Essen. Uniper bereite die Beschäftigten des umstrittenen Kraftwerks Datteln auf Proteste vor. Uniper-Chef Schierenbeck im Interview.

Uniper ist der neue Lieblingsfeind der Klima-Aktivisten, sein Steinkohlekraftwerk Datteln 4 löst den Hambacher Forst als Protest-Sammelpunkt ab. Uniper-Chef Andreas Schierenbeck sagt im Interview mit dieser Zeitung, wie er damit umgeht, warum er in Ostdeutschland weiter Braunkohle verfeuert und wie er das Unternehmen klimaneutral machen will.

Herr Schierenbeck, Datteln 4 wird nach dem Hambacher Forst zum neuen Symbol der Kohlegegner. Wie groß sind Ihre Sorgen deswegen?

Andreas Schierenbeck: Ob Datteln 4 zum neuen Symbol wird oder nicht, werden wir sehen. Ich halte nichts von Symbolpolitik. Es gibt einen politischen Kompromiss zum Kohleausstieg, der vielen nicht passt. Das zeichnet meist einen guten Kompromiss aus. Für mich ist nun entscheidend, ob es in Deutschland noch möglich ist, einen einmal erzielten Kompromiss auch durchzusetzen.

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Daran zweifeln Sie?

Ich habe nichts gegen Proteste und bin immer zum Dialog bereit. Am Ende wollen ja wir ja alle das Gleiche: eine klimafreundlichere Energieversorgung und eine lebenswerte Umwelt. Ein Problem habe ich damit, wenn der Protest ins Kriminelle abgleitet, wenn Leute unerlaubt auf Grundstücke vordringen und Mitarbeiter bedrohen, wie wir es bei RWE im Rheinischen Revier gesehen haben. Der Schutz von Eigentum ist ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Ziviler Ungehorsam darf nicht die Beschönigung einer Straftat sein. Das kann sich kein Rechtsstaat leisten.

Uniper schult Mitarbeiter in Deeskalation

Bereiten Sie Ihre Mitarbeiter in Datteln darauf vor?

Ja, natürlich. Der Umgang mit den Protesten und Möglichkeiten zur Deeskalation sind Teil der Vorbereitung auf die Inbetriebnahme des Kraftwerks. Viele Mitarbeiter leben in Datteln, wir müssen sie und ihre Familien schützen.

Eine Demo von Fridays for Future im Januar – womöglich nur ein Vorgeschmack auf die Proteste, wenn Datteln 4 im Sommer ans Netz geht.
Eine Demo von Fridays for Future im Januar – womöglich nur ein Vorgeschmack auf die Proteste, wenn Datteln 4 im Sommer ans Netz geht. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Können Sie nicht verstehen, dass Kohlegegner gegen das Anfahren des größten Steinkohlekraftwerks in Deutschland sind?

Rein sachlich betrachtet sind die Proteste nicht nachvollziehbar, weil wir ja im Gegenzug alte Steinkohlekraftwerke abschalten und am Ende mehr CO2 einsparen. Braunkohlekraftwerke dürfen bis 2038 laufen, obwohl sie etwa doppelt so viel CO2 ausstoßen wie Datteln 4. Warum dieses effiziente und vergleichsweise klimafreundliche Kraftwerk nicht ans Netz dürfen soll, kann ich als Ingenieur daher in der Tat nicht verstehen.

Die Kohlekommission hatte trotzdem empfohlen, Datteln nicht ans Netz zu lassen …

… sie hatte empfohlen, nach Alternativen zu suchen, für die wir offen waren. Wirtschaftsminister Altmaier fand es aber keine gute Idee, Milliarden-Entschädigungen zu zahlen, damit ein hochmodernes Kraftwerk nicht ans Netz geht. Ich kann das gut nachvollziehen, schließlich senken wir unsere CO2-Emissionen der Kohleverstromung in Deutschland durch Datteln 4 noch einmal um bis zu 40 Prozent.

Aber die Bundesregierung hat inzwischen eingeräumt, dass die neuen Emissionen durch Datteln 4 nicht vollständig durch zusätzliche Abschaltungen kompensiert werden, weil die alten Blöcke kaum laufen.

