Essen. Verdi-Mann Orhan Akman kämpft in der Corona-Krise gegen einen Kahlschlag im Handel. Den Managern von Karstadt Kaufhof macht er schwere Vorwürfe.
Den Einzelhandel hat die Corona-Pandemie besonders hart getroffen. Orhan Akman versucht gerade, das Schlimmste für die Beschäftigten abzuwenden. Der Verdi-Mann ist auf Gewerkschaftsseite zum Gesicht im Kampf gegen die Krise geworden, die nicht nur Galeria Karstadt Kaufhof, Real, Esprit oder Douglas erwischt hat.
Seit Jahren fordert Orhan Akman gebetsmühlenartig, dass sich diese riesige Branche mit ihren mehr als drei Millionen Beschäftigten auf das Internet-Zeitalter und die sich ändernden Konsumgewohnheiten einstellen müsse. Der 45-Jährige vergleicht den Einzelhandel mit den Autobauern, die stoisch an Verbrennungsmotoren festhalten, obwohl die Zukunft in Strom und Wasserstoff liegt. „Corona offenbart uns die Krise des Systems. Der Kapitalismus ist mehr als anfällig und seine Unternehmen sehr schwerfällig, was Innovationen angeht“, sagt Akman.
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Ihn wurmt es, dass unter den Fehlern und Versäumnissen der Manager immer wieder die Beschäftigten zu leiden haben. Allein in diesem Jahr werden wieder Tausende Arbeitsplätze im Handel verloren gehen. Den Gewerkschafter schmerzt das und er sagt es auch den Managern auf der anderen Seite des Verhandlungstisches: „Man darf Beschäftigte nicht wie Ramschware behandeln.“
Orhan Akman: gebürtiger Kurde, Marxist und Atheist
Akman, der überzeugte Marxist, nimmt kein Blatt vor den Mund. Das war schon so, als er in seiner Heimat Malatya eingeschult wurde und sich vom Lehrer gleich am ersten Tag anhören musste: „Ab heute seid Ihr keine Kurden mehr, Ihr seid jetzt Türken.“ Der junge Orhan wollte aber nicht unter Zwang Türkisch lernen und sich „türkifizieren“ lassen. „Ich bin zur Tür raus und habe die Schule verlassen“, erzählt er. Am nächsten Tag habe es dafür dann in der Grundschule eine Tracht Prügel gegeben.
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Türkisch hat Akman trotzdem perfekt gelernt. Als er und seine Geschwister 1987 die Türkei verließen, um zu ihren Eltern nach Rheda-Wiedenbrück umzuziehen, kamen Deutsch, Englisch und später Spanisch und Portugiesisch dazu. Vater und Mutter verdienten als Gastarbeiter in einer westfälischen Fahrradfabrik ihr Geld. Der Sohn, der inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hatte, heuerte 1996 – ausgerechnet – beim Großschlachter Tönnies an. Seine Karriere als Buchhalter in der Fabrik endete aber jäh, als Akman versuchte, einen Betriebsrat zu gründen. „Die Arbeitsbedingungen waren miserabel und der Führungsstil unwürdig“, erinnert er sich. „Erst hat man mein Büro durchsucht und mich dann rausgeschmissen.“ An den Themen hat sich bei Tönnies bis heute kaum etwas geändert.
Für die Linken im Münchner Stadtrat
Nach mehreren Jobs im Ruhrgebiet, unter anderem bei Johnsons Control in Bochum, begann Akman dann doch eine gewerkschaftliche Laufbahn. „Der NGG war ich eindeutig zu links, weil ich zu oft in marxistischen Kreisen unterwegs war“, erzählt er. Seine betriebswirtschaftlichen Qualitäten waren dann aber doch gefragt, und Akman brachte die Finanzen in drei Landesverbänden der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten auf Vordermann. Ende 2002 bekam er dann bei Verdi in München die Chance, sich um sein eigentliches Steckenpferd zu kümmern: den Einzel- und Onlinehandel.
