Mülheim. Die Turbulenzen an der Spitze der Mülheimer Easy Software AG endeten mit dem Rauswurf des Chefs. Vorstand Krautscheid redet erstmals über Gründe.

Nach mehreren Anläufen hat der Aufsichtsrat der Easy Software AG aus Mülheim den Vorstandsvorsitzenden Dieter Weißhaar vor die Tür gesetzt. Finanzchef Oliver Krautscheid redet im Gespräch mit Frank Meßing erstmals über Hintergründe und die Frage, ob die Softwareschmiede ein Übernahmekandidat ist.

Herr Krautscheid, am 4. August 2019 hat der Easy-Aufsichtsrat unter Ihrem Vorsitz den Vertrag von Vorstandschef Dieter Weißhaar vorzeitig verlängert, weil Sie das Unternehmen wieder „auf der Erfolgsspur“ sahen. Sechs Monate später muss Weißhaar gehen. Warum?

Oliver Krautscheid: Verlängert haben wir den Vertrag von Herrn Weißhaar, weil er in seinem ersten Jahr zahlreiche gute Entscheidungen getroffen hat. Am 1. August 2019 veröffentlichte er ein historisch gutes 1. Halbjahr mit fast 60 Prozent Wachstum im Lizenzgeschäft und knapp 30 Prozent Wachstum im Consultinggeschäft. Dies und ein konkurrierendes Angebot für Herrn Weißhaar waren Grundlage für einen neuen Fünf-Jahresvertrag – mit einer auf maximal zwei Jahre gedeckelten Abfindung. Zweifel sind entstanden, als offensichtlich wurde, dass sich die Performance im zweiten Halbjahr erheblich verschlechterte. Das Ergebnis: Bereinigt um die Akquisition lag das Wachstum im Gesamtjahr bei Null. Und letztlich musste auch das Ertragsziel korrigiert werden. Was uns zusätzlich alarmiert hat: Zahlreiche Know-how-Träger verließen das Unternehmen – ein Urteil über die Führungskultur im Unternehmen.

Können Sie uns etwas zu den Compliance-Verstößen sagen?

Der Aufsichtsrat der Gesellschaft hat für die Compliance-Prüfung externe Sachverständige hinzugezogen. Mir liegen die vollständigen Berichte nicht vor und ich habe an den Beratungen des Aufsichtsrats zu diesem Thema nicht teilgenommen. Nach meiner Kenntnis handelt es sich bei den Compliance-Ergebnissen um schwerwiegende Pflichtverletzungen durch Herrn Weißhaar.

Oliver Krautscheid, Finanzvorstand der Easy Software AG.
Oliver Krautscheid, Finanzvorstand der Easy Software AG. © Handout | Claus Langer

Bei Thyssenkrupp oder Ceconomy wechselten zuletzt die Aufsichtsratschefs ins Top-Management, weil die Unternehmen tief in der Krise stecken. Easy schreibt aber schwarze Zahlen.

Der Fall bei Easy ist anders gelagert. Aufgrund von Vertuschungsversuchen, falschen Vorstandsberichten an den Aufsichtsrat sowie Eingriffen des Vorstands in die Überwachungskompetenz des Aufsichtsrats sind fundamentale Konflikte entstanden, die nur durch eine schnelle Erweiterung des Vorstands gelöst werden konnten. Mangels sofortiger Verfügbarkeit externer Kandidaten war der Wechsel eines Aufsichtsrats in den Vorstand alternativlos.

Sie waren auch Aufsichtsratsvorsitzender der Berliner Mologen AG, als die Pharmafirma im Februar einen Insolvenzantrag stellte. Ist es richtig, dass Sie schon länger den Plan verfolgten, ins Easy-Management zu wechseln?

Ein klares Nein. Die Aktionäre von Mologen haben rund 200 Millionen Euro in die Erforschung einer vielversprechenden Immuntherapie investiert. Dass es uns nicht gelungen ist, das Unternehmen bis zur Entwicklung eines marktreifen Medikaments zu finanzieren, bedaure ich sehr. Das hat allerdings nichts mit Easy zu tun. Ich durfte bei Easy knapp sieben Jahre als Aufsichtsratsvorsitzender dienen und mehrere Vorstandsbesetzungen begleiten. Hätte ich ein Vorstandsamt angestrebt, so hätte es dafür mehrere Möglichkeiten gegeben. Richtig ist aber, dass der Aufsichtsrat bereits seit Anfang 2019 die vakante Position des Finanzvorstands besetzen wollte und dazu mehrere Interviews mit potenziellen Kandidaten geführt hat. Im Herbst 2019 wurde ich von meinen Aufsichtsratskollegen gefragt, ob ich als Finanzvorstand zur Verfügung stehe, was ich jedoch aus privaten Gründen abgelehnt habe.

