigen Anbieter.“ Knowbody auf den Tablets der Schülerinnen und Schüler könnten oftmals veraltete Biologie-Bücher und Arbeitsblätter, die sich Lehrende mit Inhalten aus dem Internet per Hand zusammenstellten, ergänzen oder überflüssig machen.

„Gründerinnen stärker in der Öffentlichkeit zeigen“

Mehr Unterstützung für gründende Frauen signalisiert auch der Initiativkreis Ruhr mit seinen 70 Mitgliedern aus großen und kleineren Unternehmen im Revier „Die Gründerszene im Ruhrgebiet hat im Laufe der Jahre mehr Souveränität erlangt. Auch das Bewusstsein, weibliche Start-ups zu unterstützen, ist gewachsen“, sagt Programmleiterin Dombrowe. „Dennoch müssen wir Gründerinnen noch stärker in der Öffentlichkeit zeigen“, fordert sie.

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Die Sensibilisierung für das Thema beginne aber schon früher. Viele Hochschulen hätten die Bedeutung des Gründertums erkannt. „In den Schulen ist das aber leider meist immer noch kein Thema“, kritisiert Dombrowe. Den größten Nachholbedarf sieht sie aber auf der Seite der Geldgeber. „Wir brauchen hier im Ruhrgebiet mehr Venture Capital für Frauen und Männer gleichermaßen.“

>>> Start-up-Week

Um Frauen, die gründen wollen, geht es auch bei der Startupweek Ruhr vom 26. bis 30. September. Am 27. September erklärt Ekaterina Arlt-Kalthoff vom Düsseldorfer Start-up MOM in einer Online-Konferenz von zehn bis zwölf Uhr, warum Mütter anders gründen und wie Frauen erfolgreich selbstständig werden und gleichzeitig die Kindheit ihrer Kinder genießen können.

Einen Überblick über alle 62 Veranstaltungen der Startupweek Ruhr gibt es im Internet unter https://ruhrhub.de/ruhrstartupweekkalender.