Essen. Zoll leitete 2021 in NRW mehr als 200 Verfahren gegen Baufirmen wegen Verstoßes gegen den Branchenmindestlohn ein. IG Bau attackiert Arbeitgeber.

Der Boom auf dem Bau schlägt sich zumindest bei den Arbeitern häufig nicht in den Löhnen nieder. Nach wie vor werden auf den Baustellen auch in NRW regelmäßig die Mindestlöhne der Branche unterschritten. Das kritisiert die Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG Bau) unter Berufung auf Daten der Zollämter. Demnach hat die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) des Zolls im vergangenen Jahr Bußgelder in Höhe von 732.000 Euro gegen Baufirmen in Nordrhein-Westfalen wegen Verstoßes gegen das Mindestlohngesetz verhängt und 206 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Das geht aus einer Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Bernhard Daldrup (SPD) hervor, aus der die Gewerkschaft zitiert.

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Etwa jeder zehnte der 2319 Zollbesuche auf Baustellen in NRW oder in Unternehmen mündete damit in einem Verfahren. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit wird tätig, wenn die Mindestlöhne unterschritten, gar nicht oder zu spät gezahlt wurden. Ein Viertel aller Bußgelder entfiel auf den Bau. Hier gilt nicht die gesetzliche Untergrenze, sondern ein Branchenmindestlohn – bis Ende 2021 von 15,70 Euro pro Stunde für Facharbeiten und 12,85 Euro für Hilfsjobs. Die IG Bau verhandelt in der aktuellen Tarifrunde mit den Arbeitgebern über eine Anhebung.

Bußgelder im Ruhrgebiet eher rückläufig

2021 wurden in NRW mehr Bußgelder verhängt als 2019, also vor Beginn der Corona-Pandemie. Auf dem Bau war von Krise allerdings auch keine Rede, stattdessen kommen die Firmen kaum mit der Abarbeitung ihrer Aufträge nach, müssen Kunden immer länger warten lassen. Im ersten Corona-Jahr ging das auch mit mehr Verstößen gegen den Mindestlohn und höheren Bußgeldern einher – sie betrugen 2020 mehr als 1,3 Millionen Euro. Dafür war fast ausschließlich ein heftiger Anstieg der Verstöße im Einflussbereich des Hauptzollamts (HZA) Köln verantwortlich. In den für die Ruhrgebietsstädte zuständigen Hauptzollämtern Dortmund, Duisburg, Düsseldorf und Münster waren die Bußgelder dagegen auch 2020 rückläufig.

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Die IG Bau kritisiert die hohe Zahl an Mindestlohnverstößen im nordrhein-westfälischen Baugewerbe – und warnt vor einem Zerfall des Tarifsystems. „Die Bauwirtschaft boomt auch in Zeiten der Pandemie. Es kann nicht sein, dass noch immer Unternehmen die Vorschriften unterlaufen und die Beschäftigten um ihre Löhne bringen“, sagt Gewerkschaftsvorstand Carsten Burckhardt. Das schade der gesamten Branche, denn: „Wenn die Arbeitgeber nun auch noch die bewährten Bau-Mindestlöhne abschaffen wollen, dann droht verschärfter Dumping-Wettbewerb um die schlechteste Bezahlung – und das ausgerechnet in einer Zeit, in der Fachkräfte dringend gesucht werden“, so Burkhardt.

Dritte Tarifrunde im Streit um Branchenmindestlohn

Die IG Bau verhandelt am kommenden Montag in Berlin mit den Arbeitgebern in dritter Runde über eine Neuregelung der Branchenmindestlöhne. Bisher hätten sich die Arbeitgeber neuen Lohnuntergrenzen verweigert, so die Gewerkschaft. Das habe aktuell fatale Folgen: Denn Baubeschäftigte, die nicht nach Tarif bezahlt werden, haben seit Januar nur noch Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn von 9,82 Euro pro Stunde, der mehr als ein Drittel unter dem bisherigen Branchenmindestlohn liegt, wodurch auch Fachkräfte in den Niedriglohnbereich zu rutschen drohen.

Die Gewerkschaft wirft den Arbeitgeberverbänden HDB und ZDB vor, nur noch den gesetzlichen Mindestlohn zahlen zu wollen, den die neue Bundesregierung im Oktober auf zwölf Euro anheben will. Dagegen wird im Arbeitgeberlager betont, weiter einen Branchenmindestlohn haben zu wollen, aber nur einen einheitlichen für Ost und West und nicht mehrere Untergrenzen. Erst wenn darüber Einigkeit herrsche, könne man über die Höhe sprechen.

Arbeitgeber halten Einigung für möglich

Ohne Branchenmindestlöhne werde der Bau für Arbeitnehmer deutlich unattraktiver, warnt Burkhardt, der für die IG Bau die Tarifverhandlungen führt. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie erklärte auf Anfrage, die bisherigen Verhandlungsrunden hätten in „sachlicher und konstruktiver“ Atmosphäre stattgefunden. Dazu trage auch bei, dass der HDB „keine Grundsatzpositionen vorab über Dritte“ erörtere. Eine Verbandssprecherin betonte mit Blick auf Montag: „Wir halten es für möglich, dass wir am 28. Februar einen gemeinsamen Weg finden.“