Bochum/Berlin. Die Grünen-Spitzenfrau Göring-Eckardt sieht Konzerne auf dem Weg zu mehr Klimaschutz. Im Doppelinterview hört das Vonovia-Chef Buch gern.
Mit einer Videobotschaft meldete sich am Donnerstag die Grünen-Bundestagsfraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt bei einer Klimakonferenz des Bochumer Wohnungsriesen Vonovia zu Wort. Bereits im Vorfeld diskutierte Unternehmenschef Rolf Buch mit ihr über Fassadendämmung, Mieterstrom und darüber, warum die energetische Sanierung von Wohngebäuden nur im Schneckentempo voran kommt. Im Gespräch mit Stephanie Weltmann und Frank Meßing stießen die Grünen-Spitzenfrau und der Dax-Konzernboss auf überraschend viele Gemeinsamkeiten.
Frau Göring-Eckardt, Vonovia will „Verantwortung, an der Bewältigung des Klimawandels mitzuwirken“, übernehmen. Nehmen Sie das dem Dax-Konzern aus Bochum ab?
Katrin Göring-Eckardt: Das wird sich zeigen. Es gibt durchaus viele Kritik-Punkte an dem Konzern, wie wir immer wieder von den Mietervereinen hören. Da erwarte ich, dass sich der Konzern damit auseinandersetzt. Zugleich erleben wir gerade, dass sich immer mehr große Unternehmen darüber im Klaren sind, dass sie Teil des Klimaschutzes sein müssen. Sie machen sich Gedanken darüber, wie sie dazu beitragen können, den Ausstoß von Kohlendioxid zu drosseln. Mein Eindruck ist, dass Fridays for Future inzwischen bei vielen mit am Frühstückstisch sitzt und der Klimaschutz auch dadurch zum Thema wird. Das begrüßen wir.
Herr Buch, die Grünen fahren einen Wahlerfolg nach dem anderen ein, zuletzt hier in NRW. Fürchten Sie bereits um die Rendite Ihres Unternehmens, weil ökologische Ziele verschärft werden könnten?
Rolf Buch: Natürlich stehen im Wahlprogramm der Grünen viele Punkte, die ich nicht unbedingt unterschreiben könnte. Wir sind uns aber einig, dass Deutschland die Ziele des Pariser Klimaabkommens einhalten und bis zum Jahr 2050 klimaneutral sein muss. Dazu will ich beitragen, allein schon, weil mich meine Kinder danach fragen und ich als Vater dafür Verantwortung trage.
Blicken Ihre Aktionäre nicht eher auf die Rendite?
Buch: Unser größter Aktionär ist der Norwegische Staatsfonds, der sich besonders dafür interessiert, welche Fortschritte unsere ökologischen Projekte im Pilotquartier Bochum-Weitmar machen. Unsere Häuser, die dort stehen, werden nichts mehr wert sein, wenn die Umwelt kippen sollte.
Wohngebäude sind für bis zu 40 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich. Reicht es da aus, jährlich nur ein Prozent der Häuser mit neuen Fassaden, Dächern und Fenstern auszustatten?
Göring-Eckardt: Wenn wir die Pariser Klimaziele einhalten wollen, müssen wir im Jahr 2040 mit der Sanierung der Gebäude fertig sein. Wir haben viel Zeit verloren, weil zu lange zu wenig gemacht wurde. Das allein reicht aber nicht. Wir müssen auch die sogenannte Graue Energie, also die Energie, die für die Herstellung und Entsorgung benötigt wird, reduzieren. Und wir sollten schauen, was wir mit leerstehenden Gebäuden machen können, die für ihren eigentlichen Zweck nicht mehr benötigt werden.
Buch: 90 Prozent der Wohngebäude warten noch auf ihre energetische Sanierung. Auch wenn Frau Göring-Eckardt von 2040 spricht: Das ist nicht einmal bis 2050 nicht zu schaffen. Deshalb brauchen wir eine jährliche Quote von drei Prozent. Als Marktführer ist Vonovia dazu in der Lage. Es wird aber nicht reichen, nur Fassaden, Dächer und Fenster zu erneuern. Wir müssen zusätzlich in den Wohnquartieren die Energie für warmes Wasser und Wasser selbst ökologisch erzeugen. Leider gibt es in Deutschland aber ganz viele Gesetze, die das verhindern. Das muss ganz schnell politisch gelöst werden.
Wird sich das ändern, sollten die Grünen ab 2021 im Bund mitregieren?
