Essen. Die Betriebe haben im Juli Tausende neue Lehrstellen gemeldet, finden aber kaum Jugendliche. Gute Chancen für Bewerber, Frust in den Betrieben.
Wer in diesem Jahr noch eine Ausbildung beginnen möchte, kann das tun: Rein rechnerisch gibt es in NRW und auch im Ruhrgebiet noch mehr unbesetzte Stellen als Bewerber. Laut jüngstem Ausbildungsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit sind in den vergangenen Wochen noch viele Lehrstellen neu gemeldet worden, die Lage für die Jugendlichen entspannt sich demnach spürbar. Gleichzeitig beklagen nun aber die Betriebe, für ihre angebotenen Stellen niemanden zu finden.
Noch im Mai beobachteten die Arbeitsagenturen, dass Betriebe wegen der Corona-Krise mit der Einstellung von Azubis zögerten – und befürchteten, dass viele Jugendliche in diesem Jahr leer ausgehen könnten. Aktuell sieht diese Gefahr vor allem die verarbeitende Industrie noch immer. Sie erwartet wegen der globalen Krise und der Exportabhängigkeit der Branche eine lange Rezession. Die IG Metall warnte deshalb jüngst vor einer verlorenen Corona-Generation.
Betriebe melden täglich neue Stellen
Doch im Handwerk und in den meisten Branchen der Industrie- und Handelskammern hat sich das Blatt gewendet: Im Juni und Juli wurden Tausende Stellen nachgemeldet, jeweils deutlich mehr als in den vergangenen Jahren. Zuletzt kam die staatliche Ausbildungsprämie für Betriebe, die trotz Corona nicht weniger ausbilden, als Zusatzmotivation hinzu. „Arbeitgeber melden täglich neue Ausbildungsstellen und suchen Azubis noch für diesen Sommer,“ berichtet Thorsten Withake, NRW-Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA). Und betont: „Es gibt aktuell viele Chancen für einen guten Einstieg ins Berufsleben.“
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Die Kehrseite: Für Betriebe wird die Nachwuchssuche immer mühsamer – auch in diesem Jahr. In Corona-Zeiten setzten die Kammern auf Online-Börsen, werben inzwischen auch auf Instagram um Jugendliche. Doch Andreas Oehme, Geschäftsführer des Westdeutschen Handwerkskammertags und dort Ausbildungsexperte, stellt fest: „Es sind unzählige Stellen offen, die Betriebe kommen einfach nicht mehr an Jugendliche.“ Die Handwerkskammern verzeichneten bis Ende Juni in NRW einen „drastischen Rückgang“ unterschriebener Ausbildungsverträge – minus 17 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat.
Auch im Ruhrgebiet mehr Stellen als Bewerber
Landesweit stehen 32.200 unversorgten Bewerbern aktuell 38.700 offene Lehrstellen zur Verfügung. Auch im Ruhrgebiet, in dem es stets ein unterdurchschnittliches Lehrstellen-Angebot gibt, steht zumindest statistisch jedem noch suchenden Jugendlichen ein Ausbildungsplatz zur Verfügung. Natürlich passt das Angebot nie eins zu eins auf ihre Wünsche, aber in Essen etwa gibt es immerhin noch 1400 offene Stellen für 1184 Suchende, in Duisburg 1006 Stellen für 889 Bewerber, in Dortmund 1314 für 1138. In wenigen Revierstädten ist es umgekehrt – in Gelsenkirchen etwa gibt es für 565 Bewerber nur noch 528 offene Stellen. Am schlechtesten stehen die Chancen für Jugendliche in Oberhausen mit 405 Plätzen für 623 unversorgte Bewerber.
Ohnehin macht sich die Demografie seit Jahren bemerkbar, es kommen weniger Jugendliche von den Schulen. Die Zahl der Bewerber sank in diesem Jahr um mehr als zehn Prozent, die der angebotenen Lehrstellen nur um acht Prozent. Zum faktischen Nachwuchsmangel wegen der Alterung der Gesellschaft kommt laut Ausbildungsexperte Oehme die ungebrochene Studierneigung der Schulabgänger hinzu, „das zeigt sich in diesem Jahr besonders“. Das Handwerk wirbt seit Jahren verstärkt um Abiturienten, die es zum Großteil an die Unis zieht.
Hoffnung auf langen Endspurt bis Oktober
Doch es bleibt die Hoffnung auf einen langen Endspurt – wegen der Corona-Krise wird das Ausbildungsjahr um einen Monat verlängert, die Betriebe können noch bis Ende Oktober neue Azubis einstellen. Die Kammern wollen die Zeit nutzen, vor allem um Jugendliche nun direkt anzusprechen, was üblicherweise in den Schulen geschieht, dieses Jahr aber wegen der Pandemie nicht möglich war. Da viele Jugendliche nun ohne Lehrstelle an die Berufsschulen wechseln, wollen die Kammern sie dort gezielt ansprechen, kündigt Ausbildungsexperte Oehme an. Statt in der Warteschleife zu landen, können sie noch in diesem Jahr eine duale Berufsausbildung beginnen.