Essen. 11.000 Ausbildungsplätze sind unbesetzt und 8900 Jugendliche noch ohne Lehrstelle. Kammern und Bundesagentur setzen nun auf Endspurt bis Januar.

Die Corona-Krise trifft auch den hiesigen Ausbildungsmarkt hart: Fast 11.000 Lehrstellen und damit so viele wie nie waren zum regulären Ende des Ausbildungsjahres 2019/20 im September noch unbesetzt. Im Ruhrgebiet sind knapp 3000 Plätze frei geblieben. Das teilte die Bundesagentur für Arbeit (BA) in NRW in ihrer Jahresbilanz mit. Allerdings gibt es Hoffnung sowohl für Betrieb als auch für unversorgte Jugendliche, noch zusammenzufinden – wegen der Pandemie können noch bis in den Januar hinein Ausbildungsverträge bei den Handwerks- sowie den Industrie- und Handelskammern (IHK) eingetragen werden.

Kammern und die BA werben intensiv für die Nachvermittlung im „fünften Quartal“. „Wir sind uns einig, dass wir einen Corona-Einbruch auf dem Ausbildungsmarkt in NRW verhindern müssen. Der Nachwuchs, den wir heute nicht ausbilden, fehlt der Wirtschaft in NRW in wenigen Jahren“, sagte der nordrhein-westfälische BA-Chef Torsten Withake. Er stellte die Ausbildungsbilanz mit dem Westdeutschen Handwerkskammertag (WHKT) und IHK NRW vor. Gemeinsam betonten sie, es sei diesmal nur eine Zwischenbilanz und riefen dazu auf, die Verlängerung in diesem Krisenjahr zu nutzen.

Hoffnung auf Nachvermittlung bis Januar

„Die Chancen auf einen Ausbildungsplatz stehen auch jetzt im Herbst noch sehr gut – es ist nicht zu spät“, erklärte Burkhard Landers, Vize-Präsident von IHK NRW. WHKT-Präsident Hans Hund betonte, das Handwerk habe noch 4000 freie Stellen, die Chancen seien entsprechend gut, aber: „Ergreifen muss man sie selbst.“ Die Betriebe appellierten an die Jugendlichen, sich auch jetzt noch um einen Ausbildungsplatz zu kümmern und nicht auf das nächste Jahr zu warten.“

Torsten Withake, Chef der Bundesagentur für Arbeit in NRW.
Torsten Withake, Chef der Bundesagentur für Arbeit in NRW. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Rein rechnerisch ist noch für jeden suchenden Jugendlichen eine Lehrstelle frei, doch ganz offenkundig fällt es in diesem Pandemie-Jahr besonders schwer, Betriebe und Bewerber zusammenzubringen. Ende September waren noch 10.958 angebotene Ausbildungsplätze unbesetzt – knapp 1000 mehr als vor einem Jahr. Gleichzeitig hatten 8900 Bewerberinnen und Bewerber, davon 2400 im Ruhrgebiet, weder eine Lehrstelle noch eine Alternative gefunden, wissen also noch nicht, was sie nun tun sollen. Damit sind trotz größerer Auswahl gut 20 Prozent mehr Jugendliche unversorgt als im vergangenen Jahr. Viele unbesetzte Plätze gibt es noch im Einzelhandel, in den Arzt- und Zahnarztpraxen, in der Logistik- und Kurierbranche sowie wie seit Jahren im Lebensmittelhandwerk. Die Betriebe suchen sowohl Bäcker und Metzger als auch Fachverkäufer für ihre Läden.

Zuletzt mehr Ausbildungsverträge abgeschlossen

Dass mehr Betriebe und gleichzeitig mehr Jugendliche bisher vergeblich suchten, erklären Bundesagentur und Kammern mit den Verzögerungen im Frühjahr durch die Corona-Beschränkungen, was Praktika und Vorstellungsgespräche erschwert habe. Im Sommer habe der Ausbildungsmarkt dann an Tempo gewonnen, ohne damit die entstandene Lücke schließen zu können. Der Vermittlungsstand liege zwei bis drei Monate zurück. Das deckt sich mit Erfahrungen und Zahlen der Kammern: So seien in den letzten Monaten sogar mehr Ausbildungsplätze angeboten und mehr Verträge abgeschlossen worden als in den Vorjahresmonaten.

Unterm Strich steht aber bisher ein dickes Minus bei den Ausbildungsverträgen. Bis Ende September wurden von den Industrie- und Handelskammern in NRW 58.380 Ausbildungsverträge abgeschlossen – 15 Prozent weniger als vor Jahresfrist. Auch im Handwerk sank die Zahl der Ausbildungsverträge deutlich – um 10,1 Prozent auf 25.171. Fehlende Kontaktmöglichkeiten zwischen Jugendlichen und Betrieben sowie teils drastische Geschäftseinschränkungen in einigen Branchen machen die Kammern dafür verantwortlich.

Bisher nur wenige Verträge wegen Corona gelöst

Gleichzeitig betonen sie, wie wichtig die Nachwuchssuche angesichts des wachsenden Fachkräftemangels in vielen Bereichen ist. Das spiegelt sich auch im Verhalten der meisten Betriebe wider: Einer IHK-Umfrage zufolge seien nur 0,5 Prozent der Ausbildungsverträge wegen akuter Existenzsorgen von Betrieben gelöst worden – viele hatten Schlimmeres befürchtet. „Die meisten Unternehmen haben selbst auf dem Höhepunkt der ersten Covid-Welle und danach Wege gefunden, weiter auszubilden“, sagte IHK-Funktionär Landers. Allerdings betont er auch die Probleme der besonders hart betroffenen Branchen wie Gastronomie und Veranstaltungsmanagement. Sie bräuchten dringend Hilfe, denn wer keine Perspektive für sein Unternehmen sehe, könne auch nicht ausbilden.

Landesweit macht sich der demografische Wandel bemerkbar, die Zahl der jugendlichen Bewerberinnen und Bewerber sinkt Jahr für Jahr – diesmal um rund zehn Prozent auf 115.000. Weil die Zahl der gemeldeten Lehrstellen weniger stark – um 7,8 Prozent – auf 110.570 sank, verbesserte sich das Angebot. Während es in vielen Regionen deutlich mehr Stellen als Bewerber gibt, mangelt es im Ruhrgebiet nach wie vor an Ausbildungsplätzen – auf 100 Bewerber kommen rechnerisch nur 82 Stellen.

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In den Revierstädten ist die Entwicklung unterschiedlich: So konnten in Duisburg die allermeisten Ausbildungsplätze besetzt, die Zahl der unbesetzten Stellen auf 156 fast halbiert werden. In Dortmund wurden dagegen knapp 500 Stellen bisher vergeblich ausgeschrieben – siebenmal so viele wie vor einem Jahr. Ebenfalls eine positive Tendenz bei der Vermittlung weisen Mülheim, Oberhausen und Bochum auf, deutlich größere Probleme bei der Nachwuchssuche gab es dagegen in Essen, Gelsenkirchen und Bottrop.