Essen. Günstiges Speiseöl ist seit nun zehn Wochen kaum zu haben. Dabei wächst der Raps und laufen die Mühlen. Warum es trotzdem knapp und teuer ist.

Blühende Rapsfelder sind das wahrscheinlich beliebteste Fotomotiv auf dem bewirtschafteten Land. Dass die gelbe Pracht unter blauem Himmel die Farben der ukrainischen Nationalflagge und dies auch noch in der richtigen Anordnung illustriert, verleiht der Acker-Idylle in diesem Jahr besondere Symbolkraft. Nun ist der Raps verblüht – und auf dem Feld von Achim Heinrichs im Bochumer Süden gehen die grünen Schoten in den Endspurt ihres Reifeprozesses. In rund zwei Monaten kann der Landwirt sie ernten, und noch nie waren die ölreichen Rapssamen so begehrt wie in diesem Jahr.

„Gestern sind meine letzten 20 Tonnen aus dem Vorjahr an die Mühle gegangen“, sagt Heinrichs. Für mehr als 1000 Euro die Tonne, gut doppelt so viel wie im letzten Jahr. Denn Raps wird seit der Missernte 2021 im weltgrößten Exportland Kanada knapp. Das aus ihm gewonnene Speiseöl ist das meistverkaufte in Deutschland. Zumindest war es so bis zum Beginn des Ukraine-Krieges. Kurz danach ging in deutschen Supermärkten das Sonnenblumenöl aus, dessen weltgrößter Exporteur die angegriffene Ukraine ist, wenig später war auch das Rapsöl vergriffen. Wie beim Klopapier zu Beginn der Coronakrise gab es Hamsterkäufe, hinter denen viele auch Gastronomen vermuten, die auf stark erhitzbares Öl angewiesen sind. Nun kommen die Lieferketten nicht hinterher.

Enorme Preissprünge beim Speiseöl

Ein kurzfristiger Engpass, erklärten Anfang März alle großen Handelsketten. Und sagen zehn Wochen später in etwa dasselbe. Obwohl in vielen Märkten die Öl-Regale oft immer noch leer sind – zumindest unten, wo die günstigen Plastikflaschen stehen. Und wenn wieder ein paar reinkommen, kosten sie gerne vier Euro statt vorher einen. Für einen Hartz-IV-Empfänger wäre damit die im Januar erfolgte Erhöhung seines Regelsatzes um drei Euro für den ganzen Monat schon weg. Am ebenfalls sprunghaft teurer gewordenen Gemüse geht er deshalb gleich vorbei.

Bei den großen Vier nachgefragt, kommt wenig Konkretes: „Die Warenversorgung in den Filialen ist grundsätzlich sichergestellt. Lediglich bei einzelnen Produkten kann es zu Lieferverzögerungen kommen“, erklärt Lidl. „In Einzelfällen kann es bei bestimmten Produkten zu kurzzeitigen Lieferengpässen kommen. Dies betrifft insbesondere Speiseöle, die zum Teil auch aus der Ukraine stammen“, räumt Edeka ein.

Wenn Öl da ist, rationieren es die Supermärkte

Aldi Nord erklärt, „die weltweite Marktsituation bei Speiseölen ist aufgrund der Ukraine-Krise derzeit angespannt“, dennoch sehe Aldi „keinen langfristig kritischen Versorgungsengpass für unsere Kundinnen und Kunden“. Rewe antwortet erst gar nicht. Im Einkaufsalltag erleben Verbraucher dagegen keine kurzzeitigen Engpässe, sondern stehen oft vor leeren Regalen und erleben Rationierungen. Ein Aldi-Markt in Iserlohn etwa hält die rare Ware an der Kasse zurück, gibt nur auf Nachfrage eine Flasche pro Kunde aus.

Ein Edeka-Händler aus Essen spricht ohne Namensnennung Klartext: Sonnenblumenöl sei nach wie vor kaum zu bekommen, nur tröpfchenweise werde welches angeboten. Man nehme aber aus Sorge vor mangelnder Qualität nicht jedes an, vor allem, wenn es nicht nach deutschem Standard etikettiert sei. Auch beim Rapsöl gebe es nach wie vor Lieferschwierigkeiten, vor allem bei den günstigen Produkten. Beim Markenrapsöl in Glasflaschen werde die Verfügbarkeit langsam besser.