Ich kenne die Berechnung des Bundesumweltamtes, es gibt aber auch andere Prognosen. Wenn wir zum Beispiel in den 30er Jahren mit Strom aus Datteln Braunkohlestrom aus dem Markt drängen, sieht die Klimabilanz ganz anders aus. Für Uniper kann ich klar sagen, dass unser Kraftwerkspark weniger CO2 ausstoßen wird, weil wir bis auf Datteln 4 alle Steinkohlekraftwerke bis Ende 2025 abschalten werden, die ersten schon 2022.

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Wie können Sie das so genau planen? Sie müssen sich dafür doch an der Ausschreibung für Stilllegungen beteiligen. Den Zuschlag erhält nur, wer am wenigsten Geld verlangt. Sie wollen also nichts für Ihre Kraftwerke haben?

Darüber, ob und wie wir mitbieten, dürfen wir uns vorher nicht äußern, das wäre Wettbewerbsverzerrung. Richtig ist, dass wir die Stilllegungen anmelden müssen und die Bundesnetzagentur das letzte Wort hat.

Andere Betreiber von Steinkohlekraftwerken fühlen sich gegenüber der Braunkohle benachteiligt, weil sie kaum Entschädigungen erhalten und Steinkohleblöcke zwangsweise abgeschaltet werden sollen. Steag und Trianel prüfen rechtliche Schritte, warum nicht Uniper?

Für andere ist das ein Thema, für uns nicht. Wir haben einen Kompromiss mit der Regierung gefunden, mit dem wir leben können.

Auch Datteln 4 dürfte zwangsweise abgeschaltet werden. Das würde Sie nicht stören?

Wenn es so käme, könnten wir damit natürlich nicht zufrieden sein –schließlich haben wir das Kraftwerk für eine Laufzeit von 40 Jahren gebaut. Ich bin aber zuversichtlich, dass Datteln 4 das letzte laufende Steinkohlekraftwerk in Deutschland sein wird, weil es das modernste und effizienteste ist.

„Werden ja sehen, ob Datteln 2033 nicht systemrelevant ist“

Die Regierung will aber 2033 raus aus der Steinkohle, müssten Sie gegen das, was Konkurrenten „Enteignung“ nennen, nicht allein aus Pflicht gegenüber Ihren Aktionären klagen?

Für unsere Aktionäre ist entscheidend, dass wir als Vorstand die beste Lösung für Uniper finden – und die haben wir mit dem Kompromiss und unserem eigenen ambitionierten Ausstiegsfahrplan. Und wir werden ja sehen, ob 2033 Datteln 4 nicht doch noch gebraucht wird. Damit werden wir uns aber erst befassen, wenn es soweit ist.

Auch die potenziellen Abnehmer des Kohlestroms von Datteln, die Bahn und RWE, möchten ihre Klimabilanz verbessern. Sind Sie sich Ihrer Großkunden noch sicher?

Wir werden ein Viertel des Bahnstroms in Deutschland liefern. Die Bahn plant fest damit.

Aber RWE will gar keinen Strom mehr aus Datteln und sogar gegen Uniper geklagt.

Unsere Rechtsposition hat sich bislang in allen Instanzen durchgesetzt. Verträge sind dazu da, dass sie eingehalten werden.

Sie betreiben selbst ein Braunkohlekraftwerk in Schkopau in Sachsen-Anhalt, das Sie bereits 2026 auf klimafreundlicheres Gas umstellen wollten. Nun zwingt Sie die dortige Landesregierung, bis 2034 dreckigen Braunkohlestrom zu erzeugen. Klingt absurd.

Wir sind gebeten worden, verschiedene Szenarien für den Standort zu prüfen. Wir hätten in Schkopau ein Gaskraftwerk bauen können, die Vorschläge gab es. Aber das war politisch nicht gewollt.

Neuer Ost-West-Konflikt?

Haben die ostdeutschen Ministerpräsidenten einen neuen Ost-West-Konflikt beschworen für ihr Ziel, die Braunkohlereviere möglichst lange zu erhalten?

