Düsseldorf. NRW-Ministerin Scharrenbach ist für Bebauung von Borkenkäfer geschädigten Waldflächen mit Windkraftanlagen. Öko-Lobbyist Priggen findet es gut.

Welche Farbenlehre im Politbetrieb in Berlin in den kommenden vier Jahren auch immer gelten mag, Entscheidungen für eine forcierte Klimawende wirken letzten Endes vor Ort. Welche Ideen es dazu im Industrie- und (Noch-)Energieland Nordrhein-Westfalen gibt, diskutieren Bau- und Kommunalministerin Ina Scharrenbach und Reiner Priggen, Vorsitzender des Landesverbandes Erneuerbare Energien (LEE).

Frau Ministerin, scheinbar sind sich alle einig, dass das Tempo für eine Klimawende erhöht werden muss. Wie ernst ist es der Union?

Ina Scharrenbach: Sehr ernst. Wir haben in NRW die Herausforderung, dass wir in Deutschland Energieland Nummer eins sind. Zur Erinnerung: Wir haben 1998 noch 50 Prozent des bundesrepublikanischen Stroms aus NRW gehabt. Im Wesentlichen Verstromung von Kohle, klar. Bei Steinkohle sind wir fast raus, Braunkohle läuft aus. Also müssen wir dies durch Erneuerbare ersetzen.

Also tatsächlich auf jedes Hausdach eine PV-Anlage?

Scharrenbach: Wir merken, dass der Ausbau von Photovoltaikanlagen (PV) auf Dächern freiwillig vorankommt, deshalb habe ich mich auch immer gegen eine Pflicht ausgesprochen. Wir sehen das auf vielen Ein- und Zweifamilienhäusern. Aus meiner Sicht muss die nächste Bundesregierung endlich die Fesseln beim Mieterstrom lösen.

Was genau müsste passieren?

Scharrenbach: Es gibt derzeit keinen Anreiz. So wie es gestrickt ist, ist es zu kompliziert.

Herr Priggen, reicht das aus, was Ministerin Scharrenbach skizziert?

Reiner Priggen: Nichts gegen die Schritte. Aber, und das gilt auch für Wind, wir müssen alle Hemmnisse, die nicht notwendig sind, sofort aufheben. Das heißt bei PV beispielsweise auch für den Bereich Agri-PV. Ich habe gerade einen Landwirt besucht, der sogar mit einem Preis ausgezeichnet wurde.

Was ist Agri-PV?

Priggen: In diesem konkreten Fall baut der Landwirt Himbeeren und Blaubeeren an. Über seinen Anbauflächen hat er PV.

Scharrenbach: Ein Gewächshaus mit PV statt Glasdach.

Priggen: Das Problem ist, dass ihm das zuständige Bauamt und auch die Landwirtschaftskammer nur Knüppel zwischen die Beine geschmissen haben. Er hatte eine Baugenehmigung für ein Gewächshaus und hat statt Glasdach direkt PV installieren lassen. Eigentlich hätte er einen Innovationspreis verdient. Ich will sagen, wir haben Bereiche mit viel Potenzial, in denen wir aber Regulierungen haben, die nicht vernünftig sind. Die Holländer und auch die Süddeutschen sind da sehr viel weiter als wir.

Also ein Landesproblem?

Scharrenbach: Ja. Ich teile die Ansicht von Herrn Priggen absolut. Wir haben ein Problem zwischen Landwirtschaftskammern, Baurecht und Naturschutzverbänden. Das Gewächshaus wäre mit Glasdach genehmigungsfähig gewesen. Jetzt wird geprüft, ob der Landwirt das nur macht, um PV-Ertrag im Außenbereich zu generieren. Ich habe ein Interesse daran, dass wir das in der Fläche hinbekommen und will das auf jeden Fall in dieser Legislatur noch gängig machen.

Priggen: Die, die es machen können und sollen, sollten es tun dürfen. Ein anderes, ganz neues Beispiel ist Floating-PV, also schwimmende PV-Anlagen auf Baggerseen oder Trinkwassertalsperren. Hier wird sich der Naturschutz wieder überlegen, was er dagegen haben könnte. So geht das nicht.

Scharrenbach: Und das sagen Sie!

Das sind prima Ideen, aber ist das jetzt der große Wurf?

Priggen: Sie haben nach Beispielen gefragt. Das sind welche, für die wir auf Landesebene den Weg freimachen können. Und es ist nicht so klein der Kram. Wir reden bei Floating-PV über 10 Terawattstunden in NRW. Aber natürlich sind unsere Dachpotenziale viel größer. In Zukunft gehört auf jede Gewerbehalle eine PV-Anlage. Und bei den Eigenheimen, aber auch beim Supermarkt oder Ähnlichem müssen die Umlagen auf Eigenstrom vom Bund abgeschafft werden. Wenn wir dies schaffen, nutzt der Supermarkt seinen eigenen Strom statt für 8 Cent einzuspeisen und 30 Cent pro KWh zahlen zu müssen. Eigenstrom ist hochwirtschaftlich. Wir müssen dann auch keine Zuschüsse zahlen.

