Essen. Ohne Zuwanderung sei der Arbeitskräftebedarf nicht zu decken, sagt Adecco-Manager Blersch. Im Interview erklärt er, wie Talente zu halten sind.
Peter Blersch hat gerade eine Nachtsitzung hinter sich, als er zum Interview in die WAZ-Wirtschaftsredaktion nach Essen kommt. Als Chef für die Region Deutschland, Österreich und Schweiz des internationalen Personaldienstleisters Adecco hat er an den Tarifverhandlungen für die Zeitarbeitsbranche teilgenommen. Wir sprachen mit Blersch über die Erhöhung des Mindestlohns, den Arbeitskräftemangel in den meisten Unternehmen und den Qualifizierungsbedarf durch die Digitalisierung.
Herr Blersch, die Adecco-Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 weltweit fünf Millionen Menschen zu qualifizieren. Wie soll das gelingen?
Peter Blersch: Wir sind international an allen wesentlichen Wirtschaftsstandorten mit 38.000 internen Mitarbeitenden vertreten. Rechnet man die Mitarbeitenden im Kundeneinsatz hinzu, sind es mit China und unserem Joint Venture sogar 1,7 Millionen. Der Druck zur Weiterbildung kommt aus den Unternehmen, getrieben vor allem durch die digitale Transformation. Wir arbeiten für und mit Unternehmen daran, die Kompetenzen von morgen zu entwickeln.
Dennoch gibt es bei vielen Unternehmen vor allem bei der Digitalisierung Aufholbedarf.
Blersch: Die Bereitschaft in der Wirtschaft ist sehr groß. Zumal die Qualifizierung oftmals vom Staat mitfinanziert wird. Für Autozulieferer entwickeln wir gerade Weiterbildungsprogramme. Die Elektromobilität stellt den Unternehmen ganz neue Anforderungen. Es braucht aber auch die Bereitschaft der Beschäftigten. Aus einer eigenen Studie wissen wir, dass 60 Prozent der Mitarbeitenden bundesweit einen Qualifizierungsbedarf erkennen.
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Deutschland ächzt unter einem Fachkräftemangel und das schon seit Jahren. Was ist da aus Sicht des Personaldienstleisters schief gelaufen?
Blersch: Wir haben inzwischen einen breiten Kräftemangel, weil nicht nur hochqualifizierte Fachleute fehlen. In München etwa finden wir kaum noch Personal für Tätigkeiten, für die es keine Vorkenntnisse braucht, obwohl wir im konkreten Fall einen Stundenlohn von 17 Euro anbieten. Auch im hochqualifizierten Bereich hat die Digitalisierung die Nachfrage nach Personal stark erhöht. Während der Corona-Pandemie ist der Bedarf noch einmal überproportional gestiegen. Diesen Trend beobachten wir nicht nur in Deutschland.
Gibt es Branchen, in denen es besonders eng ist?
Blersch: Mir fällt kein Beruf ein, in dem es nicht knapp ist. Während der Pandemie haben wir 1600 Mitarbeitende an Impf- und Testzentren vermittelt. Darunter waren auch viele Kräfte aus der damals geschlossenen Gastronomie. Jetzt gibt es einige, die nicht mehr zurück in ihren alten Beruf wollen, etwa weil sie woanders bessere Arbeitszeiten vorfinden. Es hat eine Umverteilung von Arbeitskräften stattgefunden.
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Mit der hohen Nachfrage steigen auch die Ansprüche der Bewerberinnen und Bewerber. Ist das ein Teufelskreis?
Blersch: Aus einer eigenen Umfrage wissen wir, dass 80 Prozent der Menschen die Balance zwischen Beruf und Familie enorm wichtig ist. Ich sehe das gar nicht negativ. Wir als Unternehmen haben uns vor Corona schwergetan mit dem Thema Homeoffice, aber aus den guten Erfahrungen gelernt. Ich kann anderen Firmen deshalb nur empfehlen, so viel Flexibilität wie möglich anzubieten, um auf diese Weise Talente zu halten.
Ist mobiles Arbeiten also wichtiger geworden als etwa ein Dienstwagen?
Blersch: Die Work-Life-Balance gehört zu den drei Fragen, die in Bewerbungsgesprächen am häufigsten gestellt werden. Dazu gehören natürlich auch das Gehalt und die Unternehmenskultur. Und es kommt auch auf den Standort des Arbeitgebers an. Es gibt inzwischen viele positive Beispiele mit einer Wahnsinnsmischung an Angeboten aus Sport und Gesundheit für die Beschäftigten. Das ist der Idealfall, den natürlich nicht jeder Mittelständler abbilden kann.
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Können Bewerberinnen und Bewerber inzwischen die Bedingungen diktieren?
Blersch: So weit würde ich nicht gehen. Die Bereitschaft, den Job zu wechseln, steigt. Die Beschäftigten haben durch die hohe Nachfrage einfach mehr Möglichkeiten.
Allein in den naturwissenschaftlich-technischen Berufen fehlen einer Studie zufolge bundesweit 320.000 Fachkräfte. Ist dieser Bedarf ohne Zuwanderung überhaupt noch zu decken?
Blersch: Wir brauchen unbedingt mehr Zuwanderung, weil wir es allein nicht schaffen werden. Deutschland allein kann die Fachkräfte nicht rekrutieren. Und wir müssen aufpassen, dass uns Märkte wie China nicht abhängen. Dort werden sehr viele Ingenieure und IT-Spezialisten ausgebildet. Deshalb müssen wir uns auch für Zuwanderer außerhalb der EU öffnen. Denn andere europäische Länder haben ähnliche Probleme. Das Ruhrgebiet hat damit ja gute Erfahrung. Inzwischen geht es hier natürlich nicht um Steinkohle-, sondern um Wissens-Bergwerke.
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Sehen Sie eine Chance für Menschen aus der Ukraine, die vor dem Krieg in ihrer Heimat flüchten, auf dem deutschen Arbeitsmarkt?
Blersch: Absolut. Wir als Adecco-Gruppe haben schnell nach dem Überfall reagiert und eine Digitalplattform eingerichtet, mit der wir ausdrücklich kein Geld verdienen wollen. Inzwischen haben sich dort europaweit 5000 Ukrainerinnen und Ukrainer registriert, die Arbeit suchen. Vielen von ihnen konnten wir bereits helfen.
Ihre Zeitarbeits-Branche hat gerade mit den Gewerkschaften einen neuen Tarifvertrag abgeschlossen. Tut Ihnen der qua Gesetz auf zwölf Euro gestiegene Mindestlohn weh?
Blersch: Wegen der hohen Inflation und des Kräftemangels gab es zweifelsohne einen Handlungsdruck, den Mindestlohn zu erhöhen. Ich bin allerdings ein großer Freund der Tarifautonomie. Es hat immer gut funktioniert, wenn Gewerkschaften und Arbeitgeber den Mindestlohn festlegen. Innerhalb von eineinhalb Jahren wird der Mindestlohn durch den politischen Eingriff nun von 10,88 auf 13,50 Euro steigen. Das wird positive und negative Konsequenzen haben. Unser aller Ziel muss sein, die Beschäftigungsfähigkeit in diesen volatilen Zeiten zu sichern.
>>> Die Adecco-Gruppe
Adecco Deutschland gehört zur international tätigen Adecco-Gruppe, die in der Schweiz sitzt. Der Personaldienstleister bietet Zeitarbeitskräfte sowie IT- und Engeneering-Experten für externe Unternehmen an. Eine weitere Säule ist Beratung und Qualifizierung. Die Zentrale für die Region Deutschland, Österreich und Schweiz ist in Düsseldorf.