Essen. Sanierungs-Gutachten sieht harte bis bedrohliche Jahre auf die Steag zukommen. Kohleausstieg zieht Muttergesellschaft KSBG tief in rote Zahlen.

Der Kohleausstieg zieht die kommunale Steag-Mutter tief in die roten Zahlen: Die Eigentümergesellschaft KSBG der Stadtwerke erwartet für 2020 einen Verlust von 278 Millionen Euro und für dieses Jahr von 130 Millionen Euro. Es brauche „ein konsequentes Gegensteuern“, um „eine drohende Liquiditätskrise abzuwenden“ – das schreibt die Unternehmensberatung Roland Berger in einem Gutachten, das unserer Redaktion vorliegt. Hauptgrund sind Wertminderungen der Steinkohlekraftwerke durch den Kohleausstieg und Rückstellungen für weitere Belastungen.

Roland Berger hat im Auftrag der KSBG ein Gutachten erstellt, ob und wie der angeschlagene Essener Stromkonzern Steag saniert werden kann. Das kann er, lautet das Fazit – allerdings gilt es dafür in den kommenden vier Jahren ein tiefes Tal zu durchschreiten. Demnach wird der Ausstieg aus der Kohleverstromung die Liquidität der Muttergesellschaft um 93 Millionen Euro belasten. Im Tagesgeschäft verliert die Steag dadurch aber immer weniger Geld – die operativen Verluste aus den deutschen Steinkohlekraftwerken können laut Gutachten von 57 Millionen Euro in diesem Jahr bis 2025 auf zehn Millionen Euro sinken.

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2022 könne die KSBG – die Steag-Trägergesellschaft der Ruhrgebietsstädte – wieder eine schwarze Null schreiben, prognostiziert Roland Berger, und 2025 wären mit einer dann sanierten Steag 175 Millionen Euro Gewinn zu erzielen. Bis dahin wollen die Ruhrgebietsstädte freilich längst raus sein aus der Steag, die RAG-Stiftung soll als Treuhänderin für sie einen Käufer finden. Dafür gilt es, die Tochter des Stadtwerke-Konsortiums hübsch zu machen.

Vor allem durch die hohen Kreditlasten läuft die Steag aber zunächst in eine Finanzierungslücke hinein, die Mindestliquidität werde Stand jetzt im September 2022 unterschritten. Langfristig brauche die KSBG ein „tragfähiges Finanzierungskonzept“ zur Schließung der Lücken. Kurzfristig sollen die Eigentümer der Steag die abzuführende Summe für die Tilgungsraten stunden, in diesem Jahr 30 Millionen Euro.

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Schon darüber haben sich die sechs Städte erneut zerstritten und endgültig entzweit. Oberhausen und Bochum geben keinen Cent mehr, Dortmund, Essen, Dinslaken und Duisburg übernehmen ihre Anteile. Im Gegenzug erhielten sie mehr Geld aus dem Verkauf der Steag, wenn die RAG-Stiftung als Treuhänderin einen guten Preis nach der Sanierung erzielt. „Zocken auf die Steag“ nennt Oberhausens Stadtwerke-Chef Hartmut Gieske das, was er nie mehr tun will.

Das Sanierungsgutachten sieht auch Stellenabbau und Verkäufe von Konzernteilen wie Power Minerals oder Windparks in Rumänien und der Türkei vor. Die Steag soll in den kommenden Jahren 1550 ihrer weltweit rund 6000 Arbeitsplätze abbauen. Auch die Beschäftigten in Deutschland, die ihre Jobs behalten, sollen einen Beitrag leisten: Für 2021 hat die Steag mit der Gewerkschaft IGBCE im Februar eine Nullrunde vereinbart, 2022 sollen die Vergütungen um 1,5 Prozent steigen.

Was Roland Berger bereits mit drei Millionen Euro auf der Habenseite verbucht, hat die Gewerkschaft der Öffentlichkeit diesmal gar nicht mitgeteilt. Den Sozialtarifvertrag, der Kündigungen im Zuge des Kohleausstiegs ausschließt, hatte die IGBCE im vergangenen August noch gerne kommuniziert. Dabei hat sie trotz der prekären Lage der Steag sogar noch eine bezahlte Freischicht pro Jahr für alle und drei für IGBCE-Mitglieder herausgeholt.

Die Zukunft der Steag sieht das Gutachten im Ausbau Erneuerbarer Energien und vor allem in Energie-Dienstleistungen für andere Unternehmen, etwa um ihnen bei der Dekarbonisierung ihrer Produktion oder der Umrüstung von Kraftwerken zu helfen. In der Nahplanung setzt das Unternehmen allerdings nach wie vor auf die Kohle – allerdings im Ausland: Das Gutachten bescheinigt den Steag-Kraftwerken in Kolumbien, auf den Philippinen und in der Türkei „starke Nachfrage“ und ein „kohlefreundliches politisches Umfeld“. Steigende Gewinne vor allem aus dem Kohlekraftwerk im türkischen Iskenderun sind fest eingeplant für die Sanierung und Neuaufstellung der Steag.

Die Steinkohleblöcke in Deutschland kosten dagegen viel Geld. Die Steag muss sie in staatlichen Auktionen für möglichst wenig Entschädigung zur Stilllegung anmelden. Gelungen ist das bisher für den 370-Megawatt-Block Walsum 9. Wie aus dem Gutachten hervorgeht, erhält das Unternehmen dafür knapp 25 Millionen Euro. Damit können in Walsum die Kosten für den Personalabbau gedeckt werden, insgesamt wird der Ausstieg an den meisten Standorten aber wohl zum Minusgeschäft. Betont wird übrigens, dass keine Kosten durch den Rückbau entstehen, weil die Steag dazu nicht gesetzlich verpflichtet sei.

Die Landesregierung sieht die Unternehmen dagegen zumindest moralisch in der Pflicht, den Rückbau ihrer Kraftwerke selbst zu zahlen. Wirtschaftsstaatssekretär Christoph Dammermann meinte dazu: „Wer ein Haus baut, sollte es auch wieder abreißen, wenn er es nicht mehr benötigt.“ Die unter einem Mangel an Gewerbeflächen leidenden Städte würden gerne sanierte Kraftwerksflächen übernehmen. Allerdings haben sie im Ruhrgebiet ihren Teil dazu beigetragen, dass ihre Steag ums Überleben kämpft.