Göring-Eckardt: Wir müssen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und brauchen dringend einen Neuanfang. Die jetzige Bundesregierung war nicht nur zu langsam, sie hat auch bei der Fassadendämmung einiges falsch gemacht, weil sie auf Styropor und kontaminierte Stoffe gesetzt hat. Das wollen wir ändern. Wir brauchen Baustoffe, deren Herstellung und Entsorgung nachhaltig ist. Wir sind für eine echte Bauwende. Dafür braucht es Innovationsanreize und eine unbürokratische Förderung, damit tatsächlich schneller gebaut werden kann.
Herr Buch, wie dämmt Vonovia?
Buch: Wir setzen vermehrt auf nachhaltige Dämmstoffe, weil auch wir der Meinung sind, dass Styropor langfristig nicht der beste Rohstoff ist. In der Diskussion um nachhaltiges Bauen fehlt mir bisher aber der Blick aufs Holz. Holz wirkt beim Bauen klimaneutralisierend, weil es CO2 langfristig der Atmosphäre entzieht und auch im verarbeiteten Zustand speichert. Es hat nur einen Nachteil: Es ist teurer als Zement. Wir brauchen deshalb einen CO2-Bonus, um den Einsatz von Holz bei Neubauten zu stärken.
Göring-Eckardt: Ich bin ein großer Fan von Holz im Bau. Es ist ein nachwachsender Rohstoff, der viel klimaschonender ist als Zement. Und mit Holz sind modulare Bauweisen möglich, so dass man schneller neu bauen kann. Das ist eine innovative Bauweise für die Zukunft.
Die Wohnungswirtschaft beklagt, dass Solarstrom in Siedlungen nicht als Mieterstrom genutzt werden kann. Warum hat der Gesetzgeber bislang die Energiewende gebremst?
Buch: Es ist einfach nur zynischparadox, was da passiert. Als privater Häuslebauer muss ich für meinen selbst auf dem Dach erzeugten Solarstrom keine EEG-Umlage bezahlen. Die Mieter in unseren Siedlungen sind davon aber nicht befreit. Wir müssen den Solarstrom ins allgemeine Netz leiten und die Mieter haben nichts davon. Mit diesen Regelungen kommen wir einfach nicht weiter.
Göring-Eckardt: Es ist wirklich absurd, Mieterinnen und Mieter nicht an den Chancen der Energiewende zu beteiligen. Günstig erzeugten Mieterstrom könnten Verbraucher direkt in ihrem Geldbeutel spüren. Solarenergie ist die Mitmach-Energie. Wir wollen einfache und praxistaugliche Regelungen für Mieterstrom einführen, damit auch Mieterinnen und Mieter in den Genuss von sauberem und günstigem Solarstrom kommen. So bringen wir die Energiewende auch in den Städten voran. Immer noch stehen viel zu viele Dachflächen ungenutzt herum.
Damit die Mieten nicht so stark steigen, hat Vonovia das Modernisierungstempo gedrosselt. Bleibt es dabei?
Buch: Wir haben uns unseren Immobilien-Bestand genau angesehen. Wir wissen ganz genau, was wir wo tun müssen. Das Vonovia-Modell könnte eine Blaupause sein, um die energetische Sanierung für ganz Deutschland hochzurechnen. Mit den bisherigen Maßnahmen können wir 45 Prozent CO2 einsparen. Wir müssen aber auf 50 bis 55 Prozent kommen. Den Rest wollen wir durch die Erzeugung und Speicherung von Solarstrom erreichen, um unsere Wohnquartiere klimaneutral zu machen. Als Dax-Konzern können wir das finanzieren. Am Ende wird es aber eine Frage der Wirtschaftlichkeit sein.
In Deutschland werden jedes Jahr 300.000 Wohnungen zu wenig gebaut. Woran hapert es?
Buch: Ein Grund ist, dass wir viel zu lange auf Baugenehmigungen warten müssen, weil die Kapazitäten in den Bauämtern fehlen. Uns fehlt aber auch das Land für neue Bauvorhaben. Viele Städte haben und konnten keine Wohnpolitik betreiben, was sich jetzt rächt. Allein mit einer Nachverdichtung, also dem Bebauen vorhandener Flächen, kommen wir bei dem Wohnungsbedarf aber nicht hin. Wir brauchen große Flächen.
