Mülheim. Tengelmann verlegt Venture-Geschäft für Beteiligungen von Essen nach München. Geschäftsführer Winter geht. Unruhe in der Start-up-Szene.
Die Tengelmann-Gruppe gehört nicht nur zu den großen Handelskonzernen in Deutschland. Sie spielt auch bundesweit eine zentrale Rolle bei der Finanzierung von Start-up-Unternehmen. So gehören die Mülheimer etwa zu den Investoren des wachsenden Textil-Onlinehändlers Zalando. Der Geschäftsbereich Venture Capital steht nun aber vor einem großen Umbruch und wird nicht länger aus Essen, sondern aus München gesteuert. In der hiesigen Start-up-Szene sorgt der Umbau für Unruhe.
Seit 2009 war Christian Winter Gesicht und Macher der TEV, der Venture-Tochter von Tengelmann. Der Geschäftsführer hat in der deutschen Start-up-Szene einen Namen. Denn Tengelmann hat nicht nur Zalando ans Laufen gebracht. Zu den bislang erfolgreichsten Investments zählen auch der Essenslieferdienst Delivery Hero, der Bezahlsysteme-Anbieter Klarna, der Onlineshop Brands4Friends und nicht zuletzt der Kleinkind-Ausstatter Babymarkt.de, der seine Zentrale auf dem Bochumer Opel-Gelände beziehen will. 61 Investments mit einer Gesamtsumme von mehr als 400 Millionen Euro hat Tengelmann laut Internetseite bislang getätigt. Zum Teil wurden Anteile an den Firmen auch wieder gewinnbringend verkauft.
Auch interessant
Im vergangenen Jahr war die TEV erst vom Mülheimer Tengelmann-Campus, der inzwischen verkauft ist, nach Essen-Rüttenscheid gezogen. Winter erzählte gern die Geschichte, dass der damalige Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub auch schon mal per SMS die eine oder andere Million freigab, um in ein interessantes junges Unternehmen einzusteigen. Trotz der ansehnlichen Bilanz ist es zwischenzeitlich offenbar zu Meinungsverschiedenheiten über die künftige Ausrichtung der Venture-Firma gekommen.
Tengelmann Vennture will sich auf Handelsunternehmen konzentrieren
„Wir haben für uns entschieden, dass unser Investitionsansatz sich auch weiterhin mehr auf Konsumentenbedürfnisse im weiteren Sinne konzentrieren wird“, sagt ein Sprecher der Tengelmann-Gruppe, die nach dem Verschwinden von Karl-Erivan Haub im April 2018 allein von dessen Bruder Christian Haub geführt wird. Das Team um Christian Winter dagegen verfolge das Ziel, „das Investment-Spektrum zu verbreitern, sich selbstständiger aufzustellen und zu diesem Zweck auch Drittinvestoren einzubeziehen“.
Auch interessant
Nach Informationen unserer Redaktion sollen die Bemühungen der TEV, einen neuen Fonds in dreistelliger Millionen-Höhe aufzulegen, nicht zuletzt wegen der Corona-Krise zäh verlaufen sein. Man habe bei externen Partnern wie der NRW-Bank und der RAG-Stiftung angeklopft, heißt es. Ein Weg, der Tengelmann-Chef Christian Haub offenbar nicht behagt. So fiel die Entscheidung, dass Winter und Tengelmann seit dem 1. Oktober getrennte Wege gehen.
Die TEV will dem Vernehmen nach als unabhängiges Venture-Unternehmen mit Winter an der Spitze offenbar zunächst in Essen bleiben und darf den Namen weiter führen, allerdings ohne den Zusatz Tengelmann und ohne die Beteiligungen, die Tengelmann aktuell hält. Der Handelskonzern „wird sich am neuen Fonds mit einem Investment in zweistelliger Millionenhöhe beteiligen“, heißt es in einer internen Mitteilung, die unserer Redaktion vorliegt.
Haub will sich bei seiner Suche nach Investitionsmöglichkeiten stattdessen weiterhin auf junge Unternehmen rund um den Handel konzentrieren. „Dort liegt unsere Kompetenz, dort können auch Venture-Beteiligungen von unserem Know-how und Netzwerk profitieren“, sagt sein Sprecher. Vor allem will der Konzernchef aber offenbar verhindern, dass Dritte zum Fonds des Familienunternehmens stoßen.
Auch interessant
Das Beteiligungsgeschäft soll nun direkt von der neuen, dezentral aufgestellten Holding Tengelmann Twenty-One aus München heraus gesteuert werden. Nach der Auflösung der Zentrale in Mülheim, wo der Sitz des Unternehmens bleibt, hat Tengelmann jetzt Büros in Düsseldorf, München und Greenwich/USA. Die Venture-Aktivitäten lenkt nun der Tengelmann-Strategiechef Andreas Guldin. In Personalunion führt der promovierte Wirtschaftswissenschaftler und diplomierte Psychologe das US-Tochterunternehmen Emil Capital Partners. Vor seinem Wechsel zu Tengelmann war Guldin von 1995 bis 2005 Finanzchef der Edel-Kaufhauskette Breuninger.
München „hervorragendes Reservoir für Talente“
Tengelmann werde weiterhin „signifikant in junge, schnell wachsende Unternehmen investieren“, heißt es in der internen Mitteilung. In der Verlagerung des Venture-Geschäfts von Essen nach München sieht der Konzernsprecher keine Entscheidung gegen das Ruhrgebiet, der Keimzelle von Tengelmann. „Neben einigen unserer Venture-Capital-Beteiligungen, wie z.B. Westwing, Ottonova oder Blickfeld, haben viele Marktteilnehmer dort ihren Sitz, und es ist auch ein hervorragendes Reservoir für Talente“, sagt er auf Anfrage und versichert: „Tengelmann selbst ist und bleibt ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Nordrhein-Westfalen und das Ruhrgebiet“.
Auch interessant
Der Sprecher verweist darauf, dass „alle strategischen Geschäftsfelder“ ihre Zentralen in NRW hätten: die Baumarktkette Obi in Wermelskirchen, Babymarkt in Bochum, die Discounter Kik und Tedi in Bönen und Dortmund, die Immobiliengesellschaft TREI in Düsseldorf und die Energietochter in Essen.
Gleichwohl sorgt die Neuaufstellung von Tengelmann Venture für einige Unruhe. „Tengelmann spielt in der deutschen Start-up-Szene eine wichtige Rolle und kann mit dem Verständnis für Unternehmertum große Investmenterfolge verzeichnen. Wir bedauern natürlich, dass das Venture-Geschäft nicht mehr aus dem Ruhrgebiet gesteuert wird, sehen dies aber auch als weiteren Ansporn für die hiesigen Start-ups“, sagt Oliver Weimann, Geschäftsführer des Ruhrhub in Essen, der die Gründeraktivitäten im Revier koordiniert und gerade den Kongress Ruhrsummit am 27. und 28. Oktober vorbereitet. Tengelmann Venture war in den Vorjahren stets mit einem großen Messestand vertreten.