Witten. Auftragsausfälle durch Corona stürzen die Deutschen Edelstahlwerke tiefer in die Krise. Wittener hoffen auf millionenschwere Landesbürgschaft.
Die Situation der Deutschen Edelstahlwerke (DEW) hat sich durch die Corona-Krise noch einmal zugespitzt. Das Unternehmen mit Werken in Witten, Siegen, Krefeld, Hagen und Hattingen kämpft um seine Existenz. Das bestätigte nun auch die Geschäftsführung unserer Redaktion. Der Auftragseinbruch schränke den finanziellen Spielraum in den kommenden Monaten extrem ein, heißt es. Das könnte „eine große Herausforderung für die Zukunft und den Fortbestand der DEW darstellen“. Daher bemüht sich die Firmenleitung derzeit um eine Landesbürgschaft über 50 Millionen Euro.
Wie berichtet, fehlen dem Unternehmen in diesem und den nächsten zwei Jahren jeweils 13 Millionen Euro, insgesamt also 39 Millionen Euro. Daher hatten die Vertrauensleute der IG Metall Alarm geschlagen. Mit einem staatlich verbürgten Kredit über 50 Millionen Euro will das Stahlunternehmen diese Lücke nun schließen.
Auftragseinbruch bei DEW im Automobilbereich um 70 Prozent
Ein Antrag dazu sei in Vorbereitung. „Wir hoffen auf eine positive Entscheidung“, so die Geschäftsführung. Das Wirtschaftsministerium NRW spricht von „konstruktiven Gesprächen mit Unternehmensleitung und Betriebsräten, damit dieses für den Stahlstandort wichtige Unternehmen mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gut durch die Krise kommt.“
Die Deutschen Edelstahlwerke sind stark von der Automobilbranche abhängig. Durch Stillstände bei den Herstellern und die fehlenden Aufträge der Zulieferer, Hauptkunden der DEW, verzeichnete das Unternehmen nach eigenen Angaben in diesem Bereich in den letzten Wochen Auftragseinbrüche von bis zu 70 Prozent. Im Werkzeug- und Maschinenbau seien die Aufträge nicht ganz so stark eingebrochen.
Corona-Rettungsschirm kommt für DEW nicht in Frage
Schon in den vergangenen Monaten hätten die Anteilseigner „enorme Mittel“ aufgebracht, um in Kombination mit Bankkrediten die Konzernfinanzierung zu gewährleisten, heißt es seitens des Unternehmens. So hatte etwa die Generalversammlung des Schweizer Mutterkonzerns Schmolz + Bickenbach im Dezember einer Kapitalerhöhung um 300 Millionen Euro zugestimmt.
Staatliche Hilfen aus dem Corona-Rettungsschirm kommen für die DEW nicht infrage, musste die Geschäftsführung feststellen. Man habe zur Kenntnis nehmen müssen, dass die restriktiven Regelungen der Europäischen Union das unmöglich machen, teilt sie mit. Dahinter stecken wohl wettbewerbsrechtliche Überlegungen.
Mitarbeiter sollen auf Urlaubsgeld verzichten
Um aus der akuten Krise zu kommen, gibt es bei der DEW noch weitere Überlegungen. Wie berichtet, steht im Raum, dass die Mitarbeiter auf die Auszahlung des Urlaubsgeldes verzichten. Dieses hätten die Beschäftigten nach einem neuen Stahl-Tarifabschluss erstmalig erhalten. Dabei handelt es sich um 1000 Euro pro Person, wie die Geschäftsführung mitteilt. Eingespart werden könnten so 4,5 Millionen Euro. Hierzu befinde man sich im Dialog mit der IG Metall.
Im Rahmen des schon vor der Corona-Krise angestoßenen Sanierungsprogramms „DEW 2020 plus“ standen bereits 270 Stellen auf dem Prüfstand. Ob nun zusätzliche Stellen wegfallen könnten, ist unklar. „Es gibt Gespräche und Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern, die bis 2025 eine größere Anzahl von frei werdenden und nicht wieder zu besetzenden Arbeitsplätzen beinhaltet“, teilt die Geschäftsführung mit.
IG Metall fordert bessere Kommunikation des Unternehmens
Weitere Details des Sanierungskonzeptes sind bislang nicht bekannt. Alle geplanten Maßnahmen würden aber darauf abzielen, „den Standort wirtschaftlich und die Arbeitsplätze sicher zu machen“, so das Unternehmen. Ausscheidende Mitarbeiter würden nicht ersetzt und eine Vielzahl von technischen und organisatorischen Maßnahmen sei geplant, die Prozesse effektiver machen sollen.
Mehr als 900 Mitarbeiter in Kurzarbeit
Mehr als die Hälfte der 1800 Mitarbeiter am DEW-Standort Witten ist derzeit in Kurzarbeit.
Bei einer Landesbürgschaft übernimmt das Land NRW gegenüber den Kreditinstituten Ausfallbürgschaften von bis zu 80 Prozent. Das heißt, falls das Unternehmen den Kredit nicht zurückzahlen kann, springt das Land ein und zahlt bis zu 80 Prozent der gewährten Summe zurück. Im Fall DEW wären das 40 Millionen Euro. Mindestens 20 Prozent des Risikos verbleiben bei der Bank.
Die Bürgschaft des Landes ist nicht kostenlos. Es ist jährlich eine Bürgschaftsprovision von mindestens 0,5 Prozent des Bürgschaftsbetrages sowie ein einmaliges Antragsentgelt zu entrichten.
„Wir erwarten, dass die Geschäftsführung deutlicher kommuniziert“, fordert daher Holger Lorek, Gewerkschaftssekretär der IG Metall. Die Mitarbeiter seien allesamt sehr unruhig, weil niemand wisse, wie es weitergeht. Ein Überblick über alle geplanten Maßnahmen fehle bislang. Der Sanierungsplan sei notwendig, damit die DEW überhaupt wieder schwarze Zahlen schreibe, so Lorek.
Generell ist der Gewerkschafter aber zuversichtlich, dass die Edelstahlwerke auch diese Krise überstehen werden. „Wir haben gute Produkte, für die es auch einen Markt gibt“, so Lorek. Viel hänge natürlich auch vom Mutterkonzern in der Schweiz ab. Auch andere Niederlassungen müssten gerettet werden. „Aber wir sind im Flottenverband das größte Schiff“, so Lorek. 4000 der insgesamt 10.000 Mitarbeiter des Stahlkonzerns arbeiten im deutschen Tochterunternehmen. Auch die Anteilseigner hätten daher Interesse daran, die DEW zu retten.
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