Essen. Die Berliner Ampel und NRW sind für einen Kohleausstieg 2030, RWE und Uniper zeigen sich offen. Doch bisher fehlt es an den Grundvoraussetzungen.

Dass zwei CDU-Politiker zum selben Thema zwei Meinungen haben, ist dieser Tage nicht sehr ungewöhnlich. Dass die zwei CDU-Ministerpräsidenten der beiden letzten großen Braunkohlereviere sich widersprechen, schon. „Wir sind in Nordrhein-Westfalen zu einem Ausstieg aus der Kohle auch schon 2030 bereit“, sagte der neue Ministerpräsident Hendrik Wüst in seiner Antrittsrede. „Ich halte es wirtschaftlich nicht für umsetzbar“, sagte unlängst Reiner Haseloff (CDU), der Regierungschef von Sachsen-Anhalt. Wüst will die Dörfer retten, Haseloff die Arbeitsplätze. Die Zeiten, da die Braunkohleländer zusammen für möglichst lange Laufzeiten kämpften, sind vorbei. Ist damit das von SPD, Grünen und FDP angepeilte Ausstiegsdatum 2030 fix?

Es braucht mehr Ökostrom aber auch Gaskraftwerke

Der politische Wille ist da und er wird immer breiter getragen. Selbst die natürlichen Gegner eines früheren Kohleausstiegs lenken ein: An ihnen solle es nicht scheitern, erklärten die Stromriesen RWE und Uniper unlängst. Doch beides löst noch keines der gigantischen praktischen Probleme: Will Deutschland in gut acht Jahren keine Kohle mehr verfeuern, muss es sehr bald sehr große Weichen neu stellen. Dazu gehört ein enormer Zubau an Wind- und Solarstrom ebenso wie viele neue Gaskraftwerke als klimaschonendste fossile Brückentechnologie. Da die Genehmigungen für neue Kraftwerke, ob für Gas oder Grünstrom, derzeit vier bis acht Jahre dauern, rückt das Datum 2030 für die erforderlichen Entscheidungen schon heute bedrohlich nahe.

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Der neue RWE-Chef Markus Krebber (48) beschreibt seinen Führungsstil mit den Worten „flache Hierarchien, schnelle Entscheidungen, Pragmatismus, aber auch immer ein kritisches Hinterfragen, ob der eigene Weg der richtige ist“.
Von Ulf Meinke, Stefan Schulte und Andreas Tyrock

Deshalb zeigen derzeit alle, die einem früheren Kohleausstieg grundsätzlich nicht im Wege stehen wollen, nach Berlin. Die Konzerne stellen Bedingungen sowohl für den Ausstieg aus der Kohle als auch für den Neubau von Gaskraftwerken und Erneuerbaren. Auch der neue NRW-Regierungschef lenkt den Blick in die Hauptstadt: „Ich fordere gerade von denen, denen es mit dem Kohleausstieg nicht schnell genug gehen kann, die Bereitschaft, endlich ihre Blockaden gegen schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren aufzugeben“, sagte Wüst in Richtung der grünen Basis.

Tatsächlich hat NRW selbst genug Hausaufgaben zu erledigen, etwa beim schnelleren Ausbau der Windkraft. Doch es liegt in erster Linie an der neuen Bundesregierung, Haseloffs düstere Prophezeiung zu widerlegen, die da lautet: „Es wird eine Energielücke entstehen, die wir nicht schließen können.“ Dafür gilt es viele Hindernisse aus dem Weg zu räumen, dies sind die drei größten:

Hürde eins: Ein neuer Kohlekompromiss

Haseloff weist zurecht darauf hin, dass der Ausstiegspfad bis 2038 so im Gesetz steht. Um das letzte Kohlekraftwerk früher abzuschalten, braucht es somit einen neuen Kohlekompromiss. Dafür muss die noch zu bildende Ampel-Regierung erneut auf die Konzerne zugehen, die bereits beim letzten Mal 4,35 Milliarden Euro allein für das vorzeitige Braunkohle-Aus erhalten haben. Auch für die jüngsten Steinkohlekraftwerke, allen voran Unipers Datteln 4 und Steags Walsum 10, sind Härtefall-Entschädigungen vorgesehen.