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Am 11. Februar 2020, als der Wechsel vollzogen wurde, stand die Easy-Aktie bei knapp sieben Euro. Zwischenzeitlich ist sie bis auf 2,15 Euro abgestürzt. Haben die Märkte die Rochade nicht akzeptiert?

Der Easy-Kurs notiert diese Woche bei 3,60 Euro je Aktie. Das Umfeld ist anspruchsvoll: Selbst der Dax hat in der Spitze fast 39 Prozent verloren. Aber es gibt nichts schönzureden: Die Umstände des Wechsels haben sicher Vertrauen gekostet. Und das müssen wir uns zurückverdienen. Wenn ein Aufsichtsrat nach einer Compliance-Prüfung gezwungen ist, den Vorstandsvorsitzenden fristlos abzuberufen, müssen dafür handfeste Gründe vorliegen. Der Kurs spiegelt die Sorge wider, dass hier noch weitere negative Überraschungen drohen. Und: Bei Vorstandswechseln vermutet der Markt häufig deutliche Korrekturen. Zum Vergleich 2017 – bevor Herr Weißhaar zu Easy wechselte – lag der Konzernjahresüberschuss bei 1,9 Millionen Euro, 2018 war es aufgrund eines Restrukturierungsprogrammes ein Verlust von 2,3 Millionen Euro. Hinzu kommt: Aufgrund des geringen Handelsvolumens sind die Kurse nicht repräsentativ für die Werteinschätzung der Mehrheit der Aktionäre. Verkäufe von einzelnen Aktionären können zum Beispiel auch nicht so einfach von einem Großaktionär aufgefangen werden, da bei Überschreiten der 30-Prozent-Schwelle ein Pflichtübernahmeangebot an alle Aktionäre durchgeführt werden müsste.

Ist Easy in dieser schwierigen Situation ein Übernahmekandidat?

Die Easy ist ein etabliertes Unternehmen mit einem kerngesunden und attraktiven Geschäftsmodell im Dokumentenmanagement-Markt – und ganz ausgezeichneten Mitarbeitern. Auch in der aktuellen Corona-Krise beweist das Easy-Team, dass sich die Kunden zu 100 Prozent auf uns verlassen können. Übernahmen sind in diesem Markt an der Tagesordnung. Erst kürzlich wurde die Docuware übernommen, zuvor wurde die SER von einem Finanzinvestor gekauft. Investoren gefällt an der Easy, dass sie über einen großen und wachsenden Vertragsbestand an Wartungskunden verfügt, was Stabilität in die Umsatzentwicklung bringt – und hohe Liquiditätszuflüsse am Anfang eines Jahres. Die Abhängigkeit von einzelnen Kunden ist gering und die Kunden sind sehr loyal. Im Schnitt verliert Easy gerade einmal vier Prozent ihres Kundenbestands pro Jahr, kann aber sichtbar stärker wachsen. Die Produkte und Kundenlösungen von Easy helfen vielen Unternehmen sich digitaler aufzustellen und insbesondere in der Corona-Krise sicher und einfach Home-Office Lösungen für ihre Mitarbeiter zu ermöglichen.

Dieter Weißhaar wurde als Vorsitzender des Vorstands der Easy Software AG abberufen.
Dieter Weißhaar wurde als Vorsitzender des Vorstands der Easy Software AG abberufen. © Lars Heidrich / FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

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Ein zeitweise nicht beschlussfähiger Aufsichtsrat, die Verkündung einer „voraussichtlichen Abberufung“ – hätte Easy die Personalfragen nicht eleganter lösen können?

Das hätten wir uns gewünscht. Hier hat Herr Weißhaar allerdings die Bestellung eines Ersatzkandidaten für den Aufsichtsrat bei Gericht zu torpedieren probiert. Offenbar um seine Abberufung zu verzögern und eine Fristverletzung durch den Aufsichtsrat zu provozieren.

Herr Krautscheid, Sie sind als Finanzchef derzeit der einzige Vorstand bei der Easy AG. Streben Sie den Vorstandsvorsitz an?

Titel spielen für mich keine Rolle. Es geht um die Sache. Sich als Alleinvorstand „Vorsitzender des Vorstands“ zu nennen, ist schon eigenartig und dient eher Eitelkeiten von Führungskräften. Ich möchte mein Amt nutzen, um wieder Vertrauen aufzubauen – bei Mitarbeitern, Kunden und Partnern. Wir haben ein Programm gestartet, um die Organisation wieder stärker auf unsere Kunden zu fokussieren. Das funktioniert nur mit Teamarbeit. Und weil ich die Arbeit in gut funktionierenden Teams sehr schätze, begrüße ich es sehr, dass der Aufsichtsrat den Vorstand wieder auf zwei Personen erweitern möchte.

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Was wollen Sie besser machen als Dieter Weißhaar?