Die Ölmühlen laufen im Normalbetrieb

Dabei laufen die Ölmühlen ihrem Verband Ovid zufolge in normaler Auslastung. „Wir sehen derzeit in unserem Teil der Lieferkette keine Verknappung“, sagt Verbandssprecher Ulrich Hettinger. Die Abfüllanlagen für Speiseöl seien kontinuierlich in Betrieb. Warum es in vielen Supermärkten und Discountern nicht ankomme, darüber kann er nur rätseln. Es dürfte aber einen Grund haben, dass etwa die Hamburger Edeka-Zentrale betont, es gebe „weiterhin keinen Anlass, zusätzliche Vorräte anzulegen“. Bei Sätzen wie diesen glauben Verbraucher wie Gastronomen gern das Gegenteil.

Auf der Suche nach dem Rapsöl passt vieles nicht zusammen. Vor allem nicht am Beginn der Kette – auf dem Feld. Wer mit Bauer Heinrichs spricht, kommt nicht an EU-Regeln, „Teller-statt-Tank“-Diskursen und allerlei Interessenkollisionen vorbei, die der Landwirt „typische politische Paradoxien“ nennt. Damit meint er vor allem die geforderte Flächenstilllegung. Die Bauern sollen zur Förderung der Artenvielfalt vier Prozent ihrer Ackerflächen stilllegen, sonst erhalten sie ab 2023 keine EU-Fördermittel mehr.

Kritik an Flächenstilllegung in Zeiten der Getreidekrise

Weil das sehr offensichtlich nicht zum aktuellen Getreidemangel vor allem beim Weizen und einer sich anbahnenden weltweiten Ernährungskrise passt, hat die EU den Staaten erlaubt, dies auszusetzen. Der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) ist aber dagegen. „Ackerflächen stillzulegen, passt nun wirklich nicht in diese Zeit“, sagt dazu Bernhard Rüb, Sprecher der Landwirtschaftskammer NRW. Bauer Heinrichs drückt es mit Blick auf drohende Hungersnöte in der dritten Welt so aus: „Wir leben sehr dekadent in Europa. Das wird in dieser Ausnahmesituation, in der wir uns alle befinden, besonders deutlich.“

Der Bochumer blickt auch bei der Diskussion darüber, ob Getreide im Tank landen darf, weit über seinen Tellerrand. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) will den Verbrauch von Pflanzen für Biokraftstoffe beschränken, damit Weizen, Mais und Raps Lebensmittel bleiben. Sein Raps werde vollständig zu Öl verarbeitet, sagt Achim Heinrichs, aus den Pflanzenresten wird Tierfutter. Ob das Öl dann im Tank oder im Supermarkt landet, liege nicht mehr in seiner Hand. Er gibt nur zu bedenken: „Weniger Biokraftstoff heißt dann wieder mehr Abhängigkeit von russischem Öl – das ist ein klassischer Zielkonflikt.“

Die Fruchtfolge verhindert kurzfristige Ausweitung beim Rapsanbau

Dass vom Diesel bis zum Dünger auch für ihn alles teurer wird, relativiere die aktuell ungewöhnlich hohen Preise, die er für seinen Raps erhält, sagt Heinrichs. Dünger kommt vor allem aus Russland, Exportstopps für bestimmte Mittel haben die Preise hierzulande nach Kriegsbeginn vervierfacht. Dass er dennoch zurzeit gut am Raps verdient, heißt aber noch lange nicht, dass er für nächstes Jahr einfach mehr Felder mit der Ölfrucht bestellt. Zum einen sei der Peis für sein wichtigstes Getreide, den Weizen, ähnlich stark gestiegen. Vor allem aber lasse die Fruchtfolge es gar nicht zu, nun überall Raps anzubauen.

„Nur alle vier, fünf Jahre kann ich auf der gleichen Fläche Raps anbauen“, erklärt Heinrichs. Andernfalls steige die Gefahr für Wurzelkrankheiten, die dann die Ernte gefährden. Normalerweise säe er den anspruchsvollen Raps nach der Gerste. Diese Fruchtfolge zu ändern, sei schwierig, seine Möglichkeit, mehr Raps anzubauen, deshalb sehr limitiert. Die Entscheidung für oder gegen Raps muss bald fallen, denn die ölreichen Kohlpflanzen werden außergewöhnlich früh gesät, bereits kurz nach der Ernte Ende Juli/August. Von der hat Heinrichs, wie es üblich ist, erste Mengen schon verkauft als der Preis noch bei rund 500 Euro die Tonne lag. Ärgern mag er sich darüber nicht, „man muss immer nach vorne schauen“, rät der Landwirt.