Frau Ministerin, was also muss konkret auf Bundes-, aber auch auf Landesebene passieren?

Scharrenbach: Erst einmal die politische Grundsatzentscheidung, ob zu einem Staat auch die Autarkie einer Energieversorgung gehört. Aus meiner Sicht ja. Dann ist die Frage wie? Ich halte zum Beispiel nichts von dem 2-Prozent-Ausbauziel für Windkraft an Land.

Warum?

Scharrenbach: Aus dem einfachen Grund, weil es sich in NRW auf wenige windreiche Flächen konzentriert, wo die Leute heute schon sagen, dass es zu viel ist. Lassen Sie uns über Menge sprechen. Ich bin für Repowering. Die neuen Anlagen haben ein Vielfaches an Leistung gegenüber den alten. Es kann auch nicht sein, dass sich Bayern durch seine H10-Abstandsregelung faktisch aus dem Windkraftausbau verabschiedet und am Ende nur die vier großen mit Niedersachsen bis NRW den Ausbau leisten.

Also kein nennenswerter Zubau mehr in NRW?

Scharrenbach: Doch, aber wir sollten uns an der erzeugten Menge und nicht einer starren Flächenvorgabe orientieren. Wir haben als Landes-Frauenunion für den CDU-Landesparteitag am 23. Oktober einen Antrag gestellt, dass wir behutsam die Flächen im Wald für Windenergie öffnen wollen, die vom Borkenkäfer geräumt sind.

Priggen: Ich bleibe beim 2-Prozent-Ziel, aber die Waldschadensflächen zu nutzen, ist ein richtiger und wichtiger Vorschlag!

Das sind ja eine Menge Flächen.

Scharrenbach: Ja. Die Frauen-Union will eine behutsame Öffnung. Das wäre für die Waldbauern eine wirtschaftliche Perspektive. Übrigens auch für die Kommunen, die zum Teil große Waldbesitzer sind. Und ich löse das Problem, dass ich Windenergie ausbauen muss, um die Ziele zu erreichen. Aber es geht nicht nur um Strom. Der Mensch braucht Wärme. Im Moment kommt Fernwärme in NRW im Wesentlichen aus industrieller Abwärme. Darüber müssen wir nachdenken.

Herr Priggen, haben Sie eine Idee?

Priggen: Im Ein- und Zweifamilienhausbereich ist die Wärmepumpe die Technik der Zukunft. Da sollten wir jetzt schon sagen, neue Ölheizungen werden nicht zugelassen. Und wenn man sinnvoll arbeitet, werden keine Gasleitungen mehr in Neubaugebiete gelegt. Das rechnet sich überhaupt nicht.

Sie wollen Vorschriften machen?

Priggen: Gerade in ländlichen Gebieten wie Südwestfalen, wo noch viele eine Ölheizung haben, lohnt es sich. Es gab noch nie so viel Fördermittel für einen Heizungstausch wie heute, über 40 Prozent, wenn ich eine Ölheizung durch eine Wärmepumpe ersetze. Zusammen mit einer PV-Anlage auf dem Dach ist das eine optimale Kombination.

Scharrenbach: Jedenfalls für Neubauten ist das eine sinnvolle Lösung. Im Bestand ist es schwieriger.

Also unter dem Strich: Was muss die neue Bundesregierung für eine Klimawende sofort tun?

Scharrenbach: Sie muss technologische Innovationen ermöglichen, damit Bevölkerung und Wirtschaft tun dürfen, was sie können.

Priggen: Das Bemerkenswerte ist der Wandel im Bewusstsein der Bevölkerung. Ich fand es spannend, dass sich der Physik-Nobelpreisträger Hasselmann in dieser Woche zuerst bei den jungen Menschen bedankt hat, die für politischen Druck gesorgt haben. Ein gutes Signal!

Von Mieterstrom bis Agri-PV

Mieterstrom: Unter Mieterstrom wird die Möglichkeit verstanden, auch auf Mietshäusern PV-Anlagen zu installieren und den erzeugten Strom zu einem günstigen Preis direkt an die Mietern zu verkaufen. Ein Hemmnis: Nach wie vor wird der Strom voll mit Umlagen wie der EEG-Abgabe von rund 6,5 Cent/KWh belastet.

Agri-PV: Unter Agri-PV versteht man die gleichzeitige Nutzen von Flächen für die Landwirtschaft und die Stromerzeugung mit Photovoltaik.

Floating-PV: Schwimmende Sonnenkraftwerke auf gefluteten Flächen wie dem Tagebau oder auf Trinkwassertalsperren.