Göring-Eckardt: Wir erleben es häufig, dass Flächen oder alte Häuser gerade in den Innenstädten als Spekulationsobjekte missbraucht werden. Dagegen müssen wir etwas unternehmen. Bundesweit kämpfen viele Warenhäuser ums Überleben, es droht ein Riesenleerstand. Wo sich kein Nachnutzer findet, sollte entweder die Kommune das Gebäude übernehmen oder den Weg für eine Mischnutzung aus Wohnen, Zusammenkommen und Arbeiten unbürokratisch freimachen, damit öde Flächen attraktiv und lebendig bleiben. Wichtig ist uns dabei, dass dadurch auch bezahlbarer Wohnraum entsteht. Potenzial sehe ich auch an anderer Stelle. Viele Unternehmen überlegen gerade jetzt in größerem Umfang, Büroflächen abzugehen, weil ihre Mitarbeiter auch künftig vielleicht stärker zu Hause arbeiten wollen. Diese Flächen können genauso genutzt werden, um lebenswerte Quartiere zu schaffen.
Mancherorts müssen Mieter schon jetzt mindestens jeden dritten Euro ihres Nettoeinkommens fürs Wohnen berappen. Wird Wohnen durch Umweltstandards noch teurer?
Buch: Wir können nicht am Markt vorbei sanieren, das haben wir gelernt und deshalb die klare Grenze gezogen. Mieter werden bei uns mit maximal zwei Euro pro Quadratmeter an den Kosten zu beteiligenbeteiligt. Damit werden wir aber die gesamte Wende nicht hinbekommen. Wir wissen jetzt schon, dass wir Gebäude haben, bei denen die Sanierung teurer würde oder in denen Menschen wohnen, für die auch die zwei Euro zu viel sind. Für diese Gebäude müssen wir Lösungen haben.
Göring-Eckardt: Am Ende darf es nicht heißen, wenn saniert wird, können wir uns die Miete nicht leisten. Da müssen wir aufpassen. Wir schlagen ein Modell vor, an dem sich Staat, Vermieter und Mieter mit je einem Drittel die Kosten für energetische Sanierungen teilen. Das würde die Investitionen anschieben und die Belastung der Mieterinnen und Mieter begrenzen. Bei den Sanierungen geht es ja auch darum, Energie und damit auch Geld einzusparen. Davon würden auch kleine Gewerbetreibende profitieren. Und klar ist auch: Im Bauwesen muss mehr Planungssicherheit her.
Derzeit konzentriert sich günstiger Wohnraum auf bestimmte Viertel - wie viel sozialer Zündstoff steckt in der Frage, wie wir die Wohnungsnot lösen?
Buch: Eine Menge. Wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass wir so wie früher ganze Siedlungen mit Sozialwohnungen schaffen. Wir brauchen in den Quartieren eine gute Durchmischung sozialer Gruppen, die zusammenleben.
Göring-Eckardt: Natürlich müssen wir auch darauf schauen, was gebaut wird. Wir brauchen mehr gemischte Wohngebiete. Mit unserem Konzept der Neuen Wohngemeinnützigkeit wollen wir dafür sorgen, dass günstiger Wohnraum entsteht, der auch dauerhaft günstig bleibt. Das ist für uns ein zentraler Baustein – auch für Familien, die Schwierigkeiten haben, überhaupt eine Wohnung zu finden.
Kann der Mietendeckel in Berlin für Metropolen wie das Ruhrgebiet Vorbild sein, um steigende Mieten zu begrenzen?
Buch: Ich halte den Mietendeckel für das falsche Instrument, weil er nur denenvor allem jenen hilft, die gar kein Problem haben. Es werden ja die hohen Mieten gedeckelt. Ich habe eher die Sorge, was passiert, wenn das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel kassiert. Dann haben nämlich alle Vermieter das Recht, die reduzierte Miete sofort zurückzufordern. Das wird nicht jeder Mieter zahlen können. Wir wollen sicher alle nicht die Bilder von Menschen sehen, die aus ihren Wohnungen geklagt werden.
Sehen Sie auch so schwarz, Frau Göring-Eckardt?
Göring-Eckardt: Nein. Der Mietendeckel war eine Notmaßnahme in einer Stadt mit explodierenden Mieten. Wir müssen das Mietrecht insgesamt überarbeiten. Am Ende müssen die gesetzlichen Schlupflöcher weg, die horrende Mieterhöhungen ermöglichen, mit denen einige richtig schwarze Schafe der Branche viel Schindluder treiben. Wir schlagen regionale Lösungen mit bremsender Wirkung vor, die dazu Vergleichsmieten aus dem Umfeld heranziehen. Wir können die Leute nicht im Regen stehen lassen. Es kann nicht sein, dass Menschen mindestens jeden dritten Euro inzwischen fürs Wohnen ausgeben müssen, in Ballungsräumen teils mehr. Dafür brauchen wir Limits und andere Instrumente. Wir brauchen ein Grundrecht aufs Wohnen. Wir leben in einem reichen Land. Dass Menschen obdachlos sind auch in Folge steigender Mieten, das können wir nicht hinnehmen.