Essen. Die Corona-Krise hat Schwächen unserer Wirtschaft offenbart und Chancen aufgezeigt. Die Lehren von der Digitalisierung bis zur Kinderbetreuung.

Wenn eine Krise abklingt, kommt stets die Frage auf, was aus ihr zu lernen sei. An der Corona-Pandemie irgendetwas Gutes finden zu wollen, klingt zunächst unpassend bis zynisch. Tausende Menschen haben auch in Deutschland ihr Leben verloren, Kinder ihre Eltern, Enkel ihre Omas und Opas. Angesichts dessen fällt es schon schwer, im nächsten Satz die ökonomischen Opfer zu beklagen, die der Eindämmung des Virus geschuldet sind. Doch auch dies verursacht menschliches Leid: Das wochenlange Lahmlegen weiter Teile der Wirtschaft hat Zehntausende Arbeitsplätze gekostet und es wird noch vielen Unternehmen, vor allem kleinen Betrieben und Selbstständigen die Existenz rauben.

Nun sollen wir dem Ganzen auch noch etwas Positives abgewinnen? Kennen die Kommentatoren, die von Entschleunigung und dem neu entdeckten Wert sozialer Gemeinschaft schwärmen, denn niemanden niemanden, der durch Corona seinen Job oder gar sein Leben verloren hat?

Kurzarbeit rettet Millionen Arbeitsplätze

Mit dem Blick auf frühere Krisen war die Frage, was aus ihnen zu lernen sei, allerdings meist eine lohnende. Ohne die große Weltfinanz- und Wirtschaftskrise hätten wir in diesen Corona-Zeiten nicht so schnell auf Kurzarbeit umschalten können. Die Erfahrung aus 2009 samt fertiger Krisenmodelle für den Gesetzgeber haben bis jetzt Millionen Arbeitsplätze gerettet. Mehr als sieben Millionen Beschäftigte befanden sich laut Ifo-Institut zuletzt in Kurzarbeit angezeigt. Früher wäre ein großer Teil von ihnen einfach entlassen worden.

Auch diesmal ist es wichtig zu fragen, welche positiven Erkenntnisse wir aus der Corona-Krise ziehen können – ganz im Gegenteil. Der Shutdown hat ein Brennglas auf alles geworfen, was hierzulande nicht perfekt läuft. Der zehnjährige Rekordaufschwung hat vieles überdeckt, was nun offensichtlich wurde – etwa den Rückstand Deutschlands im Vergleich mit anderen Industriestaaten bei der Digitalisierung. Videokonferenzen sind toll – es sei denn, Ton und Bild ruckeln im Tempo der alten Kupferleitung, über die das Internet ins Homeoffice kommt.

Auch interessant

Trotzdem hat die Corona-Krise einen kräftigen Schub für die Digitalisierung erzwungen. Vom Videochat mit den Kollegen über virtuelle Bewerbungsgespräche und Arztvisiten bis hin zur rein digitalen Hauptversammlung der Konzerne. Die Dringlichkeit einer digitalen Infrastruktur, die dem auch gerecht wird, bleibt freilich, dürfte aber nun auch beim letzten verantwortlichen Politiker angekommen sein.

Homeoffice und Kinderbetreuung lassen sich nur sehr schwer vereinbaren, mehr als eine Notlösung kann das weder für Kinder noch Eltern sein.
Homeoffice und Kinderbetreuung lassen sich nur sehr schwer vereinbaren, mehr als eine Notlösung kann das weder für Kinder noch Eltern sein. © Westend61 | imago stock

Zum Durchbruch verholfen hat Corona zumindest für einige Wochen in einigen Berufen dem Homeoffice. Ob das nun eine Errungenschaft oder ein Fluch ist – eine Frage der Perspektive. Dass Beschäftigte im Homeoffice meist produktiver sind als im Büro, zeigen diverse Studien. Im dritten Monat Homeoffice dürfte viele bemerkt haben, dass sie früher anfangen, das Mittagsessen schlabbern und abends schwer abschalten können. Sprich: dass sie daheim zur Selbstausbeutung neigen.

Viele Personalchefs wenden sich dieser Tage an ihre Belegschaft, danken für ihren Einsatz und die Flexibilität – um dann anzukündigen, man könne und werde auch nach der Corona-Krise nicht einfach zum alten Muster zurückkehren. Das birgt für die Betriebsräte die Chance, das Homeoffice in geordnete Bahnen zu lenken. Normale Arbeitszeiten, eine anständige Ausstattung, klare Regeln und ein adäquater Versicherungsschutz fürs Homeoffice gehören in Betriebsvereinbarungen festgezurrt, das war ohnehin überfällig.

