Lippstadt. Der Autozulieferer Hella aus Lippstadt bringt ein Zugangssystem in Serie, das den Autoschlüssel überflüssig macht und für mehr Sicherheit sorgt.

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Licht ist immer noch das Erste, was einem beim Autozulieferer Hella einfällt. Einleuchtend, schließlich hat das Lippstädter Unternehmen rund 125 Jahre Erfahrung und Tradition beim Bau von Scheinwerfern zu bieten. Weniger bekannt ist, dass der Weltmarktführer bereits seit über 20 Jahren gut im Geschäft ist, wenn es um Zugangssysteme zum Auto geht. Jetzt verändert Hella die Zukunft des Autofahrens, indem sie den Schlüssel überflüssig werden lässt.

Rund 25 Millionen klassische Funkschlüssel für viele namhafte Autohersteller verlassen pro Jahr die Produktionshallen bei Hella. In Zukunft dürften es wegen der Innovation aus dem Lippstädter Haus aber immer weniger werden. Die Westfalen bringen mit dem Smartphone-basierten „Smart Car Access“ gerade ein Stück Zukunft auf den Markt. Das System ersetzt nicht nur den üblichen Schlüssel, sondern macht das Autofahren komfortabler und vor allem sicherer.

Genutzt wird Ultra-Breitband-Technologie. Experten prognostizieren, dass sie bald so wichtig sein wird wie Wifi und Bluetooth. Die Technik UWB (englisch für ultra wideband) steckt bereits seit ein paar Jahren in modernen Smartphones. „Die Chips sind in Smartphones integriert, um beispielsweise Bankgeschäfte durchführen zu können“, sagt Ludger Weghorst.

Besitzer als Systemadministrator

Der Ingenieur ist Systementwickler beim Autozulieferer Hella und hat das Smart Car Access-System mitentwickelt. Gemeinsam mit dem Prüfingenieur Bernhard Müller tüftelt Weghorst weiter an den scheinbar unendlichen Möglichkeiten dieser Innovation.

Die Hella-Ingenieure Ludger Weghorst (links) und Bernhard Müller demonstrieren an einem Testauto ein neues Schließsystem, das auch das unbefugte Auslesen von Schlüsseln verhindert.
Die Hella-Ingenieure Ludger Weghorst (links) und Bernhard Müller demonstrieren an einem Testauto ein neues Schließsystem, das auch das unbefugte Auslesen von Schlüsseln verhindert. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

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Ausgangsüberlegung war, dass Milliarden Smartphones auf der Welt unterwegs sind. „Wir haben uns also gefragt, welche Technik besitzt das Handy, die für uns nutzbar ist. Und die Technik sollte mindestens den gleichen Komfort bieten wie Keyless entry“, erklärt Weghorst. UWB ist eine Funktechnologie ähnlich wie Bluetooth oder Wifi. Der Vorteil. Bereits aus großer Entfernung, Hella spricht von 50 Meter, erkennt das mit dem Smart-Car-Access-System ausgestattete Auto seinen Besitzer. Dafür sind rund um die Karosse sogenannte UWB-Anker, etwa 8x4 Zentimeter große Elektronikbauteile angebracht, die mit dem UWB-Chip im Handy kommunizieren. Nähert die Fahrerin oder der Fahrer sich dem Auto, öffnet es sich automatisch, ohne einen Schlüssel herauskramen oder das Handy in die Hand nehmen zu müssen – vorausgesetzt, es gibt eine Zugangsberechtigung. Die kann vom Besitzer theoretisch unendlich oft verteilt werden – er ist quasi gleichzeitig System-Administrator. Vorteilhaft beispielsweise für Carsharing.

Komfort ist das eine, der Hauptvorteil dieser Technologie ist aber mehr Sicherheit. Vor Diebstahl, da UWB mit Impulsen in Lichtgeschwindigkeit und Zeitstempeln für die Signalübertragung im Nanosekundenbereich arbeitet. Das Auslesen von Funkschlüsseln wird so laut Entwickler unmöglich. „Ein Angreifer kann nicht schneller als in Lichtgeschwindigkeit auslesen“, sagt Weghorst – so einfach. Einige VW-Besitzer kennen diese Hella-Technik in abgespeckter Form bereits. Sie ist optional im Golf 8 verbaut, funktioniert hier aber noch mit einem klassischen Schlüssel und weniger Möglichkeiten. In abgespeckter, weil billigerer Form kommt das Hella-System auf Bluetooth-Basis gerade auch in China auf den Markt.

System erkennt am Atem, ob ein Kleinkind oder Baby im Auto vergessen wurde

Eine für den US-amerikanischen Markt besonders wichtige Funktion: Das System erkennt nicht nur, ob jemand unbefugt ins Auto eindringen will, sondern am Atem auch, ob sich ungewollt noch jemand im Wagen befindet. In den USA sterben viele Kleinkinder, die von ihren Eltern in überhitzten Autos vergessen wurden, sagt Weghorst: „Dort ist es die zweithäufigste Todesursache im Verkehr.“

Im Grunde wird das Auto überwacht wie ein Safe. Je nachdem, welche Wünsche der Hersteller hat, sind viele Funktionen denkbar, etwa selbstständiges Einparken in die Garage. Smart Car Access ist ein Stück Zukunftstechnologie und passt ziemlich gut zu den Autos, die immer mehr zu rollenden Computern werden. „Es wird auch in Zukunft Schlüssel geben“, sagt Weghorst. Vielleicht nicht mehr 25 Millionen pro Jahr mit Hellaelektronik, aber dafür umso mehr mit der UWB-Technik aus Westfalen, die übrigens auch funktioniert, wenn der Akku des Smartphones einmal schlapp gemacht hat.

Geschäftsjahr 2021/22 bei Hella-Forvia

Hella büßte im abgelaufenen Geschäftsjahr (1. Juni 2021 bis 31. Mai 2022) 200 Millionen Euro Umsatz ein. 6,2 Milliarden Euro Umsatz sind ein Minus von 2,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Hohe Kosten, erhebliche Lieferschwierigkeiten von Bauteilen wie Chips und eine in diesem Zeitraum um rund neun Prozent gesunkene Fahrzeugproduktion weltweit haben auch auf den Gewinn gedrückt. Hier stehen 280 Mio. Euro zu Buche (Vorjahr 510 Mio. Euro).Hella beschäftigt nach wie vor rund 36.000 Mitarbeiter. Seit Beginn des Jahres ist der französische Zulieferer Faurecia Hauptanteilseigner des im MDax notierten Unternehmens aus Lippstadt (rund 80 Prozent). Gemeinsam agieren sie unter der Dachmarke Forvia.