Essen. Der Emscherumbau hinterlässt Spuren in der Ruhrwirtschaft: neue Wohngebiete, steigende Preise und Aufträge für Unternehmen aus NRW.

Fast 5,5 Milliarden Euro sind seit dem Jahr 1992 in dem Umbau der Emscher geflossen. Das Mega-Projekt sollte auch die heimische Wirtschaft und Wohnen am Fluss beflügeln. Was wirklich hängen geblieben ist, untersucht gerade das Dortmunder Institut für Wissensökonomie. Die Akteure sind aber optimistisch.

1400 gesicherte Arbeitsplätze, 1,1 Milliarden Euro Steueraufkommen, steigende Mieten und Immobilienpreise sollte laut einer Studie des RWI aus dem Jahr 2013 der Emscherumbau dem Ruhrgebiet bescheren. Ob die Prognosen eingetreten sind, wollen Forscher bis zum Jahresende herausgefunden haben. Die ersten Entwicklungen sind aber deutlich sichtbar: „In den Nebenlaufgebieten entstehen neue Baugebiete. Im Borbecker Mühlenbachtal, am Hellbach in Recklinghausen oder am Katernberger Bach beobachten wir ein großes Interesse“, sagt Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft.

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„Wenn durch Maßnahmen wie etwa der Renaturierung der Emscher die Attraktivität der Lage gesteigert wird, ist damit zu rechnen, dass damit auch eine Wertsteigerung der in diesem Bereich liegenden Grundstücke einhergeht“, meint Gregor Boldt, Sprecher des Gelsenkirchener Wohnungsriesen Vivawest. Den Trend beobachtet auch die Bausparkasse LBS West, die regelmäßig die Immobilienpreise im Ruhrgebiet untersucht. „Aus unserer Sicht profitieren Anrainer der Emscher schon seit längerem, weil es keine Belästigung durch Geruch und Lärm mehr gibt“, meint LBS-Sprecher Christian Schröder.

LBS erwartet „keine gewaltigen Preissprünge“ für Immobilien

„Naherholungsgebiete sind immer begehrte Wohnlagen. Wir erwarten eine Aufwertung des Emscher-Umfelds, die dann sicherlich auch Auswirkungen auf Immobilien-Preise haben wird.“ Konkrete Zahlen gibt es noch nicht – zumal Preise und Mieten in den vergangenen Jahren auch wegen der großen Nachfrage ohnehin gestiegen sind. „Vieles ist noch im Werden. Manche Grundstücke werden erst noch frei“, so Schröder. Bei der LBS erwartet man „keine gewaltigen Preissprünge“, weil der Emscherumbau ein kontinuierlicher Prozess gewesen sei.

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Auch Axel Quester, Immobilienunternehmer aus Duisburg und Vizepräsident des Bundesverbands der Immobilienberater, sieht eine Aufwertung von Häusern und Wohnungen in Emschernähe. „Heute schon ist Wohnen an der Emscher nach meiner Einschätzung eher ein Lagevorteil als ein Lagenachteil“, sagt Quester. Ein Grundstück für ein Einfamilienhaus an der renaturierten Emscher sei „vom Bodenwert 30 bis 50 Prozent höher anzusetzen als ein vergleichbares Grundstück zwei Straßen weiter ohne entsprechenden Blick“. Der Makler ist aber skeptisch, dass die höheren Preise am Markt bereits zu realisieren sind, solange städtebauliche Maßnahmen nicht abgeschlossen sind.

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Nach fast drei Jahrzehnten nähert sich das Großprojekt Emscherumbau aber seinem Ende. Genossenschaftschef Paetzel hat gerechnet: 3700 Beschäftigungsjahre seien in dem Zeitraum in der Region gesichert worden. „80 Prozent der Aufträge für den Emscherumbau sind an Firmen in NRW gegangen, obwohl wir Kanalarbeiten und neue Pumpwerke europaweit ausgeschrieben haben. Für uns waren nur zwei Spezialunternehmen aus dem Ausland im Einsatz“, bilanziert der Chef der Emschergenossenschaft.

Investitionen in Deiche und Kläranlagen

Und mit dem Abschluss der Renaturierung des Flusslaufs bleibe immer noch eine Menge zu tun. Jährlich rund 400 Millionen Euro will die Emschergenossenschaft in die Sanierung der Deiche und die Aufrüstung der Kläranlagen investieren. „Bei der vierten Reinigungsstufe geht es um das Herausfiltern von Medikamenten, Kosmetika und Mikroschadstoffen aus dem Abwasser“, so Paetzel.

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Für Emschergenossenschaft und Lippeverband arbeiten 1700 Menschen, davon 1000 vor Ort in den Pumpwerken und Kläranlagen. „Für die allermeisten Mitarbeiter wird sich gar nichts verändern“, versichert Paetzel. Allein die rund 150-köpfige Planungs- und Bauabteilung werde nach dem Emscherumbau wieder verstärkt Bauprojekte selbst übernehmen.

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Emscher-Experten planen in China und Ägypten

Bleibt die Expertise aus drei Jahrzehnten Emscherumbau, aus der die Genossenschaft aber nur begrenzt wirtschaftlichen Nutzen ziehen kann. „Als Emschergenossenschaft dürfen wir aber nur innerhalb unseres Verbandsgebiets tätig werden.“

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Dafür ist aber die Erfahrung der 120 Spezialisten der Emscher Wassertechnik GmbH inzwischen in ganz Deutschland und darüber hinaus gefragt. „In China und Mazedonien haben sie Kläranlagen geplant und in Betrieb genommen, in der Neuen Hauptstadt Ägyptens mittels moderner Spültechnik Kanäle von Sand befreit“, berichtet der Genossenschaftschef. Für Ministerien und die Europäische Investitionsbank ist die Wassertechnik GmbH unter anderem in Sambia und Namibia tätig.

Paetzel ist davon überzeugt, dass auch weiterhin andere Länder an seine Tür klopfen werden: „Das Interesse von Staaten, die vor einem ähnlichen Strukturwandel wie das Ruhrgebiet stehen, an unserem Know-how ist riesengroß.“

>>> Magnet für Touristen

Der Fuß- und Radweg längs der Emscher gilt auch als Magnet für auswärtige Gäste. Wie der Fremdenverkehr von der Renaturierung profitiert, ist schwer zu bemessen. „Wir rechnen damit, dass jedem Euro, den die öffentliche Hand in touristische Angebote investiert, fünf bis sieben Euro folgen, die Gäste in unserer Region ausgeben“, meint Genossenschaftschef Uli Paetzel.

Er erwartet positive Impulse für Gastronomie und Hotellerie. „Längs der Emscherroute gibt es etliche Biergärten und Cafés. In Oberhausen gibt es Pläne für ein Familienhotel. In diesem Sommer rechnen wir mit einer Vielzahl von Radfahrern, die auch Station an unseren vier Emscher-Höfen machen.“