Essen. Die neue Wirtschaftsförderin Julia Frohne fordert von der Landesregierung mehr Gewicht für das Ruhrgebiet. Im Wasserstoff sieht sie große Chance.
Seit Mitte August steht Julia Frohne an der Spitze der Business Metropole Ruhr und ist damit die oberste Wirtschaftsförderin im Ruhrgebiet. Die Kommunikationsprofessorin hat die Aufgabe im Tochterunternehmen des Regionalverbands Ruhr in schwierigen Zeiten übernommen: Die angestrebte Corona-Pandemie hat auch die Ruhrwirtschaft geprägt. Die Klimaneutralität bis 2045 ist eine Mammutaufgabe. Julia Frohne fordert im Gespräch mit Andreas Tyrock, Stefan Schulte und Frank Meßing ein größeres Gewicht des Ruhrgebiets im Land Nordrhein-Westfalen und mahnt mehr Gewerbeflächen an.
Frau Frohne, Sie kommen gerade von der Expo Real in München. Wie groß war das Interesse am Ruhrgebiet auf Europas größter Immobilienmesse?
Julia Frohne: Unser Stand war immer voll, obwohl wir ihn gegenüber der letzten Expo 2019 deutlich vergrößert haben. Insgesamt waren weniger Besucher da als vor der Pandemie, aber dafür alle wichtigen Entscheidungsträger. Ihr Interesse am Ruhrgebiet wächst. Wie ich aus unseren Städten höre vor allem deshalb, weil sie inzwischen viele gelungene Projekte vorzeigen können. In den zwölf Kommunen, die mit in München waren, ist viel passiert.
Insgesamt waren nur gut halb so viele Aussteller auf der Expo Real. Sie haben ihre Fläche dagegen noch vergrößert, eine bewusste Entscheidung gegen den Trend?
Frohne: Ja. Wir haben gleich gesagt: Wenn wir da hingehen, dann richtig. Jetzt, da die Pandemie abklingt, ist die Zeit für Unternehmen zu investieren. Sie legen inzwischen mehr Wert auf nachhaltige Immobilienentwicklung, auf das Verknüpfen von Arbeit und Wohnen, auf grüne Quartiersentwicklung. All das geht im Ruhrgebiet. In den A-Städten wie Berlin, München und Hamburg ist das Bauland noch knapper als hier – und teurer.
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Aber die Klage über fehlende Gewerbeflächen ist doch im Ruhrgebiet besonders laut: Städte wie Mülheim und Bottrop melden Ausverkauf.
Frohne: Es stimmt, die Flächen sind auch bei uns nach wie vor knapp. Aktuell haben wir zwar nur noch 1636 Hektar zur Verfügung, ein Fünftel weniger als vor einem Jahr. Davon sind aber nur 30 Prozent restriktionsfrei und verfügbar, der Rest muss erst noch nutz- und vermarktbar gemacht werden, häufig durch Rückbau oder teure Sanierung kontaminierter Böden. Dabei braucht das Ruhrgebiet Unterstützung, auch vom Land.
Das Ruhrgebiet solle nicht immer nur jammern, schallt es aus Düsseldorf in der Regel zurück.
Frohne: Ich höre aus den 53 Kommunen der Metropole Ruhr kein Jammern. Bochum investiert eine halbe Milliarde Euro in seine Innenstadt. Dortmund, Duisburg und Gelsenkirchen tun sehr viel, um die Internationale Gartenausstellung (IGA) 2027 anzuschieben. Alle strengen sich sehr an, aber unsere Montanvergangenheit hinterlässt Spuren, deren Beseitigung die Kommunen allein nicht schaffen können.
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Was erwarten Sie von der Landesregierung und dem designierten Ministerpräsidenten Hendrik Wüst?
