Mülheim. Um Frust im Homeoffice zu vermeiden, sollen Chefs auf Bedürfnisse der Beschäftigten eingehen. Wie Berater aus Mülheim Zukunft der Arbeit sehen.

Büroarbeit wird nicht erst seit Ausbruch der Corona-Pandemie immer flexibler. Mit Tablets und Smartphones brauchen Beschäftigte keinen Schreibtisch. Migosens aus Mülheim begleitet Chefs und Teams auf dem Weg in die neue, hybride Arbeitswelt. Im Interview erklärt Mitgründer Paiman Minavi, warum er starre Wochenstunden und Urlaubstage für überholt hält und Anna Wolf fordert, wie Machtspiele und Frust im Betrieb vermieden werden können.

Migosens berät unter anderem Unternehmen zu Fragen der Zukunft der Arbeit. Sie wollen bei der Transformation Frust bei Mitarbeitenden vermeiden. Wie kann das gelingen?

Anna Wolf: Es kommt darauf an, dass im täglichen Miteinander erst gar kein Frust entsteht. Deshalb sollten Chefs danach schauen, welche Bedürfnisse die Beschäftigten haben. Es gibt eben Nachteulen und Eltern, die lieber früh morgens arbeiten, wenn das Kind noch schläft. Diese Gewohnheiten sollten sie im betrieblichen Alltag leben können.

Paiman Minavi: Wir sprechen ausdrücklich nicht von New Work und Digitalisierung. Wir beraten zum Wandel der Arbeit. Das umfasst viel mehr als Homeoffice und mobiles Arbeiten, also auch soziale Aspekte.

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Mit Ausbruch des Corona-Virus haben sich viele Beschäftigte plötzlich im Homeoffice wiedergefunden. Wird die Arbeit von zu Hause die Zukunft sein?

Minavi: In der Pandemie haben sich etliche Firmen gezwungenermaßen mit dem Thema Homeoffice auseinandergesetzt. Auf der technologischen Ebene ist viel passiert. Die Mitarbeitenden wurden mit Laptops und Smartphones ausgestattet. Das reicht aber nicht aus. Inzwischen gibt es wieder vielfach den Wunsch, ins Büro zurückzukehren. Da werden zwangsläufig Konflikte entstehen.

Wie können diese Konflikte vermieden werden?

Minavi: Die Unternehmen müssen einen Rahmen mit Regeln schaffen. Je nach Aufgabe sollen Beschäftigte im Idealfall selbst entscheiden können, wie sie arbeiten. Dabei gilt zum Beispiel, dass Arbeitszeit nicht mit Erreichbarkeit gleichzusetzen ist. Auch im Büro sind Mitarbeitende nicht erreichbar, wenn sie in Besprechungen sitzen oder in der Kantine zu Mittag essen. Gerade auch im Homeoffice kommt der Gesundheitsförderung eine große Rolle zu. Der Geist muss sich auch erholen können. Deshalb sollten Chefs nicht noch um 22 Uhr Mails an ihre Mitarbeiter verschicken und auch noch eine Antwort erwarten.

Wolf: Die Zukunft liegt im hybriden Arbeiten. Flexibilität darf nicht nur Homeoffice heißen, sondern muss auch die Möglichkeit zu Gleitzeit einräumen. Das nimmt den Druck auf die Beschäftigten. Sie wiederum müssen dann selbst auch darauf achten, dass irgendwann Feierabend ist. Das erfordert Selbstdisziplin.

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Wie unterstützen Sie die Unternehmen auf dem Weg zu mehr Flexibilität?

Wolf: Unser Ansatz ist, Unternehmen, die bessere Arbeitgeber werden wollen, ganzheitlich zu begleiten. In Gesprächen mit den Teams reflektieren wir zunächst einmal, was bereits gut läuft. Es muss ja nicht alles neu sein. Wir schauen dann, wo das Quäntchen mehr herauszuholen ist.

Wie groß schätzen Sie das Bewusstsein der Chefs ein, sich mit Themen rund um die Zukunft der Arbeit auseinanderzusetzen?

Minavi: Die Bereitschaft ist da. Es ist ja auch im eigenen Interesse der Unternehmen, weil sie neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen und die eigenen an sich binden müssen. Der Fachkräftemangel ist groß. Chefs müssen deshalb schneller reagieren bei der Suche nach Fachleuten. Das funktioniert nur über Wertschätzung und Kommunikation auf Augenhöhe.

Wolf: Natürlich gibt es auf den Führungsebenen der Firmen auch Skeptiker, die dem Wandel und Neuerungen nicht so offen gegenüberstehen. Das ist übrigens keine Frage des Alters, sondern des Typs. Es ist Teil unserer Aufgabe, in den Coachings diesen Mut für Neues zu fördern.

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Ein Blick in die Glaskugel: Wie wird Arbeit nach Ihrer Einschätzung in zehn Jahren aussehen?

Wolf: Mein Wunsch ist, dass die Unternehmen stärker überlegen, wie das Arbeiten Spaß machen und wie mehr Leichtigkeit in den Alltag gelangen kann. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Zukunft den Flexiblen gehören wird. Frust, Machtspiele und starre Strukturen sollten der Vergangenheit angehören. An die Stelle von Silo-Denken sollten Netzwerke treten.

Minavi: Die Veränderungen werden in einem viel schnelleren Tempo kommen. Das hat die Corona-Krise gezeigt. Es ist schon viel erreicht, wenn sich das Bewusstsein wandelt. Ideal wäre es doch, wenn die Beschäftigten sagen, ,Ich freue mich, dass es Montag ist‘ und nicht ,Endlich haben wir Wochenende‘.

Lassen denn Tarifverträge und Arbeitsrecht genug Spielraum für die Veränderungen, die Sie für nötig halten?

Minavi: Wir werden nicht umhinkommen, Arbeit und Schreibtisch zu entkoppeln. Eine 40-Stunden-Woche wird ebenso nicht mehr relevant sein wie der Anspruch auf 30 Tage Urlaub, die bis zum 31. Dezember abgenommen werden müssen. Davon würde ich mich gern befreien, wenn es rechtlich möglich ist. Es ist aber niemandem damit gedient, dass Beschäftigte physisch anwesend, aber gedanklich ganz woanders sind.

>>> Zur Person

Paiman Minavi ist studierter Informatiker und seit 2002 selbstständig. Drei Jahre später gehörte er zu den Mitgründern von Migosens. Die Mülheimer Firma mit ihren 28 Beschäftigten berät rund um die Themen Arbeit der Zukunft, Datenschutz und IT-Infrastruktur.

Anna Wolf kommt aus dem Management für Messen, Kongresse und Events. Zuletzt war die Wirtschaftspsychologin Projektleiterin bei der Messe Essen, wo sie die Einführung einer Software zur Neuausrichtung der Arbeitsprozesse begleitete.