Hagen. Stahlmangel in Europa bremst Teile der Zuliefererindustrie aus. Gleichzeitig ist die Verlängerung von Einfuhrbeschränkungen aus Asien geplant.

Die Industrie ist aktuell der Garant für Wertschöpfung in der Krise. Nach deutlichen Umsatzeinbrüchen im zweiten Quartal 2020 entwickelte sich eine erfreulich dynamische Nachfrage auch in der heimischen Zulieferindustrie. Allerdings wackeln die Lieferketten. Nach dem Mikrochips-Mangel wird Stahl in Europa wohl immer mehr zum begrenzenden Faktor.

Waelzholz, weltgrößtes Kaltwalzunternehmen mit Sitz im westfälischen Hagen, musste nach eigenen Angaben im ersten Halbjahr 2020, infolge der Corona-Pandemie, einen zweistelligen Umsatzrückgang hinnehmen. „Umso mehr freuen wir uns aktuell über eine hohe Nachfrage und gute Beschäftigung. Bei Kunden aller Branchen, ob Auto, Energie oder industrielle Anwendungen, hat eine Erholung eingesetzt, die Geschäfte laufen gut“, sagt der Geschäftsführende Gesellschafter Hans-Toni Junius.

Politik in der Zwickmühle

Eigentlich: Auf der Rohmaterialseite habe das Unternehmen mit langen Lieferzeiten, Verzögerungen und teils auch Mengenkürzungen zu kämpfen. „Die europäischen Stahlhersteller können dem Markt zurzeit einfach nicht genügend Menge zur Verfügung stellen. In dieser Situation wird deutlich, wie wichtig eine verlässliche lokale und regionale Versorgung mit dem industriellen Grundstoff Stahl für die Stahlverarbeiter in Deutschland und Europa ist. Für den langfristigen Erfolg dieser verarbeitenden Industrie ist eine leistungsfähige und wettbewerbsfähige Stahlindustrie vor Ort von großer Bedeutung. Wir unterstützen daher die Politik bei allen sinnvollen Maßnahmen zur Sicherung der Versorgung in Deutschland und Europa“, betont Junius.

Dr.-Ing. Hans-Toni Junius ist Geschäftsführender Gesellschafter des Kaltwalzunternehmens Waelzholz mit Sitz in Hagen und Produktionsstätten in verschiedenen Ländern, unter anderem in China. Das Unternehmen stellt unter anderem Produkte für die Autoindustrie inklusive des Bereichs Elektromobilität her. Nach Umsatzeinbrüchen im vergangenen Frühjahr laufen die Geschäfte wieder gut. Nun gibt es aber Engpässe beim Kauf von Stahl. Die in Europa produzierten Mengen reichen nicht aus. Auf Importstahl aus Asien lasten hohe Schutzzölle.
Dr.-Ing. Hans-Toni Junius ist Geschäftsführender Gesellschafter des Kaltwalzunternehmens Waelzholz mit Sitz in Hagen und Produktionsstätten in verschiedenen Ländern, unter anderem in China. Das Unternehmen stellt unter anderem Produkte für die Autoindustrie inklusive des Bereichs Elektromobilität her. Nach Umsatzeinbrüchen im vergangenen Frühjahr laufen die Geschäfte wieder gut. Nun gibt es aber Engpässe beim Kauf von Stahl. Die in Europa produzierten Mengen reichen nicht aus. Auf Importstahl aus Asien lasten hohe Schutzzölle. © BDI/BDA | BDI/BDA

Die komplette Wertschöpfungskette inklusive der Stahlproduktion mit rund 90.000 Beschäftigten in Deutschland zu erhalten, ist erklärtes Ziel der Politik, die beispielsweise Thyssenkrupp auf dem Weg zur CO2-freien Stahlproduktion mit Hilfe des Einsatzes von grünem Wasserstoff Milliardenunterstützung in Aussicht stellt. Auch, um die gesetzten Klimaziele einhalten zu können. Die Stahlproduktion ist für einen erheblichen Teil des industriellen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Die gewünschte Transformation ist aber ein Prozess, der Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern wird. Sie muss aus Sicht der Stahl verarbeitenden Industrie in Deutschland mit ihren rund 500.000 Beschäftigten losgelöst vom aktuellen Engpass gesehen werden.

Rohstahlproduktion in Deutschland 2020

Die Rohstahlproduktion ist 2020 im Vergleich zum Vorjahr um rund zehn Prozent gefallen und damit laut Wirtschaftsvereinigung Stahl das dritte Jahr in Folge rückläufig.Mit 35,7 Millionen Tonnen produziertem Rohstahl seit 2020 das niedrigste Niveau seit dem Krisenjahr 2009 erreicht worden.Zum Vergleich: China ist mit knapp einer Million Tonnen Stahl Jahresproduktion (2019) mit Abstand größter Produzent, gefolgt von Indien, Japan, USA, Russland, Südkorea und Deutschland.

„Unter Berücksichtigung der aktuellen Situation ist die Verlängerung der Safeguards auf Stahl nicht nachzuvollziehen. Wir müssen die Möglichkeit haben, bei Versorgungslücken auch für unsere deutschen Werke global einzukaufen, um Aufträge zu erfüllen und damit Beschäftigung zu sichern“, erklärt der Waelzholz-Chef.

Familienunternehmer Junius, auch Vorsitzender des BDI/BDA-Mittelstandausschusses, kritisiert die Absicht, die Safeguards, also Schutzmaßnahmen, gegen Stahlimporte über den Sommer hinaus zu verlängern, wie es gerade von einer Reihe Wirtschaftsministern innerhalb der EU diskutiert wird.

Preise auf hohem Niveau

„Eine Importschwemme ist nicht zu beobachten und auch nicht zu befürchten“, betont Junius, der daran erinnert, wofür das Instrument eigentlich gedacht ist. Nämlich Industriezweige, hier die europäischen Stahlhersteller, vor einem starken und plötzlichen Anstieg von Einfuhren zu schützen. Dies sei in der aktuellen Phase, in der sich die Stahlnachfrage weltweit auf einem sehr hohen Level bewege, nicht der Fall.

Auslöser für die Erhebung von zusätzlichen Einfuhrzöllen auf den subventionierten chinesischen Stahl, aber auch auf Material aus Taiwan und Indonesien war der Handelskonflikt zwischen China und den USA und die Abschottung des US-Marktes durch die Trump-Regierung. Befürchtet wurde, dass billiger Chinastahl statt in die USA vermehrt nach Europa importiert werden könnte. Aktuell ist die Nachfrage nach Stahl aber weltweit höher als die Produktion. Entsprechend sind die Preise auch deutlich gestiegen.