Frohne: Im Ruhrgebiet lebt ein Drittel der NRW-Bevölkerung, wir sind der größte Ballungsraum Deutschlands mit vielen Konzernsitzen und viel Mittelstand. Deshalb meine ich, das Ruhrgebiet sollte mehr Gewicht haben und bei sämtlichen landespolitischen Entscheidungen eine Rolle spielen. Wir brauchen hier neue Jobs, dafür brauchen wir aber zuerst neue Flächen, und für die Aufbereitung und Sanierung braucht das Ruhrgebiet Geld. Belastete Flächen aufzubereiten und nachhaltig zu bebauen, dient auch dem Klimaschutz und ist damit sicher im Sinne des Landes.
Jüngst wurde der letzte Schacht auf Prosper Haniel in Bottrop verfüllt, es werden weitere alte Montanflächen frei. Wann wird sich der Flächenmangel entspannen?
Frohne: In fünf bis zehn Jahren, wenn die rund 1300 Hektar hinzugekommen sind, die der Regionalverband Ruhr auf 24 regionalen Kooperationsstandorten als städteübergreifende Gewerbe- und Industrieflächen ausgewiesen hat. All das wird uns auf dem Weg zur grünsten Industrieregion der Welt helfen.
Zuletzt haben sich vor allem Logistikriesen im Ruhrgebiet niedergelassen. Weil sie viel Fläche für relativ wenige Arbeitsplätze verbrauchen, sind sie nicht mehr in jeder Stadt willkommen. Wie blicken Sie auf den Logistik-Boom?
Frohne: Einige Städte freuen sich nach wie vor über Logistik-Ansiedlungen, anderen reicht’s. Ich verstehe die Vorbehalte, doch Logistik gehört zur Daseinsvorsorge, sie folgt dem veränderten Konsumverhalten der Menschen und zahlt damit auf unsere Zukunft ein.
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Nur ist es für Stadtoberhäupter nicht so leicht, einerseits die Verödung der Innenstädte zu beklagen und andererseits Versandriesen wie Amazon, DHL & Co. willkommen zu heißen, die für das Sterben kleiner Einzelhändler mitverantwortlich gemacht werden.
Frohne: Weniger Logistik führt umgekehrt aber doch nicht zu lebendigeren Innenstädten. Ich glaube nicht, dass man Bürgerinnen und Bürger in ihrem Konsumverhalten umerziehen kann und sollte. Die Belebung der Innenstädte ist ein sehr komplexes Thema, das wir mit vielen Ideen und Initiativen angehen.
Müssten die Städte ihre Bevölkerung nicht trotzdem besser mitnehmen, wenn Gewerbeflächen bebaut werden?
Frohne: Das ist immer wichtig. Gerade bei der Entwicklung von Gewerbeflächen gibt es viel zu erklären, manche Anwohnerinnen und Anwohner sind aber grundsätzlich gegen neues Gewerbe. Jedoch: Mehr als die Hälfte der neuen Arbeitsplätze sind in den vergangenen Jahren auf Gewerbeflächen entstanden. Im Übrigen waren zwei Drittel dieser Flächen vorher Brachen. Das per se zu verteufeln, gefährdet die Zukunft unserer Kinder, die hier Arbeit brauchen, wenn sie groß sind.
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Es werden auch Flächen frei durch den Kohleausstieg, die meisten Steinkohlekraftwerke gehen sehr bald vom Netz. Die betroffenen Städte Duisburg, Gelsenkirchen, Herne, Hamm und der Kreis Unna erhalten insgesamt 662 Millionen Euro Strukturhilfe. Wie weit ist das 5-Standorte-Programm, das Ihre BMR koordiniert?
Frohne:. Die gemeinsamen Faktoren zur Bewertung der Projekte stehen und die Finanzierung durch die Bund-Länder-Vereinbarung ist im Sommer verabschiedet worden. Nach diesen langen und zuweilen zähen Prozessen sind in den letzten Sitzungen des Strukturstärkungsrats erste konkrete Projekte vorgestellt worden. Wir begleiten als BMR die Projektentwicklung und Weiterqualifizierung.
