Duisburg. Boykott russischen Gases würde den „Zusammenbruch der Wirtschaft“ bedeuten, befürchtet Unternehmer Grillo. Warum es vor allem Duisburg träfe.
Trotz des nicht enden wollenden Kriegs in der Ukraine und der verstörenden Bilder von Gräueltaten will die Bundesregierung zunächst an Gasimporten aus Russland festhalten. Ein möglicher Lieferstopp würde vor allem das industrielle Herz des Ruhrgebiets treffen. Die Sorgen in Duisburg sind groß. Denn laut IHK werden im Kammerbezirk rund neun Prozent der in Deutschland genutzten gewerblichen Energie verbraucht.
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Ulrich Grillo ist Mitgesellschafter der Duisburger Grillo-Werke. Das Spezialunternehmen für Zink und Schwefel ist bei der Produktion in besonderem Maße von Gas abhängig. Seine Standorte in Deutschland, Belgien und Frankreich verbrauchen jährlich 100.000 Kilowattstunden Gas.
„Wir kaufen Feinzink von den Zinkhütten. Wenn die nicht produzieren können, haben wir keine Rohware und können zum Beispiel kein Zinkpulver für die Herstellung von Batterien produzieren. Auf diesem Gebiet ist Grillo Weltmarktführer“, berichtet er und beschreibt damit die engmaschigen Lieferketten, die bereits durch die Corona-Pandemie aus dem Takt geraten sind. Jetzt kommt die Gasknappheit noch hinzu. Die Speicher sind gerade einmal zu 25 Prozent gefüllt, die Abhängigkeit von Russland ist groß. „Die deutschen Lieferketten funktionieren wie Dominosteine. Wenn einer umfällt, fällt die gesamte Reihe“, befürchtet Grillo.
Grillo: Zusammenbruch der Wirtschaft
Der Manager führt aber nicht nur ein Familienunternehmen mit rund 1400 Beschäftigten und einem Umsatz von zuletzt mehr als 700 Millionen Euro. Als ehemaliger Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) betrachtet er die sich zuspitzende Energiekrise auch aus der politischen Brille. „Ein Gasboykott könnte zum Zusammenbruch der deutschen und insbesondere der Ruhr-Wirtschaft führen. Er hätte zur Folge, dass Millionen Beschäftigte in der Metall-, Chemie-, Keramik-, Pharma und Glasindustrie in Kurzarbeit gehen müssen oder ihre Stellen ganz verlieren“, prophezeit Grillo und warnt: „Ein Gas-Boykott würde Deutschland härter treffen als Russland. Putin hat keine ökonomische Rationalität.“
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Scharf kritisiert er deshalb einen Teil der deutschen Ökonomen, die im Gegensatz zu Bundesregierung und Wirtschaft die Folgen eines Lieferstopps von russischem Gas für handhabbar halten. „Mich regt die Wissenschaft auf. Sie zeigt sich gelassen und ist zugleich zerstritten. Wie kann man die Folgen eines Gasboykotts bis zur Nachkomma-Stelle ausrechnen?“, kommentiert Grillo eine Prognose, die von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 2,6 Prozent ausgeht. „Das ist doch alles Theorie. Eine Situation wie die jetzige hat es nie zuvor gegeben. Wissenschaftler kennen überhaupt nicht die betriebliche Praxis. Deshalb halte ich ihre Prognosen für gefährlich“, meint der ehemalige BDI-Präsident.
OB Link: „Nicht nur mit dem Faktor Moral bewerten“
Grillos Sorgen teilt auch Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link. Beide betonen, dass es an der Solidarität mit der Ukraine nichts zu rütteln gebe. „Es ist richtig, dass die westliche Welt versucht, mit Sanktionen Putin zu treffen. Bei jeder Sanktion muss man sich aber überlegen, wie sie wirkt. Es ist niemandem damit geholfen, wenn ein Gasboykott uns härter trifft als den Aggressor“, gibt der SPD-Politiker zu bedenken und wird deutlich: „Gaslieferungen dürfen wir nicht nur mit dem Faktor Moral bewerten. Wir tragen auch eine Verantwortung gegenüber der deutschen Bevölkerung und der Wirtschaft. Energie muss verlässlich und auch bezahlbar bleiben.“
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Nach Links Angaben wären allein in Duisburg mehr als 33.000 der insgesamt 180.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Branchen wie Stahl, Metall, Chemie, Pharma, Glas oder Keramik von einem Gasboykott unmittelbar betroffen. „Meine Sorge gilt nicht nur den Unternehmen. Wir haben auch eine Verantwortung für einkommensschwache Bürgerinnen und Bürger, die sich die rasant steigenden Preise für Lebensmittel, Sprit, Strom und Heizung kaum noch leisten können.“
Und so schrillen in vielen Unternehmen der Industriestadt Duisburg die Alarmsirenen. „Fällt die Erdgasreserve unter eine bestimmte Schwelle, bedeutet das für Thyssenkrupp und viele andere Unternehmen: abschalten und stilllegen“, sagte Martina Merz, die Chefin des Stahl- und Industriegüterkonzerns, dem „Spiegel“. Um Schäden an den Anlagen zu vermeiden, brauche man zum Teil Wochen Vorlauf.
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„Wird der Stahlindustrie schlagartig der Zugang zu Erdgas verweigert, drohen ihren Kernaggregaten wie Hochofenanlagen und Kokereien irreparable Schäden, die zu dauerhaften massiven Produktionseinbrüchen auch in der verarbeitenden Industrie führen werden“, erklärt Gerhard Erdmann, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands Stahl und Vorstand der Duisburger Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM). Duisburg ist der größte Stahlstandort in Deutschland. Zu den großen Gas-Abnehmern zählen aber auch große Unternehmen wie Befesa Zinc, DK Recycling und FSB, ein Bäcker, der in Rheinhausen für die Fastfood-Kette McDonald’s täglich bis zu zwei Millionen Brötchen backt.
Ein abruptes Ende russischer Gaslieferungen werde aber nicht nur die Industrie treffen. „In den Unternehmen sind zum Teil Tausende Gasbrenndüsen im Einsatz. Wer H-Gas aus Russland bezieht, kann nicht ohne weiteres auf L-Gas oder auf Flüssiggas umstellen“, gibt der Duisburger Wirtschaftsförderer Rasmus Beck zu bedenken. „Wir haben die große Sorge, dass in vielen mittelständischen Unternehmen die Öfen für immer ausbleiben.“