Homeoffice wird nicht zur Regel, aber zunehmen

Die meisten kehren nach und nach in ihre Büros zurück, doch es werden nach der Pandemie sicher mehr Beschäftigte zumindest tageweise zuhause arbeiten. Das hat auch Konsequenzen für den Immobilienmarkt. Makler geben bereits trotzig zu Protokoll, am riesigen bedarf für modernen Büroraum ändere die Krise nichts. Doch das klingt mehr nach Selbstschutz als nach Überzeugung.

Grundsätzlich werden sich viele inzwischen fragen: Muss wirklich jeder Termin ein physisches Treffen sein? Die Antwort wird häufig „Ja“ lauten, wenn es darum geht, einen neuen Kunden, Geschäftspartnern, Chef oder Kollegen zu treffen, um wichtige Entscheidungen zu treffen. Doch Absprachen und Diskussionen mit wohl bekannten Gesichtern funktionieren auch im Videochat. Weniger physische Treffen bedeuten weniger Individualverkehr und weniger Zeitverlust für die Anfahrt. Auch das ist Entschleunigung. Und wer in den ersten Corona-Wochen doch mal Auto fahren musste, wird die selbst zu Berufsverkehr-Zeiten leeren Straßen schätzen gelernt haben.

Virtuelle Hauptversammlungen keine Dauerlösung

Virtuelle Hauptversammlungen wie die von Eon mit Vorstandschef Johannes Teyssen sind praktisch und klimaschonend, rauben den Aktionärstreffen aber jede Spontaneität.
Virtuelle Hauptversammlungen wie die von Eon mit Vorstandschef Johannes Teyssen sind praktisch und klimaschonend, rauben den Aktionärstreffen aber jede Spontaneität. © FUNKE Foto Services | Elsa Wehmeier

Dax-Konzerne haben die Vorzüge digitaler Hauptversammlungen erkannt. Erst Corona hat sie möglich gemacht, weil die Regierung dafür die Präsenzpflicht für Aktionärstreffen aufheben musste. Die Versammlungen etwa bei Bayer und Eon liefen straffer ab, waren schneller beendet. Das ist aus Aktionärssicht kein Vorteil an sich, vielmehr geht den rein digitalen Hauptversammlungen jede Spontaneität, im Grunde jede Lebendigkeit ab. Lernen lässt sich trotzdem etwas: Die komplette Übertragung ins Internet und die Möglichkeit für Aktionäre weltweit, digital abzustimmen, darf gerne zur Regel werden.

Auch interessant

Online-Beteiligung, Behördenanträge übers Internet und Videosprechstunden mit dem Hausarzt haben viele Vorteile, die erst jetzt der breiten Masse richtig deutlich geworden sind. Das spart oft viel Zeit. Kontrolltermine etwa, bei denen der Arzt seinen Patienten einfach dem Befinden fragt und ob das verschriebene Medikament die erhoffte Wirkung erzielt, funktionieren auch am Telefon oder Bildschirm. Ganz ohne Sitzstunde im stickigen Wartezimmer. Korrespondenzen etwa mit der Arbeitsagentur bei Formalien per Mail zu erledigen, spart ebenfalls Ämtern wie Betroffenen Zeit und nebenbei unnötig ausgestoßene Klimagase.

Mehr Bürgerbeteiligung online organisieren

Prädestiniert für mehr Online-Mitsprache wären auch die klassischen Bürgerbeteiligungen, etwa bei Windkraftprojekten oder dem Bau von Stromtrassen. Die so wichtigen, aber oft bei Anwohnern umstrittenen Projekte könnten durch eine weitgehende Erfassung und Bearbeitung der Einwände und Beschwerden übers Internet beschleunigt werden – was die in Deutschland stockende Energiewende beschleunigen könnte.

Auch interessant

Und aus noch einer Erkenntnis dieser Krise gilt es dringend Lehren zu ziehen: wie wichtig eine arbeitnehmerfreundliche Kinderbetreuung wäre. Durch die Corona-bedingte Schließung der Kitas konnten viele Eltern nicht mehr oder nur eingeschränkt arbeiten. Zumindest, wenn ihr Beruf als nicht systemrelevant eingestuft wurde – was an sich schon bitter genug klingt für viele. Doch selbst wer sich über seine plötzlich anerkannte Systemrelevanz freuen durfte, kam mit der Notbetreuung oft nicht aus. Dass mitunter durchaus beide Eltern bzw. Alleinerziehende auch außerhalb der Öffnungszeiten von 7 bis 16 Uhr arbeiten, sieht unser Betreuungssystem nicht vor. Der Arbeitswirklichkeit endlich gerecht zu werden statt sie weiter zu ignorieren, wäre die vielleicht wertvollste Lehre aus dieser Krise.