Fahrradbauer und Händler freuen sich über starke Verkaufszahlen und sorgen sich um Materialnachschub. Preissteigerungen für 2021 erwartet.

„Wir können mit dem Marketing eigentlich eine Pause machen, wir kommen sowieso nicht mehr hinterher“, sagt Kirsten Hase und lacht. Die Bestellmenge etwa für Tandemräder erreiche schon nach drei Monaten Jahresniveau, erzählt die Chefin der Manufaktur Hase Bikes, die ihre Spezialräder aus Waltrop an Händler in der ganzen Welt verkauft, voller Begeisterung. Einerseits. Andererseits hätten rund um Weihnachten 80 bezahlte Räder auf der Hochebene in der Werkhalle gestanden, ohne ausgeliefert werden zu können. Zur Endmontage fehlten die Laufräder.

Freude über eine große Nachfrage steht der Sorge um Materialnachschub gegenüber: In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Fahrradbauerin aus dem Ruhrgebiet genauso wie Händler und Servicedienstleister, die darüber hinaus so sicher wie möglich durch die Corona-Pandemie zu steuern versuchen. Hält der Boom nach einem glänzenden vergangenen Jahr auch 2021 an – oder droht der Bike-Branche der Platten?

ZIV: Verkaufte Räder sorgen für Umsatzplus von über 60 Prozent

Zu den Bildern vom Sturm auf die Fahrradläden 2020 lieferten die Branchenverbände ZIV (Zweirad-Industrie-Verband) und VDZ (Verband des Deutschen Zweiradhandels) am Mittwoch die entsprechenden Zahlen: Der Handel hat fünf Millionen Fahrräder verkauft, ein Plus von 16,9 Prozent zum Vorjahr – davon fast zwei Millionen E-Bikes als Wachstums- und Preistreiber. Entsprechend stieg der Umsatz noch viel stärker – um 60 Prozent auf 6,44 Milliarden Euro. 79,1 Millionen Räder auf der Straße oder in der Garage nähern sich der Größe, die das Land an Einwohnern hat.

ZIV-Geschäftsführer Ernst Brust sprach von einem beispiellosen Jahr, VDZ-Pendant Thomas Kunz von einer positiven Entwicklung der Branche in gesamtwirtschaftlich schwierigen Zeiten. Einer Entwicklung, für die auch in dieser Saison die Grundlagen gelegt seien. „Der Fahrradfachhandel ist gut vorbereitet und verfügt über volle Lager. Industrie und Handel haben alles in Bewegung gesetzt, um eine möglichst gute Warenversorgung zu gewährleisten“, betonte Kunz. ZIV-Mann Brust ergänzte: „Jeder Kunde bekommt sein Rad.“ Die Frage ist nur, wann?

Rose Bikes aus Bocholt spricht von schwieriger Produktion

Denn Unternehmen aus der Region äußern sich deutlich vorsichtiger, etwa Rose Bikes aus Bocholt. Der Fahrradhändler und -bauer mit 480 Mitarbeitenden und einem Umsatz 2020 von 137 Millionen Euro (plus 34 Prozent) gehört zu den großen Adressen in Deutschland, eine Sprecherin teilt mit: „Die Nachfrage steigt, die Rohstoffe werden zunehmend knapper und unsere Lieferanten können ihre Termine nicht einhalten oder uns gar nicht erst welche nennen. Der Aufbau von Rädern scheitert teilweise an den kleinsten Komponenten.“

Auch interessant

Knackpunkt ist die Versorgung mit Rädern und Teilen aus hoch spezialisierten Ländern wie Kambodscha, Vietnam und Taiwan. Shutdowns führten zu Produktionsausfällen, nach dem Hochfahren wurden die Produzenten zudem mit der großen Nachfrage konfrontiert. Doch auch europäische Lieferanten lieferten teilweise nicht oder viel zu spät, weil sie einfach nicht hinterherkämen und die Rohstoffe fehlten, wie Rose mitteilt.

Wenn Shimano 760 Tage Wartezeit für Ketten nennt

Markus Meinhövel, Chef zweier großer Fahrradfilialen in Gelsenkirchen (Lesen Sie hier: Zur Lage von Meinhövel im ersten Lockdown) und Bochum sowie Teil einer deutschlandweiten strategischen Händlerallianz, nennt das Beispiel von 760 Tagen Wartezeit für Ketten und Ritzel der Firma Shimano. „Das ist irgendwann 2023“, konstatiert Meinhövel trocken. Und weiter: „Aus dem Grund haben wir schon jetzt Ware für 2024/25 geordert.“ Er spricht ein weiteres Problem an: Den Transport nach Deutschland. Container seien im Moment knapp, sagt Meinhövel, und nennt um das Neunfache erhöhte Preise im Vergleich zu 2019. Noch teurer als der Schiffstransport sei der Weg per Flugzeug.

Freut sich über eine starke Nachfrage: Kerstin Hase von der gleichnamigen Manufaktur in Waltrop.
Freut sich über eine starke Nachfrage: Kerstin Hase von der gleichnamigen Manufaktur in Waltrop. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

„Es ist eine Gratwanderung“, kommentiert Kirsten Hase aus Waltrop die aktuelle Produktion mit gut 80 Mitarbeitenden – ob die hohe Nachfrage durch Überstunden bedient werden könne und wie lange welche Teile reichen könnten. Eine ganze Abteilung kümmere sich auf dem Gelände der ehemaligen Zeche um die Beschaffung und Kalkulation, was bislang gut gelinge, wie Hase bemerkt.

Händler und Verbände erwarten Preissteigerungen

Wer jetzt den Kauf eines Fahrrades oder E-Bikes plant, der muss bei manchen Modellen dennoch Geduld mitbringen, wie von Rose (Lesen Sie hier: Wie Rose sich digital aufstellt) bis Hase die Hersteller betonen. „Schlechte Verfügbarkeiten und Lieferengpässe werden definitiv das ganze Jahr über Thema sein“, heißt es aus Bocholt – Rose setze bei dem Thema auf Ehrlichkeit und Transparenz. Deshalb auch der Hinweis: „Lieferzeiten von einem halben Jahr oder sogar länger sind aktuell normal. Dazu kommt, dass aufgrund der erhöhten Nachfrage, höheren Frachtkosten und der Rohstoffknappheit mit einem Preisanstieg zu rechnen ist.“

Forderung nach Öffnung

Auf der Pressekonferenz am Mittwoch bekräftigten die Händlerverbände ihre Forderung, Fahrradgeschäfte so schnell wie möglich wieder zu öffnen.

Unter anderem um den bevorstehenden Ansturm auf neue Fahrräder zu entzerren, sollten die Geschäfte unabhängig von der Corona-Inzidenz öffnen dürfen, verlangte Thomas Kunz vom VDZ.

Den sehen auch die Branchenverbände auf die Kundinnen und Kunden zukommen. Bezifferte der VDZ den Durchschnittspreis für ein normales Fahrrad 2020 auf etwa 630 Euro bzw. für ein E-Bike auf knapp 3000 Euro, gehe ZIV-Geschäftsführer Ernst Brust für dieses Jahr von zehn bis 20 Prozent Preissteigerung aus.