Lippstadt. Die Chipkrise dürfte die Autobranche noch bis Mitte 2023 beeinflussen. Damit rechnet Rolf Breidenbach, Chef des Autozulieferers Hella.

Der Automobilzulieferer Hella aus Lippstadt rechnet damit, dass der Mikrochipmangel die eigenen Geschäfte noch lange bremsen wird. Hella ist direkt von den Engpässen in der Halbleiterbranche betroffen, erklärte Hella-Vorstand Rolf Breidenbach am Donnerstag bei der Vorstellung der Bilanz für das Ende Mai abgelaufene Geschäftsjahr: „Ich rechne damit, dass wir erst Mitte 2023 aus den Lieferengpässen herauskommen.“

Seit Ende 2020 stockt die Produktion in der Branche, weil es an Mikrochips fehlt. Stopp-and-Go der Bänder beschäftigte im zweiten Geschäftshalbjahr den Licht- und Elektronikspezialisten an den Produktionsstandorten weltweit.

Die Versorgungsengpässe halten nach wie vor an. Autohersteller Volkswagen stoppt bereits die Produktion des Golf und des Elektromobils ID.3 in den Basisversionen – die gesamte Branche ist betroffen.

In Lippstadt wurde schon vor Monaten mit einer Task-Force auf die Situation reagiert. Um die Engpässe so gering wie möglich zu halten, fahndet das Team nach möglichen Chip-Kapazitäten und informiert sofort rund einhundert Spezialisten in den Hella-Werken, wenn es fündig wird.

Fraglich, ob der Name Hella bleibt

Rolf Breidenbach schätzt, dass die Materialkrise den Konzern im abgelaufenen Geschäftsjahr möglicherweise bis zu fünf Prozent Umsatz gekostet habe. Mit den erreichten 6,5 Milliarden Euro ist man in Lippstadt daher ausgesprochen zufrieden, zumal auch Auswirkungen der Pandemie das Wachstum in der Branche eingebremst hatten. Unter dem Strich steht ein zweistelliges Umsatzwachstum für 2020/21. Die Prognose für das laufende Jahr fällt verhalten optimistisch aus: Zwischen 6,6 bis 6,9 Milliarden Euro sollen dann zu Buche stehen – vielleicht schon auf dem Konto des französischen Konzerns Faurecia, der für vier Milliarden Euro zunächst die 60-Prozent-Aktienanteile der Gründerfamilien übernehmen wird, wie am Wochenende bekannt wurde. Das Ziel von Faurecia-Chef Patrick Koller ist es, mindestens 75 Prozent der Aktien zu erhalten, besser mehr.

Seit 2004 Chef bei Hella: Dr. Rolf Breidenbach kam als 40-Jähriger in die Geschäftsführung des Lippstädter Licht- und Elektronikspezialisten. Seine Zukunft nach der Übernahme durch Faurecia zur Jahreswende lässt der Topmanager noch offen – ebenso wie Hella-Finanzchef Bernard Schäferbarthold.
Seit 2004 Chef bei Hella: Dr. Rolf Breidenbach kam als 40-Jähriger in die Geschäftsführung des Lippstädter Licht- und Elektronikspezialisten. Seine Zukunft nach der Übernahme durch Faurecia zur Jahreswende lässt der Topmanager noch offen – ebenso wie Hella-Finanzchef Bernard Schäferbarthold. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Ein entsprechendes Angebot in Höhe von 60 Euro pro Aktie für alle Aktionäre hatte der französische Konzern umgehend angekündigt. Nehmen genügend an, würde Hella, seit August 2014 im M-Dax gelistet, ziemlich sicher von der Börse genommen. Gelingt dies nicht, könne man dennoch rund 85 Prozent des Potenzials heben, dass Faurecia sich von der Hella-Übernahme erhofft, erklärte Koller zu Wochenbeginn.

Dividendenvorschlag: 96 Eurocent

Der 62-Jährige hält das Angebot für lukrativ, auch wenn der Kurs zwischenzeitlich sogar bei knapp 70 Euro lag – seit dem Frühjahr getrieben durch die Übernahmegerüchte. Gemessen am Aprilkurs, als die Gerüchte sich verhärteten, bedeuten 60 Euro ein Plus von über 30 Prozent. Zu diesem Angebot kommt für die aktuellen Aktionäre in jedem Fall noch die Dividende für das abgelaufene Geschäftsjahr dazu. Die Hella-Chefetage schlägt 96 Eurocent vor.

Gelingt Faurecia die Übernahme wie gewünscht, wird Hella wohl nicht nur von der Börse genommen. Geht es nach Patrick Koller, sollte auch ein neuer Name für den dann siebtgrößten Autozulieferer der Welt gefunden werden, als dessen mittelfristiges Ziel 33 Milliarden Euro Umsatz bis 2025 genannt sind – mindestens acht Milliarden sollen die Geschäfte von Hella beitragen.

Zukunft der Vorstände offen

Welche Rolle dabei die heutigen Hella-Vorstände, insbesondere Rolf Breidenbach und Finanzchef Bernard Schäferbarthold, spielen werden, ist noch unklar. Breidenbach, seit 17 Jahren an der Spitze des Lippstädter Konzerns, wurde am vergangenen Montag in aller Öffentlichkeit vom Faurecia-Chef Koller in höchsten Tönen gelobt und umworben. Dennoch wollte der 57-jährige Manager zunächst bis Ende dieses Jahres die Voraussetzungen für eine geschmeidige Übernahme schaffen und sich aktuell nicht konkret erklären.

Auch der 50-jährige Finanzexperte Schäferbarthold legt sich nicht fest: „Ich bin sehr offen. Hella ist ein großartiges Unternehmen, dem ich viel zu verdanken habe. Es muss sich zeigen, ob es bei Faurecia eine Rolle für mich gibt, die für beide Seiten passt.“

Hella – Bilanz und Ausblick

Mit 6,5 Milliarden Euro (Vorjahr 5,8 Mrd. Euro) liegt Hella beim Umsatz 2020/21 am oberen Ende der eigenen Prognose. Bereinigt um Sondereffekte ein Plus von 13,3 Prozent. 510 Millionen Euro stehen beim operativen Ergebnis zu Buche. Im Vorjahr waren es 227 Millionen Euro – ein Plus von 125 Prozent.

Für das laufende Geschäftsjahr schätzt Hella den Umsatz vorsichtig auf 6,6 bis 6,9 Mrd. Euro. Insgesamt verlangsamt sich das Wachstum in der Automotivebranche damit gegenüber dem Vorjahr, als die Branche bei rund zehn Prozent Plus lag.

Die Zahl der Beschäftigten liegt bei rund 36.000. Das Personalabbauprogramm am Stammsitz in der Größenordnung von 900 Arbeitsplätzen sei zu rund 70 Prozent umgesetzt. Hella-Chef Rolf Breidenbach betonte erneut, dass er die Jobs in Deutschland durch den Übergang zu Faurecia für sicherer hält als vorher. Insgesamt werde sogar Personal aufgebaut – allerdings vermutlich nicht in wesentlichem Umfang in Deutschland.