Essen. Eon will bis 2032 ein Wasserstoff-Netz zwischen Duisburg und Dortmund aufbauen. Ökostrom aus Italien und grüner Ammoniak aus Spanien als Basis.

Politik und Wirtschaft haben sich festgelegt: Der Weg zu einer klimaneutralen Industrie führt nur über Wasserstoff als Energieträger der Zukunft. Alle großen Konzerne aus Energiewirtschaft und Industrie vernetzen sich in diversen Wasserstoff-Initiativen, vor allem im Ruhrgebiet. Erstens, um diesen Zug nicht zu verpassen, zweitens, weil keiner den Umstieg alleine hinkriegt: Von der Produktion grünen Wasserstoffs mit Ökostrom über Speicherung und Transport bis zur Anwendung in großem Maßstab müssen viele Räder ineinander greifen. Und vor allem braucht es riesige Mengen Grünstrom, die Deutschland nicht selbst erzeugen kann, sondern großteils wird importieren müssen.

Deutschlands größter Energieversorger Eon macht sich nun auf den Weg und will im Ruhrgebiet zeigen, wie es gehen kann. Der Essener Dax-Konzern will ab 2032 mit vielen europäischen Partnern die hiesige Industrie sowie Kommunen und Mittelstand versorgen. „Wasserstoff ist das neue Grubengold“, sagte Eon-Chef Leonhard Birnbaum, „wir sehen bereits jetzt einen großen Bedarf auch mittelständischer Betriebe, ihre Produktion auf Wasserstoff umzustellen.“ Eon habe bereits 50 Pilotprojekte laufen, dieses sei mehr als das 51. Projekt, sondern der erste Versuch, eine Infrastruktur im industriellen Maßstab aufzubauen.

Ökostrom aus Italien, grüner Ammoniak aus Spanien

Dass dies ein sehr komplexes und langwieriges Unterfangen wird, lassen die am Montag vorgestellten ersten Details des „H2.Ruhr“ genannten Projekts erahnen: Mit Grünstrom aus Italien und in Ammoniak gebundenem Wasserstoff aus Spanien will Eon über das heimische Gasnetz seine Kunden versorgen. Dazu ruft der Konzern schon jetzt Kommunen und Betriebe auf, ihre möglichen Abnahmemengen zu melden. Birnbaum peilt eine Investitionsentscheidung im Jahr 2023 an, bis das erste klimaneutral hergestellte Gas zum Kunden strömt, wird es weitere knapp zehn Jahre dauern.

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Die Thyssenkrupp-Vorstandsvorsitzende Martina Merz, Vonovia- und Initiativkreis Ruhr-Chef Rolf Buch sowie Krupp-Stiftungschefin Ursula Gather (von links) beim Redaktionsbesuch. Im Interview stellen sie ein neues Wasserstoff-Bündnis für das Ruhrgebiet vor.
Von Alexander Marinos, Tobias Kisling und Ulf Meinke

Viele Betriebe hätten sich bereits von sich aus gemeldet, betont Katherina Reiche, Chefin der Eon-Netztochter Westenergie und Vorsitzende des Nationalen Wasserstoffrates. Denn: „Wasserstoff ist keine Option mehr, sondern ein Muss. Er ist die industriepolitische Antwort auf die Pariser Klimaziele, aber zugleich eines der komplexesten Vorhaben der Industriegeschichte.“ Das Projekt ist zunächst auf den Transport von bis zu 80.000 Tonnen Wasserstoff (H2) ausgelegt – zunächst in Essen und Duisburg, bis 2032 auch bis Bochum und Dortmund.

Westenergie will Mittelstand beliefern

Westenergie beliefert aktuell über seine rund 24.000 Kilometer langen Gasleitungen neben Kommunen, Stadtwerken und Privathaushalten auch 3900 Industriekunden. Sieben von zehn dieser Betriebe könnten ihre Produktion nicht elektrisch steuern, sondern benötigten Prozessgase, sagte Reiche. Grundsätzlich lasse sich Wasserstoff bereits jetzt durch die bestehenden Gasleitungen transportieren, Westenergie teste gerade an einzelnen Leitungen, inwieweit Rohre, Kompressoren oder Dichtungen ertüchtigt werden müssten.

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Die größte Aufgabe wird demnach nicht der Aufbau der Infrastruktur, sondern die Produktion und die Beschaffung von genügend grünem Wasserstoff. Das energiereiche Gas wird durch Elektrolyse, sprich die Spaltung von Wasser in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) gewonnen. Klimaneutral ist das nur, wenn der Elektrolyseur mit reinem Ökostrom betrieben wird. Das größte Problem: Hierzulande kann selbst bei einem deutlichen Zubau von Windrädern und Solaranlagen nicht annähernd genug Grünstrom produziert werden, um den Energiehunger der deutschen Industrie und des Wärmesektors mit grünem Wasserstoff stillen zu können. Deutschland brauche für die Umstellung seiner Industrie die meisten Grünstrom-Importe in Europa, so Birnbaum.

Die Herstellung großer Mengen ist die Herausforderung

Deshalb arbeitet Eon mit den großen südeuropäischen Energiekonzernen zusammen: Die italienische Enel will den grünen Strom direkt exportieren, er soll dann im Ruhrgebiet genutzt werden, um Wasserstoff herzustellen. Dafür will Eon einen Elektrolyseur mit einer Startkapazität von 20 Megawatt bis 2025 fertigstellen und ausbauen.

Die spanische Iberdrola will dagegen vor Ort grünen Wasserstoff herstellen und diesen in Ammoniak binden, der dann in flüssiger Form verschifft werden kann. Im Ruhrgebiet kann aus dem Ammoniak der Wasserstoff zurückgewonnen werden. Eon prüft noch, das selbst zu tun oder den grünen Ammoniak direkt zu vermarkten. Welche der beiden Speicher- und Transportoptionen die bessere sei? „Da gibt es kein Entweder Oder – wir brauchen beides“, sagt Katherina Reiche. Birnbaum ergänzt, das lasse sich erst sagen, wenn ein Projekt wie dieses in industriellem Maßstab laufe.

Eon sieht viele Hausaufgaben für neue Regierung

Beide betonen, dass eigentlich noch viele Bedingungen wie Anschubfinanzierung, Förderrahmen und regulatorische Voraussetzungen fehlten, um die sich die neue Bundesregierung kümmern müsse. Aber: „Wir wollen trotz des wirtschaftlich unreifen Umfelds nicht länger warten“, sagt Westenergie-Chefin Reiche. Denn der weltweite Wettlauf um den neuen Energieträger Wasserstoff habe längst begonnen, „das größte Risiko für uns wäre es, zu spät zu beginnen“.

Auch in Deutschland und im Ruhrgebiet laufen bereits viele Projekte. Etwa das von Thyssengas und dem Essener Netzbetreiber Open Grid Europe, die bis 2026 den Thyssenkrupp-Stahlstandort im Duisburger Norden über eine Pipeline von Dorsten mit Wasserstoff versorgen wollen.