… für weniger „ich“ und mehr „wir“ sorgen. Die dringendste Aufgabe bestand zunächst darin, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder zu Offenheit und Selbstbewusstsein zu motivieren und einen offenen Dialog einzuführen. Wir haben ein richtig gutes Team, das Respekt, Anerkennung und Fairness verdient. Tatsächlich ist es uns bereits gelungen, mehrere Leistungsträger, die das Unternehmen verlassen hatten, wieder zurückzugewinnen und eine Vielzahl von in Aussicht gestellten Kündigungen zu verhindern.

Das papierlose Büro ist ein Mega-Thema, an dem kein Unternehmen vorbeikommt. Wie beurteilen Sie die Marktchancen von Easy?

Ein Dauerthema, das uns schon seit unserer Unternehmensgründung vor genau 30 Jahren begleitet. Inzwischen mit neuen Anwendungen: E-Mails, PDFs oder Rechnungen müssen intelligent interpretiert und den richtigen Geschäftsprozessen automatisiert zugeführt werden. Zugleich sehen wir im Mittelstand auch noch historisch gewachsene Altsysteme, die wir mit unseren Lösungen ideal einbinden und einzelne Prozesse komplett oder Stück für Stück digitalisieren können. Wir operieren hier in einem großen Markt, der aufgrund seiner Reife nicht mehr so stark wächst wie international. Hier gilt es, mit neuen Fachanwendungen oder Geschäftsmodellen neue Kundensegmente zu entwickeln und durch Cross-Selling bei unserer großen Bestandskunden-Basis zu wachsen.

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Das Unternehmen hatte sich zuletzt auf den deutschsprachigen Raum konzentriert. Haben Sie auch andere Märkte im Blick?

Wir erzielen mehr als 90 Prozent unseres Umsatzes im deutschsprachigen Raum und haben hier noch viele Potenziale – gerade bei unseren Bestandskunden. Wachstum im Ausland mit bestehenden Ressourcen ist durchaus eine Herausforderung. Dagegen rechnen sich für uns Unternehmenskäufe im anglo-amerikanischen Raum derzeit nicht. Daher werden wir gezielt Partnerschaften prüfen, um auch international zu wachsen – mit Schwerpunkt Europa. Easy hatte in der Vergangenheit ein sehr gutes Ökosystem von tollen Partnern, hat in den vergangenen Jahren aber nicht mehr richtig überzeugt. Das soll sich ändern.

Welche Rolle spielt Easy im nationalen und internationalen Wettbewerb?

Mit über 13.600 branchenübergreifenden Installationen ist die Easy Software AG eines der marktführenden Unternehmen für Softwareprodukte und Softwarelösungen in Deutschland. Wir verfügen dabei über ein Netzwerk von rund 100 Partnern. Heute sind unsere Produkte weltweit in 60 Ländern im Einsatz und Easy in 20 Standorten präsent. Zunehmend begeistern sich auch Großkunden für unsere Lösungen, die zuvor von den beiden dominierenden internationalen Anbietern IBM und Opentext bedient wurden. Die Software-Industrie befindet sich jedoch in einem technologischen und auch Geschäftsmodellwandel. Betreiberlösungen wie Cloud, Software-as-a-Service und Mietmodelle wachsen stark. Gerade in der jetzigen Krise helfen sie Unternehmen, innovative Lösungen für sichere Heimarbeitsplätze bereitzustellen, ohne dafür ein hohes Investitionsbudget wie beim klassischen Lizenzverkauf bereitstellen zu müssen.

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Die Corona-Krise zeigt, wie überlebenswichtig die Digitalisierung für Unternehmen ist. Die meisten Beschäftigten arbeiten jetzt von zu Hause aus. Wird die Pandemie am Ende die Software-Branche weiter beflügeln?

Wir verkaufen zwar keine Desinfektionsmittel oder Toilettenpapier, aber unsere Kernprodukte helfen in der Tat vielen Unternehmen auch mit dezentraler Arbeitsweise sicher und verlässlich zu funktionieren. Aktuell wächst auch das Bedürfnis nach digitalen Lösungen, wenn die Mitarbeitenden nicht mehr täglich im Büro sind. Eingangsrechnungen können nicht mehr verarbeitet werden, Arbeitsverträge nicht fertiggestellt werden, Unterschriften nicht digital geleistet werden – viele Baustellen, denen insbesondere kleinere und mittelständische Unternehmen jetzt begegnen und die große Herausforderungen darstellen. Wir sehen den Trend, mit Digitalisierung effizienter zu arbeiten oder bessere Kundenerlebnisse zu erzeugen, weiter anhalten. Die Umstände, die die Corona-Beschränkungen mit sich bringt, beflügeln das noch. Das Verständnis dafür, wie wichtig es ist, in Digitalisierungsprojekte zu investieren, wächst.