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Parallel machte Akman aber auch als Mitglied der Linken Kommunalpolitik im Münchner Stadtrat. Bis ihm die Hutschnur platzte, weil sich seine Fraktion einem rot-rot-grünen Bündnis verweigerte. Der an Lösungen orientierte Verdi-Mann trat als Stadtverordneter ab und bei den Linken aus. Anhänger des Marxismus und damit Kapitalismus-Kritiker blieb er gleichwohl. Ein „Sozialismus á la China“ schwebe ihm dabei ganz und gar nicht vor. „Mir kommt es darauf an, Menschen zu mobilisieren und Humanist zu sein.“
Von der Regierung in Peru ausgewiesen
Seinen tiefen Überzeugungen folgend zog es Akman für drei Jahre nach Lateinamerika, wo er unter anderem in Peru gewerkschaftliche Strukturen, allen voran im der aufstrebenden Handelsbranche, aufbaute. Wegen vermeintlicher „Störung des öffentlichen Friedens“ wurde er 2016 aus Peru ausgewiesen. Die Gewalt des Staates vermochte Akman jedoch nicht zu beeindrucken. Zurück in Deutschland wurde er bei Verdi in Berlin zunächst Bundestarifkoordinator für den Einzel- und Versandhandel, bevor ihn 2019 der Ruf nach ganz oben ereilte und er die Leitung der Bundesfachgruppe Einzelhandel übernahm. Seither spricht Akman auf Augenhöhe mit Handelsriesen wie Amazon, Lidl, Zara, H&M, Kaufland, Metro, Rewe, Real, Douglas und all den anderen.
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Nahezu rund um die Uhr fordert ihn aktuell allerdings ein anderer Konzern: Galeria Karstadt Kaufhof. Gerade hat er mit dem Essener Unternehmen ausgehandelt, dass Verdi und Betriebsräte aktiv bei der Suche nach einem inhaltlichen Zukunftskonzept für die trudelnde Warenhauskette einbezogen werden. Ein Meilenstein. Dem 45-Jährigen gelingt es in oft nächtlichen Sitzungen mit Managern und Sanierern immer wieder, so manches für seine Kolleginnen und Kollegen herauszuschlagen. An seinem Urteil gerade über Karstadt und die Dauerkrise der letzten zehn Jahre ändert das freilich nichts. „Hier wurde Missmanagement immer mit einer Abfindung belohnt. Man sollte die Verfehlungen stattdessen strafrechtlich verfolgen“, fordert Akman. Er hat kein Verständnis dafür, dass Managern nichts anderes einfalle, als Leute zu entlassen, Filialen zu schließen, Outsourcing zu betreiben, und das Sortiment auszudünnen, wenn die Geschäfte mal wieder nicht laufen.
„Aus Trauer der Mitarbeiter Mut machen“
„Die haben den Laden leergepumpt“, wirft der Gewerkschafter den häufig wechselnden Eigentümern und Geschäftsführern von Karstadt und Kaufhof vor. Nun werde wieder die Axt angelegt. Rund 50 Warenhäuser stehen vor dem Aus. Verdi wird das nicht verhindern können. Akman sieht seine Aufgabe nun darin, „aus der Trauer der Mitarbeiter Mut zu machen und sie zu mobilisieren. Protestaktionen helfen den Menschen, aus ihrer Ohnmacht zu kommen“, wie er sagt.
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Dabei ist sich der Bundesfachgruppenleiter darüber im Klaren, dass der Einfluss der Gewerkschaften vor allem im Handel schwindet. „In Deutschland haben wir mittlerweile eine geringe Tarifbindungsquote. Das macht mir Sorgen“, sagt er. „Wir als Gewerkschaften verlieren an Bedeutung und Gestaltungskraft.“ Ein Ausweg aus der Krise der Gewerkschaften könne nur sein, sich vom „Korsett aus Lohnentwicklung und Arbeitszeit“ zu befreien und als Gewerkschaften eine Debatte über die Frage anzustoßen: „Was ist eine gerechte Gesellschaft und wie wollen wir leben und arbeiten?“
„Am Ende zahlt sich Hartnäckigkeit aus“
Dem Mann mit dem schwarzen Zopf ist anzumerken, dass die aktuelle Krise im Handel nicht spurlos an ihm vorbei geht. „Das trifft mich enorm, weil Menschen um ihre Existenz fürchten. Ich kann den Kolleginnen und Kollegen nichts versprechen, aber gemeinsam mit ihnen marschieren. Es tut ihnen gut, wenn sie auch mal schimpfen können“, sagt Akman.
Als passionierter Bergsteiger in den Alpen und in den Anden hat der Atheist gelernt, dass man bei Tarifverhandlungen und im Kampf um Arbeitnehmerrechte Ausdauer braucht. „Die letzten 200 Meter sind die schwersten. Da darf man nicht umkehren“, sagt der Verdi-Mann. „Am Ende zahlt sich Hartnäckigkeit aus.“ Die Handelsmanager wissen also, was auf sie zukommt.