Essen. Studie des Essener Instituts RWI: Mit mehr Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland wächst auch der Bedarf an Neubauten in Deutschland.
Die Babyboomer-Generation geht im kommenden Jahrzehnt in Rente und hinterlässt auf dem Arbeitsmarkt eine Lücke, die Fachkräfte aus dem Ausland füllen könnten. Doch steht überhaupt genug attraktiver Wohnraum zur Verfügung, um diese Fachkräfte nach Deutschland zu locken? Das Essener RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung stellt das in einer neuen Studie in Frage und zeigt auf: Bis 2035 könnten bundesweit pro Jahr doppelt so viele neue Wohneinheiten nötig sein wie bislang von Experten prognostiziert.
Der Studie „Wohnungsbedarf in Deutschland bis 2035“ liegt die Annahme zugrunde, dass es 220.000 bis 300.000 ausländische Fachkräfte pro Jahr brauche, um den „demografischen Aderlass der Erwerbstätigen wettzumachen“, wie RWI-Präsident Christoph M. Schmidt am Dienstag bei einer Pressekonferenz erläuterte.
RWI-Studie: Szenarien mit „erheblichen Neubaubedarfen“
Abhängig von der Zuwanderungszahl steige damit auch der Bedarf an neuen Wohnungen um 97 bis 129 Prozent auf über 450.000 Einheiten bundesweit pro Jahr, erklärte Schmidt. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) gibt derzeit 230.000 Einheiten pro Jahr an.
Das BBSR gehe in seinen Prognosen von einem „eher moderaten Zuwanderungsszenario aus“, heißt es in der RWI-Studie. Angesichts „bereits bestehender hoher Zuwandererzahlen“, einer weiteren Zunahme der Zahl der Haushalte und einem insgesamt weiter steigenden Pro-Kopf-Verbrauch an Wohnfläche sei für Deutschland insgesamt im nächsten Jahrzehnt „mit erheblichen Neubaubedarfen zu rechnen“.
700.000 zusätzliche Wohnungen könnten damit im Ruhrgebiet in den kommenden 14 Jahren nötig werden, sagte Hubert Schulte-Kemper vom Essener Immobilienentwickler Fakt, der die RWI-Studie in Auftrag gegeben hatte.
Analysefirma setzt Wohnungsbedarf im Ruhrgebiet niedriger an
Die Immobilien-Analysefirma Bulwiengesa schätzt den Wohnungsbedarf für das Ruhrgebiet dagegen deutlich niedriger ein und nennt die Zahl von 140.000 neue Wohnungen bis zum Jahr 2035 (10.000 pro Jahr). Bundesweit nähern sich die Schätzungen von 380.000 neuen Wohnungen pro Jahr dafür den RWI-Werten an.
Die Gesellschaft müsse sich heute mit den Auswirkungen des demografischen Wandels auf den Wohnungsmarkt befassen, betonte RWI-Präsident Schmidt. „Was könnte sein? Wo gibt es Entscheidungsbedarfe? Darüber müssen wir jetzt sprechen, nicht erst 2035“, sagte Schmidt und verglich die Situation mit einem Tankschiff, das langsam auf einen Eisberg zusteuert.
Initiative sollten deshalb auch die Unternehmen zeigen, forderte Schulte-Kemper. „Wir müssen anpacken und für die Fachkräfte Wohnungen hinstellen, die nicht dritter Klasse sind.“ Auch aus den Kommunen müssten Anregungen kommen, etwa durch neue Bauflächen oder beschleunigte Verfahren. Der RWI-Präsident stimmte zu: „Die Investitionsschwäche in Deutschland ist weniger eine Frage des Geldes als der Verfahren. Die Geschwindigkeit, mit der wir operieren, ist nicht gut.“