Duisburg/Bochum. Corona und Inflation führen zu mehr Leerständen und Kundenschwund in den Innenstädten. Warum Wirtschaftsförderer deshalb in Sorge sind.
Die Innenstädte haben es immer schwerer, sich gegen den Online-Handel durchzusetzen. Die Corona-Pandemie und die Konsumzurückhaltung in Folge des Ukraine-Kriegs setzen sie zusätzlich unter Druck. Im Ruhrgebietsschnitt stehen rund 15 Prozent der Ladenlokale in den Citys des Reviers leer. Bochum steht mit 6,9 Prozent besser da. Die Chefwirtschaftsförderer Rasmus C. Beck (Duisburg) und Ralf Meyer (Bochum) sorgen sich um die Innenstädte im Ruhrgebiet und bitten die Landesregierung, die drei laufenden Sofortprogramme fortzusetzen und auf eine breitere Basis zu stellen.
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Herr Beck, Herr Meyer, der Handelsverband Deutschland spricht von einem eisigen Konsumklima, die Umsätze brechen ein. Sind die Innenstädte des Ruhrgebiets nach der Corona-Pandemie auf die Inflations-Krise vorbereitet?
Ralf Meyer: Die Innenstädte sind relativ leer. Wie in anderen Ruhrgebietsstädten haben wir in Bochum auch viele Büroflächen. Die Beschäftigten sind heutzutage aber häufig im Homeoffice. Deshalb gehen sie zum Beispiel mittags nicht in der City essen. Auch der Einkauf nach Feierabend fällt weg. Diese Umsätze fehlen den Innenstädten. Wir werden damit umgehen müssen, dass etwa die Hälfte der Beschäftigten auch in Zukunft mobil arbeitet, und der Anteil derer, die online einkaufen, steigt.
Rasmus C. Beck: Die Innenstädte stehen vor allem als Einkaufsstandorte unter Druck. Es wird immer wieder beklagt, dass es die Traditionsgeschäfte wie die Hutmacherin, den Herrenausstatter und den Spielzeugladen nicht mehr gibt. Diese Diskussion ist nachvollziehbar, aber auch rückwärtsgewandt. Wenn die Innenstädte die guten Stuben der Kommunen bleiben wollen, müssen wir mehr über Stadtentwicklung und Aufenthaltsqualität reden. Es wird weiter Einzelhandel geben, aber mit neuen digitalen Konzepten und Showrooms. Zwischen den Läden brauchen wir aber auch Gastronomie, Kunst, Kultur, Grünflächen und Wohnen. Damit Handel weiter funktioniert, müssen die Leute wieder mehr in die Innenstädte kommen.
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Mit Beginn der Pandemie hat die NRW-Landesregierung ein Sofortprogramm mit Mietzuschüssen für neue Ladenkonzepte und mit Fördergeldern für die Aufwertung des öffentlichen Raums aufgelegt. Hat die Initiative den Innenstädten geholfen?
Meyer: Die Städte im Ruhrgebiet haben ihre Chance genutzt und sind insgesamt gut weggekommen. In die Essener Innenstadt sind rund 3,4 Millionen Euro geflossen, nach Bochum 1,85 Millionen. Duisburg hat insgesamt gut 750.000 Euro erhalten. Es war richtig, am Anfang der Pandemie zu verhindern, dass es zu noch mehr Leerständen von Ladenlokalen kommt. Das Sofortprogramm berücksichtigt aber nicht, was jetzt, also nach der Corona-Krise passiert. Da müssen wir ansetzen.
Beck: Das Programm ist gut und richtig. Wir können es sinnvoll nutzen. Es muss aber über 2023 hinaus weiterlaufen und weiterentwickelt werden.
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Um die Innenstädte neu aufzustellen, brauchen Sie auch die privaten Immobilieneigentümer. Sehen Sie die Bereitschaft, bei der Neuausrichtung mitzuziehen?
Beck: In der Duisburger Innenstadt haben wir rund 400 unterschiedliche Immobilienbesitzer. Nur ein Drittel davon sind Duisburger Eigentümer. Ein weiterer großer Anteil sind institutionelle Anleger wie internationale Fonds, Banken und Versicherungen. Unter ihnen haben wir bisher nicht viele davon überzeugen können, Ladenlokale bei subventionierter Miete für neue Shopkonzepte zur Verfügung zu stellen. Die Eigentümer befürchten eine bilanzielle Abwertung ihrer Immobilien, wenn sie auf bis zu 30 Prozent der Miete verzichten, wie es das Sofortprogramm vorsieht. Vor diesem Hintergrund ist ihnen ein Leerstand oft lieber. Das muss man bei der Weiterentwicklung des Programms bedenken.
Meyer: Bochum hat schon sehr früh ein Innenstadt-Management aufgebaut. Das hat sich in der Krise ausgezahlt. Wir haben alle Immobilien-Eigentümer zu einer Innenstadt-Konferenz eingeladen. 80 Prozent sind gekommen – auch die Fonds. Das hat uns sehr gefreut.