Wann erwarten Sie die ersten Förderzusagen?
Frohne: Die Förderentscheidung liegt letztlich beim Land, ich gehe von ersten Zusagen im kommenden Jahr aus.
Geht es ihnen zu langsam?
Frohne: Als Wissenschaftlerin bin ich dafür, lieber gründlich statt überhastet zu planen. Aber natürlich wollen wir jetzt Schwung aufs Rad bringen. Mir ist wichtig, möglichst viele Projekte in der Region anzuschieben, die auch hochqualifizierte Arbeitsplätze schaffen, mit denen wir unsere vielen Talente von den Hochschulen in der Region halten können. Auch beim 5-Standorte-Programm: Dass viele der bisherigen Vorschläge aus den Kommunen forschungsorientiert sind, begrüße ich deshalb sehr.
Welche Klammer soll das Programm für die Steinkohlestädte haben? Wasserstoff-Technologie?
Frohne: Die wichtigste Klammer sollte sein, sich eng abzustimmen und so Dopplungen zu vermeiden und zu erkennen, welche Bereiche bisher ganz fehlen. Wasserstoff muss sicher ein Schwerpunktthema sein. Im Ruhrgebiet sitzen die Industrie, die Wasserstoff benötigt, um klimaneutral zu werden, und fünf Millionen Menschen, die Energie benötigen. Daher ist es natürlich prädestiniert als Wasserstoff-Region.
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Das wäre die Energie der Zukunft. Aktuell erleben wir explodierende Preise herkömmlicher Energieträger. Wie gefährlich ist das für die hiesige Wirtschaft?
Frohne: Sehr gefährlich, wir stecken in einer echten Energiekrise. Wenn die Preise auch mittelfristig so hoch bleiben oder noch weiter steigen, werden viele Unternehmen, vor allem kleine und mittelständische, ihren Strom nicht mehr bezahlen können.
Muss die Politik einschreiten? Die EU hat ja Vorschläge dafür gemacht, etwa Steuererleichterungen und Hilfen für kleine Unternehmen.
Frohne: Ich bin skeptisch, ob der Staat alles ausgleichen kann. Zumal wir wegen der Pandemie in eine Rekordverschuldung laufen. Aber die neue Bundesregierung wird sich diesem Thema widmen müssen.
Frau Frohne, Ihr neuer Job hat eine nicht unbeträchtliche politische Note. Sie müssen mit 53 Bürgermeistern und deren Wirtschaftsförderern auskommen und zwischen ihnen vermitteln. Liegt ihnen das?
Frohne: Ich arbeite sachorientiert, will mich um eine Fachkräfte-Offensive, Flächenentwicklung und Standortmarketing kümmern. Es war und ist illusorisch, dass sich immer alle unter einem Ziel versammeln, sehe aber jetzt schon, dass es viele tun. Auf der Expo Real habe ich eine hohe Bereitschaft gesehen, noch mehr zusammenzuarbeiten. Im internationalen Wettbewerb werden Städte erst ab einer Million Einwohner überhaupt wahrgenommen. Deshalb ist es wichtig, als Metropole Ruhr mit ihrer ganzen Größe und Kraft aufzutreten.
>>> Zur Person: Julia Frohne
Julia Frohne wurde 1969 in Köln-Nippes geboren und wuchs in Frankfurt am Main auf. Nach ihrem Studium der Kommunikationswissenschaften, Psychologie und Jura arbeitete sie zunächst für den Bundesverband deutscher Zeitungsverleger, das Prüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG, die Kulturhauptstadt Ruhr.2010 und die International School of Management in Dortmund.
Vor ihrem Wechsel zur Business Metropole Ruhr hatte die Wissenschaftlerin eine Professur für Kommunikationsmanagement an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen inne.
Julia Frohne ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Essen. Seit 2016 ist sie Mitglied der CDU.