Dass in der Diskussion die Inbetriebnahme von Datteln 4 mit dem Braunkohle-Ausstieg in Ostdeutschland verknüpft wurde, entbehrte jeder Grundlage – beides hat nichts miteinander zu tun.

Mit dem Ergebnis, dass die Braunkohlekraftwerke zuletzt vom Netz gehen. Ist das klimapolitisch klug?

Der Ausstiegspfad ist eine politische Entscheidung. Natürlich sorgt Braunkohle für deutlich mehr CO2-Emissionen. Auch deshalb bin ich ja optimistisch, dass Datteln 4 als modernstes Steinkohlekraftwerk noch läuft, wenn mancher Braunkohleblock womöglich früher vom Netz geht.

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Sie rüsten Ihren Standort Gelsenkirchen-Scholven von Kohle auf Gas um. Ist das die Blaupause?

Ja, wir sehen Gaskraftwerke als klimafreundliche Brückentechnologie.

Die aber auch nicht klimaneutral ist. Wie erzeugt Uniper in 20, 30 Jahren seinen Strom?

Wasserstoff wird künftig eine große Rolle spielen, schon heute können wir theoretisch bis zu 50 Prozent Wasserstoff in modernen Gaskraftwerken beimischen.

Wasserstoff ist aber auch nur klimaneutral, wenn er mit Ökostrom hergestellt wird – oder?

Das ist die eine Möglichkeit, in Deutschland wegen der dafür benötigten riesigen Mengen an Ökostrom aber schwierig. Wasserstoff lässt sich allerdings auch aus Erdgas klimaneutral herstellen, Methan etwa kann man dekarbonisieren. Wir sollten das Thema Wasserstoff technologieoffen angehen. Daher ist neben dem grünen auch blauer Wasserstoff eine wichtige Option.

„Ob wir 2050 klimaneutral sind, kann niemand vorhersagen“

Steht Uniper zum EU-Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein?

Unsere Strategie lautet, unseren CO2-Ausstoß möglichst kontinuierlich zu senken, dafür tun wir alles, was machbar ist. Ich halte aber nichts von Versprechen, deren Einlösung in weiter Ferne liegt. Ob wir 2050 oder 2060 völlig klimaneutral sein werden, kann niemand vorhersehen.

Uniper-Chef Andreas Schierenbeck im Gespräch mit WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock.
Uniper-Chef Andreas Schierenbeck im Gespräch mit WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock. © FUNKE Foto Services | Michael Gottschalk

Wie viele Stellen wird der Kohleausstieg bei Uniper kosten?

Heute arbeiten in den Kohlekraftwerken bei Uniper in Deutschland rund 850 Mitarbeiter. Wir werden nun gemeinsam mit den betroffenen Kollegen, ihren Betriebsräten und den lokalen Behörden den besten Weg für die betroffenen Standorte und Beschäftigungssicherung erarbeiten. Daher kann man heute noch nicht seriös sagen, wann welche Stelle wo wegfällt. Wir geben eine ganze Technologie auf, das ist durchaus vergleichbar mit dem Ende des Steinkohlenbergbaus im Ruhrgebiet.

Wie ist Ihr Verhältnis zum finnischen Großaktionär Fortum? Steht auch er zum Kohlekompromiss?

Fortum steht zu Datteln 4, es gibt eine konstruktive Zusammenarbeit. Das operative Geschäft ist aber unser Job als Vorstand.

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Ihre Mitarbeiter haben seit dem Einstieg von Fortum Angst vor einer Zerschlagung von Uniper. Können Sie das inzwischen ausschließen?

Unsere Arbeitnehmer wollen Klarheit haben, das verstehe ich gut. Von Fortum gibt es die Aussage, in den kommenden zwei Jahren keinen Beherrschungsvertrag anzustreben, aber keine schriftliche Vereinbarung darüber, kein Investoren-Agreement.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten für Uniper, welcher wäre das?

Uniper hat enorm viel Potenzial und ein einzigartiges Portfolio, um die Energiewende aktiv mitzugestalten. Ich wünsche mir, dass wir dieses Potenzial nach vorne voll ausschöpfen und der Uniper-Erfolgsgeschichte noch viele weitere Kapitel hinzufügen.