Bochum/Finnentrop. Das Autojahr ist für die Branche enttäuschend. Die Produktion kann der Nachfrage nicht folgen. Die Bochumer Tiemeyer-Gruppe (VW) wächst trotzdem.

Die Autobranche steckt gerade im Halbleiterstau. Was Autobauer und Zulieferer gerade nachhaltig beschäftigt, trifft auch den Handel und damit Kunden, die auf der Suche nach einem neuen Wagen sind. Ob Neu- oder Gebrauchtwagen, Pkw sind derzeit ein verknapptes Gut in Deutschland. Im Oktober dieses Jahres sind fast 40 Prozent weniger Autos produziert worden als im Vorjahr. Das beschäftigt alle Händler – auch die Tiemeyer-Gruppe, mit 27 Standorten in 14 Städten einer der größten VAG-Händler (VW, Audi, Seat, Skoda) der Republik. „Lieferzeiten sind momentan schwer vorhersehbar“, sagt Vorstandschef Heinz-Dieter Tiemeyer.

Schlechte Zeiten für Rabattjäger

Verlässlichkeit bei der Belieferung wird zum Fremdwort, nicht nur wegen der unübersichtlichen Lage bei der Chipproduktion. „Bestimmte Ausstattungen wie eine Anhängerkupplung oder eine Standheizung verlängern die Lieferzeiten ebenfalls. Warum, ist selbst für uns manchmal nicht klar“, so Tiemeyer. Für die Kunden, aber auch für die Händler selbst, war 2021 also ein Jahr mit vielen Unwägbarkeiten.

Tiemeyer mit Hauptsitz in Bochum ist es allerdings gelungen, noch einmal mehr Neuwagen als 2020 an Mann und Frau zu bringen. Der Umsatz ist von 790 Millionen Euro (2020) erneut gewachsen. Noch ist das Verkaufsjahr nicht zu Ende, aber rund 857 Millionen Euro dürften für 2021 dann in den Büchern stehen.

Die Tiemeyer-Gruppe ist mit den Standorten auch personell gewachsen. 1542 Beschäftigte zählt das Unternehmen, darunter 280 Auszubildende und viele Spezialisten. „Wir haben allein zehn Leute, die sich nur um den Ankauf von Gebrauchtwagen kümmern. Wir haben europaweit alles gekauft, was zu bekommen war“, sagt Tiemeyer.

Gerade werde in Hattingen ein Großlager für Gebrauchte gebaut. Rund 5000 Fahrzeuge hat die Gruppe im Bestand. Bei Bestellungen sind acht Monate Lieferzeit die Regel,manchmal dauert es auch länger. Tiemeyers Prognose ist, dass sich die Situation erst im Frühsommer wieder entspannen dürfte.

Momentan gelte für Kunden: Gute Zeiten, um den eigenen Gebrauchten los zu werden – schlechte Zeiten für Rabattjäger. „Bei den wenigen Autos im Showroom ist es heute sicher teurer ad hoc einen Golf zu kaufen als einen zu bestellen.“ Angebot und Nachfrage sorgen dafür, dass es für Fahrzeuge aus den Verkaufsräumen kaum Nachlass gibt. Und: „Elektroautos sind aktuell im Prinzip ausverkauft. Die Nachfrage ist hier 2021 noch einmal deutlich gestiegen. Im Oktober stiegen die Neuzulassungen rein batterieelektrisch betriebener Pkw in Deutschland um 32 Prozent auf 30.560 – unwesentlich weniger als Diesel-Pkw (30.890).

E-Autos werden meist geleast

Allein Tiemeyer konnte in diesem Jahr rund 1500 E-Autos der verschiedenen Marken verkaufen. Ein Trend, der aus Sicht des Branchenexperten vorerst anhalten werde. Das verändert auch das Geschäft. Beratungen zu Wallboxen, notwendiger Installationsmaßnahmen und Hilfe bei Förderanträgen gehören heute mit zum Service. Was früher die erste Inspektion beim Verbrenner war, ist heute beim E-Auto das Angebot zum „zweiten Verkaufstermin“, wie es Tiemeyer nennt. Der Umstieg vom Verbrenner zum Elektrofahrzeug sei mit so vielen Neuerungen verbunden, dass die Kunden kaum auf Anhieb alle Funktionen des E-Autos verstehen und nutzen könnten. Also wird den Kunden eine „Nachschulung“ angeboten.

Die meisten E-Autos würden geleast. Barkäufe seien ohnehin selten geworden, egal ob Verbrenner oder elektrisch angetrieben. Bei E-Autos spreche allerdings auch die schnelle technische Entwicklung im Batteriebau für Leasing. Die Modelle von heute könnten also wegen der geringeren Reichweite entsprechend an Wert verlieren, auch wenn die Hersteller auf die Akkuleistung Garantien geben. VW etwa, dass nach acht Jahren oder 160.000 Kilometern noch mehr als 70 Prozent der Ursprungsreichweite erreicht werden.

Spaß an Sauerlandstandorten

Tiemeyer ist besonders stark aufgestellt im Ruhrgebiet: „Die stärksten Plätze sind Bochum, Duisburg und Oberhausen.“ Das liege am Ballungsraum mit seinen potenziell vielen Käufern. „Mit den Standorten im Sauerland in Plettenberg, Werdohl und Finnentrop bin ich aber sehr zufrieden. Die machen Spaß“, sagt der Firmenchef. Im ländlichen Raum würden nach wie vor eher Benziner oder Diesel gekauft – wenn sie zu haben sind.

VDIK: Eine Million Pkw weniger zugelassen als 2019

Der Importeur-Verband VDIK befürchtet, dass der Automarkt noch weiter einbrechen wird. Die prognostizierten 2,6 Millionen neu zugelassen Pkw im Jahr 2021 wären ein Rückgang von elf Prozent zum Corona-Krisenjahr 2020 und das niedrigste Niveau seit der Wiedervereinigung.

Gemessen am starken Vorkrisenjahr 2019, als gut 3,6 Millionen Pkw neu zugelassen wurden, würde der Markt damit sogar rund eine Million Autos einbüßen. Die Hoffnung auf eine Erholung sei enttäuscht worden, sagte VDIK-Präsident Reinhard Zirpel am Donnerstag. Allerdings liege das Problem nicht auf der Nachfrageseite. „Die Kunden wollten mehr Autos kaufen, als die Industrie produzieren konnte.“ Der Halbleiter-Mangel habe die Branche mit voller Wucht getroffen. Im neuen Jahr erwartet der VDIK eine Markterholung auf etwa drei Millionen neue Pkw, ein Plus von 15 Prozent. Voraussetzung sei, dass sich die Lieferengpässe bei Chips und weiteren Teilen normalisierten. Kaum eine Funktion in modernen Autos ist ohne Mikrochips denkbar – egal ob Antriebsstränge, Abgasanlagen, Sicherheits- und Assistenzsysteme oder Digitalradios.

Im Gegensatz zum Gesamtmarkt erlebe man bei Elektro-Autos und Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen einen Boom. 660.000 Neuzulassungen (inklusive Hybrid) entspreche einem Plus von 70 Prozent gemessen am Vorjahr und einem Viertel der Gesamt-Neuzulassungen in Deutschland. Prognose für 2022: 850.000 neue E-Autos.