Essen. Bei den Deutschen Edelstahlwerken mit 3800 Jobs in NRW ist die Unruhe groß. Stellenabbau droht, Hoffnungen ruhen auf einer Landesbürgschaft.

Die Coronakrise bringt einen der größten Stahlhersteller Nordrhein-Westfalens in Bedrängnis. Insbesondere eine geringe Nachfrage aus der Automobilindustrie macht den Deutschen Edelstahlwerken (DEW) schwer zu schaffen. Beim DEW-Mutterkonzern Schmolz + Bickenbach (S+B) in Luzern ist von „dramatischen Auftragseinbrüchen“ die Rede. Die aktuelle Produktionsmenge werde mit hoher Wahrscheinlichkeit die geringste seit Bestehen des Unternehmens sein, berichtet der DEW-Mutterkonzern auf Anfrage unserer Redaktion. „Viel schlimmer ist aber, dass momentan kein Mensch weiß, wie lange es nach vorne hin dauert.“

An den fünf nordrhein-westfälischen Standorten Witten, Hattingen, Siegen, Krefeld und Hagen beschäftigt der Stahlkonzern rund 3800 Mitarbeiter. Der aktuelle Produktionsverbund ist unter anderem aus einstigen Thyssenkrupp-Betrieben entstanden. Weltweit beschäftigt Schmolz + Bickenbach eigenen Angaben zufolge mehr als 10.000 Mitarbeiter in rund 30 Ländern.

S+B-Chef Clemens Iller schwört die Beschäftigten in NRW auf harte Zeiten ein. „Der S+B Konzern ist vollkommen unverschuldet durch diese Pandemie in eine schwierige Lage gekommen“, sagte Iller unserer Redaktion. „Und wir müssen jetzt, wie viele andere auch branchenfremde Unternehmen, alles unternehmen, um die Zukunftsfähigkeit zu sichern.“ Dazu seien die „Mitarbeit und Kompromissbereitschaft aller Beteiligten“ erforderlich, fügte der frühere Thyssenkrupp-Manager Iller hinzu.

Beschäftigte von DEW sollen auf Teil des Gehalts verzichten

So wünscht sich die Konzernleitung von den Beschäftigten unter anderem den Verzicht auf einen Teil des Gehalts. Mit einer entsprechenden Forderung sei das Management bereits an die IG Metall herangetreten, teilte das Unternehmen mit. Es gehe unter anderem darum, ob eine für dieses Jahr erstmalig vorgesehene Zahlung eines zusätzlichen Entgelts in Höhe von je 1000 Euro ausgesetzt werden könnte.

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Viele DEW-Beschäftigte sind bereits in Kurzarbeit. Zusätzlich zeichnen sich Stellenstreichungen ab. In Gewerkschaftskreisen ist von rund 270 Arbeitsplätzen die Rede, die wegfallen könnten. Personalabbau werde „unausweichlich sein“, erklärte das Management in Luzern auf Anfrage, ohne eine Größenordnung zu nennen. Es gebe derzeit Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern.

Gespräche über Landesbürgschaft in Höhe von 50 Millionen Euro

Außerdem strebt der Stahlkonzern eine Landesbürgschaft an und ist dazu in Kontakt mit dem NRW-Wirtschaftsministerium. „Ein Antrag dazu ist in Vorbereitung und wir hoffen auf eine positive Entscheidung über eine Bürgschaft in Höhe von 50 Millionen Euro“, erklärte die Konzernmutter aus der Schweiz. „Die jetzt eingetretenen Auftragseinbrüche haben uns veranlasst zu prüfen, ob zusätzliche Mittel im Rahmen einer Landesbürgschaft generiert werden können“, hieß es zur Begründung.

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Dem Vernehmen nach hängt die Entscheidung über eine Landesbürgschaft insbesondere davon ab, ob dem Stahlkonzern DEW in Gutachten eine Zukunftsperspektive bescheinigt wird. Das Wirtschaftsministerium in Düsseldorf erklärte gegenüber unserer Redaktion, man sei „in engem Austausch“ mit dem Unternehmen und Arbeitnehmervertretern, um den Deutschen Edelstahlwerken und den Beschäftigten in NRW „eine gute Zukunft zu sichern“.

In Gewerkschaftskreisen ist zu hören, die Zustimmung der Arbeitnehmervertreter zu möglichen Einschnitten bei den Beschäftigten hänge ebenfalls davon ab, ob das Management ein schlüssiges Konzept für die Standorte in NRW entwickeln könne.

Investorenschwergewichte aus der Schweiz und Russland

Die größten Anteilseigner des Luzerner Stahlkonzerns S+B sind zwei Investorenschwergewichte: der Schweizer Martin Haefner, Besitzer des Autoimporteurs Amag, und die Investment-Gesellschaft Liwet mit dem Russen Viktor Vekselberg. Mittlerweile hält der Milliardär Haefner knapp die Hälfte der Aktien von Schmolz + Bickenbach.

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Die S+B-Anteilseigner hätten in den vergangenen Monaten „enorme Mittel aufgebracht“, erklärte das Unternehmen, „und so wurde in Kombination mit Bankkrediten die Konzernfinanzierung gewährleistet“. Derzeit spreche das Management in den Ländern mit größeren Werken über mögliche Staatshilfen. „Diese müssen später zurückbezahlt werden“, betonte S+B.

Auftragseinbrüche von bis zu 70 Prozent

Mit Blick auf die deutschen Standorte erklärte der Konzern, der Auftragseinbruch in der Corona-Krise werde „den finanziellen Spielraum der DEW in den kommenden Monaten extrem einschränken“. Im Automobilgeschäft habe das Unternehmen durch die Stillstände bei den Herstellern und die fehlenden Aufträge der Zulieferer Auftragseinbrüche von bis zu 70 Prozent verzeichnet, im Geschäft mit Werkzeug- und Maschinenbauern etwas weniger. Auf die Frage, ob das Unternehmen Werksschließungen erwäge, antwortete das Management schriftlich: „Alle geplanten Maßnahmen zielen darauf ab, den Standort wirtschaftlich und die Arbeitsplätze sicher zu machen.“

In Witten und Hattingen geht es Unternehmensangaben zufolge um rund 1700 Stellen, in Siegen sind es 1100 Arbeitsplätze. Hinzu kommen die Standorte Krefeld und Hagen mit 600 beziehungsweise 400 Jobs.