Essen. In NRW fehlen laut Barmer-Report bis 2030 6000 Pflegekräfte mehr als bislang angenommen. Reformen sorgen für höheren Bedarf.

Der Pflegenotstand in NRW wird nach Berechnungen der Pflegekasse Barmer dramatischer als bislang angenommen. In weniger als zehn Jahren braucht NRW rund 230.000 Vollzeitkräfte in der Pflege und damit 6000 mehr als bislang berechnet. Das geht aus dem aktuellen Pflegereport der Barmer hervor, den die Kasse am Donnerstag dieser Redaktion vorlegte.

Heiner Beckmann, Landesgeschäftsführer der Barmer in NRW, betonte, dass es sich bei dem Report nicht um eine Extremberechnung handle, sondern um eine konservativ kalkuliertes Szenario. „Angesichts dieser Zahlen ist Deutschland auf dem besten Weg, in einen dramatischen Pflegenotstand zu geraten“, so Beckmann. „Die Pflege ist eine der größten Herausforderungen, die wir in Deutschland haben.“

Der neue Barmer-Pflegereport basiert auf der Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes von 2019 und berücksichtigt aktuellste Bevölkerungsvorausberechnung und die Auswirkungen jüngster Reformen. Laut Modellrechnung müssten die Hälfte der zusätzlich benötigten Stellen mit Fachkräften besetzt werden. Benötigt werden aber auch rund 2000 Vollzeit-Hilfskräfte ohne Ausbildung sowie 1000 mit einer Ausbildung. Zum Vergleich: Ende 2019 waren in NRW rund 270.000 Menschen in der Langzeitpflege beschäftigt – Vollzeitkräfte machten allerdings nur ein Viertel der Gesamtzahl aus.

Rein rechnerisch fehlen bis 2030 über 400 Pflegeheime in NRW

Laut Report nimmt die Zahl der Pflegebedürftigen in NRW bis 2030 deutlich stärker zu als in vorherigen Prognosen angenommen. In weniger als zehn Jahren haben über 1,3 Millionen Menschen Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung, 238.000 Betroffene mehr als bisher angenommen. Besonders zunehmen wird die Zahl der Menschen mit niedrigen und mittleren Pflegegraden. 2019 gab es in NRW rund 916.000 Menschen, die Leistungen aus den Pflegekassen in Anspruch nehmen konnten.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass der überwiegende Teil der Pflegebedürftigen wie derzeit auch zu Hause von ihren Angehörigen betreut wird, müssten Träger von Pflegeheimen und ambulanten Diensten ihre Angebote massiv ausbauen, um dem künftigen Bedarf gerechnet werden zu können. Den Berechnungen zufolge benötigt NRW knapp 35.000 zusätzliche Betten den Pflegeheimen als es aktuell in NRW gibt (rund 170.000). Das entspricht rein rechnerisch dem Neubau von 425 Pflegeheimen mit jeweils 80 Betten innerhalb dieses Jahrzehnts. Außerdem sind bis 2030 rund 37.500 weitere Plätze bei ambulanten Pflegediensten in NRW notwendig.

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Auch Ansprüche auf finanzielle Leistungen wie Pflegegeld werden zunehmen: Über 714.000 Menschen werden dem Papier zufolge 2030 zuhause von ihren Angehörigen - fast 200.000 Menschen mehr als aktuell.

Zehn Milliarden Euro mehr für die Kassen: Pflege wird teurer

Die Barmer geht davon aus, dass der Finanzbedarf der Pflegeversicherung in Deutschland ab 2030 bei 59 Milliarden Euro pro Jahr liegen wird – das sind zehn Milliarden mehr als Ende 2020. Mehr noch: Folgt man den pflegepolitischen Forderungen der Barmer, würde diese Summe nicht einmal ausreichen. Beckmann appellierte an den Bund, mehr Hilfsangebote für pflegende Angehörige zu schaffen, die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern und die Ausbildung attraktiver zu machen. Zugleich müssten Menschen in Pflegeheimen von ihren hohen Eigenanteilen stärker und andauernder entlastet werden als in der aktuellen Pflegereform vorgesehen. In NRW zahlen Betroffene seit Jahren überdurchschnittlich viel aus der eigenen Tasche zum Heimaufenthalt dazu.

Dazu, so Beckmann, müsse auch NRW wie gesetzlich vorgeschrieben, die Investitionskosten der Heimträger vollständig übernehmen. Bei der Einführung der Pflegeversicherung hatten Bund und Länder beschlossen, dass die Bundesländer die Investitionskosten tragen. Die Stelle im Elften Sozialgesetzbuch gilt allerdings als schwammig, der Rechtsanspruch daraus als nicht einklagbar.