Essen. Während der Wohnungsbau brummt, sind von der Corona-Krise betroffene Firmen und Kommunen im Sparmodus. Branche fordert Senkung des Eigenanteils.
Dächer werden gedeckt, Fundamente gegossen, Straßen planiert – die Corona-Krise brachte weite Teile der Wirtschaft im Frühjahr zum Stillstand, aber nicht den Bau. Er gehört zu den Branchen, die bisher am besten durch die Pandemie gekommen sind. Doch die Branche entwickelt sich sehr uneinheitlich, und auch der Blick nach vorn ist nicht frei von Sorgen: Aus der Wirtschaft und von der öffentlichen Hand kommen weniger Aufträge. Und während der Tiefbau etwa im Straßen- und Leitungsbau brummt, bekommt der Hochbau die Folgen der Pandemie im gewerblichen Bereich deutlich zu spüren.
Die Bauverbände NRW rechnen mit stagnierenden Umsätzen in diesem und auch im kommenden Jahr, wie Hauptgeschäftsführer Hermann Schulte-Hiltrop unserer Redaktion sagte. Womit die Branche weit besser durch die Corona-Krise kommen würde als die meisten anderen. Die Lage sei aber unterschiedlich: Während etwa der Wohnungsbau weiter kräftig wachse, sei im Wirtschafts- und Gewerbebau die Krise zu spüren. Von der Pandemie betroffene Unternehmen würden Aufträge stornieren oder verschieben. Und kommunale Aufträge seien zwischen Mitte März und Mai fast ganz weggebrochen. „Als nachlaufende Branche werden wir diese Auftragsdelle Anfang kommenden Jahres zu spüren bekommen“, sagt Schulte-Hiltrop.
Der Hochbau verliert Aufträge, der Tiefbau gewinnt
Das belegen auch die am Mittwoch veröffentlichten Zahlen für die Auftragseingänge im nordrhein-westfälischen Bauhauptgewerbe von April bis Juni: Insgesamt sanken sie um 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, was aber nichts darüber aussagt, wie es dem einzelnen Betrieb ergangen ist. Denn der Tiefbau erhielt etwa im Straßenbau deutlich mehr Aufträge, der Hochbau dagegen ein Viertel weniger. Während der gewerbliche und industrielle Hochbau um 42,6 Prozent und der öffentliche Hochbau um 24,4 Prozent heftig einbrachen, wuchs der Auftragseingang im Wohnungsbau um 17,9 Prozent.
Die Bauindustrie, die stark von Großprojekten und Infrastruktur-Programmen lebt, ist entsprechend gut ausgelastet. „Die Bücher sind voll“, sagt Johannes Nebel vom Bauindustrieverband NRW. Er befürchtet allerdings, dass die Unternehmen im kommenden Jahr weniger Aufträge erhalten könnten. Und hofft, dass die öffentliche Hand ihre Investitionen in die Infrastruktur nicht runterfährt.
Bauverbände NRW: Eigenanteil der Städte halbieren
Hermann Schulte-Hiltrop vom Dachverband aller Baubranchen in NRW setzt auf Förderprogramme und eine schnelle Entlastung der klammen Kommunen. „Es würde sehr helfen, ihren Eigenanteil an der Finanzierung von Bauprojekten von 20 auf maximal zehn Prozent zu senken“, sagte er. In der schwierigsten Corona-Phase zwischen Mitte März und Mai hätten die Kommunen fast keine Aufträge mehr vergeben. Auch hätten sie viele alte Rechnungen nicht bezahlt und dies zuweilen damit begründet, im Homeoffice nicht an die Unterlagen zu kommen.
„Der Digitalisierungsschub, den gerade alle erleben, würde auch den Kommunen gut tun“, meint Schulte-Hiltrop. Für ihn war es auch eine vertane Chance, die Corona-bedingte Schließung öffentlicher Gebäude, etwa der Schulen, nicht für Sanierungsarbeiten genutzt zu haben. Viele Arbeiten seien ohnehin überfällig – und gerade kleineren Betrieben im Bauhandwerk hätte das helfen können.
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Die Städte haben enorme Steuerausfälle, die in diesem Jahr noch weitgehend vom Bund kompensiert werden. In den kommenden Jahren drohen aber große Haushaltslöcher: Prognosen aus dem Kommunalfinanzbericht der Gewerkschaft Verdi zufolge fehlen den Kommunen in NRW im kommenden Jahr 2,9 Milliarden sowie 2022 und 2023 je 2,6 Milliarden Euro. Der Bund müsse daher ihre Finanzen stabilisieren, fordert auch der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie.
Probleme bereitet vor allem den kleinen und mittelständischen Baubetrieben in diesem Jahr die Nachwuchssuche. Sie bieten mehr Stellen an als es Bewerber gibt, im gesamten Baugewerbe waren Ende Juli in NRW noch mehr als 4400 Ausbildungsplätze unbesetzt. Im Hoch- und Tiefbau kamen zuletzt mehr als drei Stellen auf einen noch unversorgten Bewerber, auch im Aus- und Trockenbau fehlt schlicht das Interesse der Jugendlichen. Besser sieht es etwa im Maler- und Stukateurgewerbe aus – hier gibt es mehr Bewerber als Stellen.
Bauindustrie findet genug Nachwuchs, Handwerk nicht
Die Bauindustrie mit ihren mittleren und größeren Unternehmen hat dieses Jahr im Ruhrgebiet und im Rheinland keine Probleme, genügend Nachwuchs zu finden und werde das Vorjahresniveau halten, sagt Johannes Nebel, Ausbildungsexperte beim Bauindustrieverband NRW. Wenn die Auftragslage im kommenden Jahr aber dünner werde, schlage das 2021 auch auf die Ausbildung durch.
In diese uneinheitliche Lage hinein fällt die Schlichtung in der bisher ergebnislosen Tarifrunde: Die IG BAU fordert 6,8 Prozent mehr Geld, mindestens aber 230 Euro pro Monat, um die unteren Lohngruppen zu stärken. Die Arbeitgeber des Bauhandwerks und der Bauindustrie halten das für unangemessen, haben selbst noch kein Angebot vorgelegt. Vor diesem Hintergrund ist auch die sehr unterschiedliche Bewertung der Lage zu sehen: Während IG-BAU-Chef Robert Feiger meint, „der Bau-Boom hält an“, weisen die Arbeitgeber auf die Folgen der Corona-Krise hin.
Der Auftragsrekord im Juni, den das Statistische Bundesamt am Dienstag auswies, gilt der Gewerkschaft als Beleg für ihre These. Der Zentralverband Deutsches Baugewerbe betonte dagegen, der Rekord gehe fast allein auf ein Autobahn-Großprojekt in Bayern (A3-Ausbau Erlangen/Bibelried) zurück, von dem kein Mittelständler etwas habe.