Essen. Metall- und Elektroindustrie startet Tarifrunde auf Schalke. Arbeitgeberpräsident Kirchhoff warnt vor Überforderung, IG Metall will acht Prozent.

Wenn alles teurer und Energie zum Luxusgut wird, erhält das Ringen um Lohnerhöhungen eine besondere Brisanz. Denn die Betriebe leiden ebenso wie ihre Beschäftigten. In der Metall- und Elektroindustrie steht nun die wichtigste Tarifrunde des Jahres an: IG Metall und Arbeitgeber verhandeln ab kommender Woche für bundesweit rund 3,8 Millionen Beschäftigte in Deutschlands größtem Industriezweig, 700.000 davon in NRW. Arbeitgeber und Gewerkschaft bringen sich in Stellung.

Nach wie vor unterbrochene Lieferketten, Energiekrise, Rohstoffknappheit und weitere Kriegsfolgen zeitigen Spuren in der Wirtschaft, die Rezessionsängste wachsen mit den Gas- und Strompreisen. Erste Produktionsstopps oder -drosselungen werden verkündet. Es ist „eine Situation, wie wir sie noch nie hatten“, betont Arndt Kirchhoff, Präsident des Arbeitgeberverbands Metall NRW. Das Wort, das er im Gespräch mit Journalisten am häufigsten benutzt, weil alle darin steckten: „Dilemma“.

Kirchhoff: Energiepreise führen zu Produktionsstopps

Denn auch Kirchhoff bereitet es Sorgen, dass die Leute weniger Geld ausgeben können, „wir sehen bereits eine Konsumzurückhaltung“ sagt er. Kein Wunder – die Reallöhne in NRW sind im zweiten Quartal dieses Jahres um 3,5 Prozent gesunken, weil die Inflation doppelt so stark steigt wie die Löhne. Die Folgerung der Gewerkschaften, dass deshalb die Löhne ordentlich steigen müssten, geht Kirchhoff aber nicht mit, weil das viele Unternehmen überfordern und die Preise noch mehr treiben würde.

Auch interessant

Je nachdem, wie hoch der Energieanteil im Betrieb sei, näherten sich viele bereits dem Punkt, ab dem sich die Produktion nicht mehr lohne und eingestellt oder stark gedrosselt werden müsse. So hat die Neusser Aluhütte Speira gerade erst erklärt, ihre Produktion auf die Hälfte herunterzufahren. Kirchhoff befürchtet, dass es im Winter zu mehr Produktionsstopps kommen könne und deshalb auch wieder mehr Kurzarbeit nötig sei.

Reallöhne in NRW um 3,5 Prozent gesunken

Im Jahresvergleich seien die Energiekosten der Metall- und Elektrobetriebe um 242 Prozent gestiegen, sagt Kirchhoff. Die Betroffenheit sei enorm unterschiedlich, weil der Energiekostenanteil der Betriebe zwischen drei und 40 Prozent liege. Auch bei der Auftragslage gebe es „eine enorme Spreizung“ zwischen Unternehmen, die von der aktuellen Lage profitieren, etwa Wärmepumpenhersteller, oder darunter leiden, etwa Autozulieferer, die für kleinere Modelle Teile produzieren. Denn die Autoindustrie konzentriert sich aufgrund des Chipmangels auf die teuren Modelle, die mehr Gewinn abwerfen. „Ich kann Ihnen in jeder Branche Betriebe nennen, denen es zumindest bis jetzt gut geht, aber auch Betriebe, die ums Überleben kämpfen“, sagt Kirchhoff.

podcast-image

Die Forderung der IG Metall nach acht Prozent mehr Geld für die Beschäftigten nennt der Arbeitgeberpräsident deshalb „absolut unverträglich und überhöht“. Das sei die höchste Forderung seit 2008 und der Dramatik der aktuellen Lage nicht angemessen. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann habe selbst gesagt, dass man die Inflation nicht über die Tarife ausgleichen könne.

Die Gewerkschaft betont dagegen, gerade weil die Energiepreise für längere Zeit hoch bleiben werden, brauche es „auch eine dauerhafte Erhöhung der Entgelte“, wie Knut Giesler, NRW-Chef der IG Metall, unserer Zeitung sagte. „Bei den stark steigenden Preisen etwa für Energie und Lebensmittel sind acht Prozent mehr Geld die richtige Forderung.“ Wichtig sei der Gewerkschaft auch eine soziale Komponente für Menschen mit niedrigen Einkommen. Dabei könne die von der Bundesregierung angeregte abgabenfreie Sonderzahlung bis zu 3000 Euro eine Rolle spielen.

Inflationsprämie wohl Teil der Tariflösung

Die Vorlage der Bundesregierung für eine solche Inflationsprämie wollen beide Tarifpartner nutzen, das lässt auch Kirchhoff durchblicken. Damit scheint ausgemacht, dass sie in der Metall- und Elektroindustrie ein Teil der Lösung in dieser Runde sein wird. Denn der Verzicht des Staates auf Steuern und Abgaben entlastet die Arbeitgeber und eine hohe Einmalzahlung hilft gleichzeitig den Beschäftigten, die für den zu erwartenden Preisschock bei Gas und Strom zur Verfügung steht, der viele Privathaushalte erst Anfang kommenden Jahres treffen wird.

Die erste Runde findet am 16. September in der Arena auf Schalke statt.