https://www.waz.de/wirtschaft/uniper-will-entschaedigung-fuer-frueheren-ausstieg-in-datteln-id233468667.htmlUniper-Chef Klaus-Dieter Maubach rechnet fest damit, dass die neue Regierung auf ihn zukommt. Wann sein umstrittenes Großkraftwerk Datteln 4 vom Netz gehe, sei eine politische Entscheidung, betonte er unlängst. Uniper verlange für ein früheres Abschalten aber eine Entschädigung. Im Ruhrgebiet würde man sagen: „Wir sind dabei – wenn die Kohle stimmt.“

RWE-Chef Markus Krebber ist wie Maubach den Aktionären seines Konzern verpflichtet, setzt aber andere Akzente und fordert zuerst, der Staat müsse bei einem früheren Ausstieg die sozialen Folgen für die Beschäftigten abfedern. Zum Thema Entschädigung sagte er dem Spiegel: „Wenn wir genügend Grünstromkapazitäten in Deutschland aufbauen können, muss man nicht über Kompensation nachdenken.“ Damit lenkt er zugleich den Blick auf den viel zu langsamen Ausbau der Erneuerbaren, dem neuen Kerngeschäft des Essener Stromkonzerns.

Hürde 2: Schnellerer Ausbau der Erneuerbaren und Netze

Um die Kohle überflüssig zu machen, muss der Ausbau der Erneuerbaren gegenüber dem aktuellen Tempo vervielfacht werden. Bis jetzt waren für 2030 noch neun Gigawatt Braunkohlestrom fest eingeplant, dazu acht Gigawatt Steinkohlestrom. Davon ausgehend, dass der Strombedarf bis dahin deutlich steigen wird, klafft demnach eine riesige Lücke. Der Ausbauplan für Windkraft und Photovoltaik könnte einen Großteil auffangen – so er denn eingehalten würde. Dafür müssten jährlich etwa doppelt so viele Anlagen installiert werden wie zuletzt, NRW müsste sein Tempo beim Windstrom laut dem Landesverband Erneuerbare Energien NRW sogar verdreifachen.

Den Ausbau bremst aber schon heute nicht mangelnder politischer Wille, sondern die deutsche Bürokratie, die sich Gegner etwa von Windrädern zunutze machen, um Projekte zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Nicht selten sind es Bürger und Initiativen, die den Grünen nahe stehen und den Tier- und Umweltschutz als Argumente anführen. Deshalb sehen viele die Grünen in der Pflicht, die Protestwogen zu glätten und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Dieselbe Problematik gilt es zu lösen, um den Netzausbau zu beschleunigen. Ohne riesige Nord-Süd-Trassen kommt der Meereswindstrom nicht von der Nordsee ins industrielle Herz im Süden.

Hürde 3: Neue Gaskraftwerke

Doch selbst wenn das alles gelingt, wird die Kohle 2030 nicht vollständig durch Ökostrom ersetzbar sein. Mangels Masse und mangels Speicherkapazitäten braucht Deutschland dann nach wie vor eine große Menge an „regelbarer Kraftwerksleistung“, die Prognosen bewegen sich zwischen 60 und 70 GW. In wind- und sonnenarmen Zeiten sollen vor allem Gaskraftwerke die Stromversorgung sichern. Weil heute nur rund 26 GW installiert sind, müsste der Gaskraftwerkspark mehr als verdoppelt werden.

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Nur: Wer soll sie bauen? „Um hierfür Investitionsentscheidungen treffen zu können, ist Planungssicherheit erforderlich“, betont RWE auf Anfrage dieser Zeitung. Da auch die Gaskraftwerke parallel zum Ausbau des Ökostroms mit den Jahren immer weniger laufen werden und lediglich als Brücke gedacht sind, werden sie im Markt kaum rentabel zu bewirtschaften sein. Die großen Stromerzeuger fordern deshalb schon jetzt Vergütungsformen, die erwartbare und ja auch politisch gewollte Stillstände kompensieren. RWE schwebt „ein Mechanismus“ vor, „mit dem neben dem erzeugten Strom auch die Bereitstellung der Anlagen honoriert wird“.

RWE: Brauchen konkreten Fahrplan

Doch selbst dann wäre es alles andere als nachhaltig, die neuen Kraftwerke nach zehn, spätestens 15 Jahren wieder einzumotten. Deshalb bietet es sich an, sie mittelfristig auf den Betrieb mit klimaneutralem Wasserstoff umzurüsten. Doch dafür müsste er am jeweiligen Standort dann auch verfügbar sein. Es brauche daher „einen konkreten Fahrplan, damit Gaskraftwerke mittelfristig klimaneutral klimaneutral – also zum Beispiel mit grünem Wasserstoff – betrieben werden können“, betont RWE.