Essen. Der Bund will die Unternehmen zu mehr Homeoffice drängen. Zu bürokratisch, sagen Kritiker. Es gibt aber auch positive Reaktionen.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist in der Zwickmühle: Vor einigen Wochen wurde er von Gewerkschaftsseite und der Links-Partei mit Häme überschüttet, weil der Koalitionspartner CDU/CSU seine Pläne für ein Recht auf Heimarbeit blockierte. Jetzt, da Unternehmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie mehr Beschäftigte verbindlich ins Homeoffice schicken sollen, hagelt es Kritik von Seiten der Wirtschaft und der FDP.
Am Morgen nach der Bund-Länder-Konferenz, die den Lockdown zunächst bis zum 14. Februar verlängerte, verteidigte Heil in Berlin seine Homeoffice-Pläne: „Mir geht es jetzt nicht darum, Unternehmen zu quälen oder ständig zu kontrollieren“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch. Mitte nächster Woche will der Minister eine Verordnung in Kraft setzen, die das Infektionsgeschehen eindämmen soll.
Ministerium spricht von "Pflicht" zum Homeoffice
Der Entwurf sieht vor, dass Arbeitgeber Beschäftigten mit Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anbieten sollen, auch zu Hause arbeiten zu können, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe dagegen sprechen. Das Ministerium spricht in den Erläuterungen zu der Verordnung von einer „Pflicht“, Homeoffice anzubieten, „soweit dies nach den betrieblichen Gegebenheiten möglich ist“. Die Verordnung soll zunächst bis zum 15. März gelten.
Auf den von Bund und Ländern getragenen Vorstoß folgte auf dem Fuße massive Kritik. NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart geißelte die Homeoffice-Verordnung am frühen Morgen als "Bürokratiemonster". In einem WDR-Interview sagte der FDP-Politiker: „Wir brauchen jetzt keine neuen Regeln, sondern wir brauchen vor allem Überzeugungsarbeit.“
Land NRW stockt Homeoffice-Angebote auf
Vor dem Wirtschaftsausschuss des NRW-Landtags wiederholte Pinkwart seine ablehnende Haltung am Mittwochmittag. Es gebe schon große Fortschritte bei dem Thema. So habe sich die Zahl der Arbeitsplätze in der Landesverwaltung, die „homeofficefähig“ sind, seit vergangenem Jahr von 10.000 auf 50.000 erhöht. Ein Drittel der Landesbeschäftigten nutze diese Möglichkeit, sagte Pinkwart. „Da haben wir massiv aufgestockt.“ In seinem Ministerium seien 80 Prozent der Mitarbeiter im Homeoffice.
Warnungen kommen erwartungsgemäß auch aus der Wirtschaft: „Deutschland muss mehr denn je aufpassen, dass es seine Wirtschaft in den kommenden Wochen nicht komplett abwürgt", reagiert der NRW-Arbeitgeberpräsident Arndt Kirchhoff auf die Verlängerung und Verschärfung des Lockdowns. Nach seiner Überzeugung hätten die Betriebe in NRW viel in Hygienekonzepte und Möglichkeiten für das mobile Arbeiten investiert. Die Beschlüsse sind daher unverhältnismäßig und drohen in ihrer Umsetzung extrem bürokratisch für die Unternehmen zu werden", warnt Kirchhoff.
Unternehmerverband: "reine Symbolpolitik"
Von "reiner Symbolpolitik" spricht Ulrich Kanders, Hauptgeschäftsführer des Essener Unternehmerverbands. In ihrem gemeinsamen Appell mit dem Bundespräsidenten hätten Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände bereits bewiesen, dass sie alles tun wollen, um noch mehr mobiles Arbeiten zu ermöglichen.
Der Verband für Fach- und Führungskräfte DFK begrüßt, dass das Thema Homeoffice inzwischen einen höheren Stellenwert genieße, sieht Teile von Heils Verordnung aber skeptisch. "Grundsätzlich sehen wir die nunmehr in der Politik angestrebte Zehn-Quadratmeter-Regelung positiv. Wir sind aber skeptisch, ob diese wirklich eingehalten werden kann. In Großraum-Büros müssten dann Arbeitsinseln eingerichtet werden, die auch von anderen Arbeitnehmenden nicht betreten werden dürfen", reagiert der Verband auf die geplante Arbeitsschutz-Vorschrift, für jeden Beschäftigten zehn Quadratmeter Platz vorzuhalten.
Evonik-Chef Kullmann begrüßt Homeoffice-Regelung
Es gibt aber auch positive Stimmen: „Die Verordnung ist vernünftig. Sie bestätigt in der Sache die bereits gängige Praxis, wie sie in unserer Industrie ohnehin schon gelebt wird", sagt Christian Kullmann, Präsident des Verbands der Chemischen Industrie und Chef des Essener Chemiekonzerns Evonik. Die Möglichkeiten, von zuhause zu arbeiten, "wenn immer das möglich ist", setze die Branche bereits "sehr konsequent" um. "Zugleich hat unsere Industrie in der Produktion die höchsten Standards zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, entsprechend klein sind die Infektionszahlen", so Kullmann. "Wir können bis heute unsere Infektionsketten nachvollziehen – anders als die Behörden.“
Bei Deutschlands größtem Vermieter Vonovia arbeiten nach eigenen Angaben in der Bochumer Konzernzentrale nur noch maximal zehn Prozent der 1000 Beschäftigten. Rolf Buch, Chef des Dax-Unternehmens, hatte unlängst einen leidenschaftlichen Appell an seine Mitarbeiter gerichtet,, zu Hause zu bleiben.
Auch die rund 16.000 Beschäftigten des Düsseldorfer Telekommunikationskonzerns Vodafone Deutschland arbeiten seit März fast ausschließlich im Homeoffice. "Ich hätte nicht gedacht, dass Menschen zu Hause im Schnitt produktiver arbeiten als im Büro. Und dazu weniger krank sind", zieht Geschäftsführer Hannes Ametsreiter eine positive Zwischenbilanz, betont aber gleichzeitig, dass Vodafone "keine 100 Prozent Homeoffice-Company" werden wolle. Neben der technischen Ausstattung zuhause wolle Vodafone auch den rechtlichen Schutz verbessern. "Deshalb wollen wir für für unsere Mitarbeitenden eine Versicherung fürs Homeoffice schaffen, die sie zusätzlich zuhause schützt", kündigt Ametsreiter an.
Der Sparkassen-Verband stellt in Aussicht, die Zahl von 60 Prozent der Verwaltungsmitarbeiter im Homeoffice angesichts der verschärften Corona-Regeln zu erhöhen. Aktuell seien bundesweit rund elf Prozent der Sparkassen-Filialen zeitweise geschlossen.