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Was muss die Politik tun, wenn sich ein Leerstand für Eigentümer mehr lohnt als eine günstigere Miete?
Beck: Wir als Wirtschaftsförderer brauchen einen Werkzeugkasten, mit dem wir auch die Fonds erreichen. In der Branche sind Mietverträge bis zu zehn Jahren Laufzeit üblich. Die Landesförderung läuft aber nur maximal drei Jahre und ist auf Ladenlokale bis zu 300 Quadratmeter begrenzt. Es stehen aber auch größere Flächen leer. Wichtig ist es auch, Genehmigungen und Nutzungsänderungen zu vereinfachen, um etwa ein Handelsobjekt in Gastronomie oder Wohnungen zu verwandeln – das dauert derzeit in der Regel wertvolle Monate. Auch Malls sind von der Förderung ausgenommen. Dabei sind sie in den Innenstädten inzwischen nicht wegzudenken.
Meyer: Der Druck in den Innenstädten wird immer größer. Die öffentliche Hand muss jetzt mit einer ganz anderen Professionalität antworten als bisher. Die Kommunen müssen ihre Moderationsrolle ablegen und selbst handeln. Wenn wir investieren, investiert auch die Privatwirtschaft. Das sehen wir gerade bei uns in Bochum. Für das Haus des Wissens mit Bibliothek, Volkshochschule, Uni-Einrichtungen und einer Markthalle nehmen wir als Kommune 150 Millionen Euro in die Hand. Die Summe löst 600 Millionen Euro private Investitionen in der Innenstadt aus. Eine Stadt braucht so einen Leuchtturm und einen Ort der Begegnung, auch wenn wir dafür auch teilweise Kritik einstecken müssen.
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Sie fordern eine Verlängerung und Neuaufstellung des Sofortprogramms Innenstadt. Fürchten Sie nicht, dass die Landesregierung das Ruhrgebiet damit wieder als Bittsteller wahrnehmen wird?
Meyer: Die Förderung des Ruhrgebiets war in der Vergangenheit darauf ausgelegt zu reparieren, statt zu aktivieren. Wir haben meistens auf Krisen reagiert. Deshalb müssen wir nach vorn schauen. Wir müssen beweisen, dass wir Wirtschaft entwickeln können, dass wir, wie auf der ehemaligen Opelfläche Mark 51°7, erfolgreich Unternehmen und Forschungseinrichtungen ansiedeln können, dass wir für unsere Innenstädte Visionen umsetzen, eben dass wir aus ganz wenig ganz viel machen, wenn man uns im Ruhrgebiet Geld gibt. Da müssen wir hin.
Immobilien-Experten weisen immer wieder darauf hin, dass es zu viel Einkaufsfläche im Ruhrgebiet gebe. Verlieren Innenstädte vor diesem Eindruck nicht ihre Bedeutung?
Beck: Die Innenstädte werden auch weiter eine Oberfunktion haben mit Kultur, Gastronomie, Freizeit, aber natürlich auch Einzelhandel. In Duisburg haben wir aber auch starke Stadtteilzentren, die eine Grundversorgungsfunktion haben. In Rheinhausen etwa leben 78.000 Menschen, die in der Fußgängerzone dort einkaufen gehen. In den Stadtteilen gibt es im übrigen noch die Metzgerfamilie, die ihren Laden im eigenen Haus betreibt.
Meyer: Die Innenstädte kann man auf gar keinen Fall aufgeben. Sie gehören zur Identität einer Stadt. Die Menschen haben ein Bedürfnis, sich in der City zu treffen. Deshalb müssen wir in die Aufenthaltsqualität investieren, die Fassaden und Plätze gestalten und einen Teil der Einzelhandelsflächen umwandeln, etwa in Wohnungen oder Praxen für Ärzte, Anwälte oder Steuerberater. Nur so können wir ein kompaktes Dienstleistungsangebot in den Innenstädten schaffen.
>>> Sofortprogramm Innenstadt
Die Corona-Krise mit monatelangen Geschäfts- und Gaststätten-Schließungen hat Innenstädte und Stadtteilzentren hart getroffen. Die NRW-Landesregierung hat deshalb für die Jahre 2020, 2021 und 2022 Sofortprogramme mit einem Volumen von insgesamt 100 Millionen Euro aufgelegt.
Auch im Ruhrgebiet werden zahlreiche Projekte aus dem Topf gefördert. Der größte Betrag innerhalb der Region fließt in die Essener Innenstadt: 3,35 Millionen Euro. Bochum erhält 1,84 Millionen Euro, Dortmund 774.000 Euro, Duisburg (ohne die Stadtteile) 195.000 Euro, Gelsenkirchen 494.000 Euro, Hagen 815.000 und Velbert 740.000 Euro. Die genehmigten Projekte müssen bis Ende 2023 abgeschlossen sein.