Essen. BKK: Beschäftigte in NRW und besonders im Ruhrgebiet sind immer öfter krank, Altenpflegerinnen häufig psychisch. Die Städte- und Berufe-Daten.

Die Beschäftigten in NRW werden immer länger krankgeschrieben. Im vergangenen Jahr blieb jeder Arbeitnehmer im Durchschnitt an 19 Tagen wegen bescheinigter Arbeitsunfähigkeit (AU) zuhause, drei Jahre zuvor waren es noch 16 Tage. Das geht aus dem BKK Gesundheitsreport 2019 hervor, deren NRW-Auswertung unserer Redaktion vorliegt. Die Betriebskrankenkassen haben die AU-Bescheinigungen von bundesweit vier Millionen und in NRW 800.000 berufstätigen Versicherten auswertet. Dabei fallen die Ruhrgebietsstädte und einige Berufe besonders auf.

Eine Ursache für den landesweiten Rekordwert war die stark ausgeprägte Grippewelle 2018 und der damit verbundene starke Anstieg von Atemwegserkrankungen. Am häufigsten plagen die Beschäftigte aber nach wie vor Muskel- und Skelett-Erkrankungen. Beschwerden wie die neue Volkskrankheit Rückenschmerzen waren für fast jede vierte Krankschreibung (23,8 Prozent) in NRW verantwortlich , gefolgt von psychischen Störungen (16,9 Prozent) und Atemwegserkrankungen (15,6 Prozent).

13 AU-Tage in Bonn, 27 in Herne

Die höchsten Krankenstände gibt es im Ruhrgebiet: Während sich die Fehlzeiten an der Rheinschiene etwa in Bonn (knapp 13 AU-Tage) und Düsseldorf (knapp 14 Tage) weit unter dem Durchschnitt bewegen, liegen sie in Herne mit 27,5 AU-Tagen doppelt so hoch. Auch in Gelsenkirchen mit knapp 24 Tagen, Duisburg mit knapp 23 Tagen und Oberhausen mit 21 Tagen melden sich die Beschäftigten deutlich häufiger krank als im Landesschnitt. Nur Mülheim liegt mit 18 Tagen knapp darunter.

Wie kommt es, dass die Beschäftigten im Ruhrgebiet so viel häufiger krank werden als im übrigen Land? Klassische Berufskrankheiten aus der Zeit der Montanindustrie wie die Staublunge sind es ein Jahr nach Schließung der letzten Zeche nicht mehr. Und doch hat es heute wie früher damit zu tun, dass mehr Menschen zwischen Duisburg und Dortmund in Berufen mit sehr belastenden Arbeitsbedingungen tätig sind, wie die BKK-Statistik zeigt. Auch die im Vergleich zu anderen Regionen ältere Bevölkerung im Ruhrgebiet spielt eine Rolle, denn mit dem Alter steigen statistisch auch die krankheitsbedingten Ausfälle.

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Den größten Einfluss hat aber die Berufswahl: So erkranken laut BKK Beschäftigte in der Alten- und Krankenpflege wegen des hohen Drucks und der Arbeitsverdichtung besonders häufig, in der Altenpflege vor allem an der Psyche. Und im demografisch weit fortgeschrittenen Ruhrgebiet arbeiten in dieser Branche deutlich mehr Menschen als anderswo. Im gesamten Gesundheitswesen arbeitet im Ruhrgebiet etwa jeder fünfte Beschäftigte, landesweit nur jeder siebte. Der Gesundheitssektor hat damit die Industrie als größten Arbeitgeber im Revier überholt und er wächst weiter. In den nichtmedizinischen Gesundheitsberufen und im Sozialwesen sind die Beschäftigten durchschnittlich 24 Tage pro Jahr krank, fünf Tage länger als im Schnitt aller Berufe. Diese Branche ist zugleich die größte Arbeitgeberin für Frauen, vier von fünf sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Pflege sind weiblich.

Noch häufiger krank werden Reinigungskräfte (27,6 Tage), Fahrzeugführer (27,2 Tage) und Sicherheitskräfte (24,9 Tage). Auch auf dem Bau, in der Metallerzeugung und der Abfallbeseitigung fallen die Mitarbeiter häufiger mit AU-Schein aus als im Durchschnitt. Dagegen werden IT-Experten mit nicht einmal zehn Tagen am seltensten krankgeschrieben. Mit 14 Fehltagen pro Beschäftigtem und Jahr müssen auch Banken und Versicherungen nicht so häufig auf ihre Mitarbeiter verzichten.

Arbeitslose erkranken besonders oft psychisch

Seit vielen Jahren beobachten die BKK-Verbände wie andere große Krankenversicherer auch eine Zunahme psychischer Störungen. Und diese Krankmeldungen dauern dann meist auch länger, im Durchschnitt 37 Tage. NRW liegt bei den Fehltagen aufgrund psychischer Störungen um zehn Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Das hänge „in hohem Maße von den Arbeitsbedingungen ab“, heißt es dazu im BKK-Report.

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Doch nicht nur Überlastung und psychischer Druck am Arbeitsplatz sind häufig Auslöser psychischer Erkrankungen, sondern auch das genaue Gegenteil: So fielen unter den arbeitslosen Versicherten vier von zehn Krankmeldungs-Tage auf psychische Störungen zurück. Keine Arbeit zu haben und in der Ungewissheit zu leben, ob und wann sich das ändert, macht ebenfalls viele Menschen krank.

Frühere Diagnose hilft Betroffenen

Laut BKK kommen die höheren Zahlen bei psychischen Krankheiten aber seit Jahren auch durch die verbesserte und vor allem schnellere Diagnostik und Therapie zustande. Das Thema verliert zusehens seinen Tabu-Status, die Verfassung der eigenen Psyche wird beim Arzt viel häufiger und bereitwilliger thematisiert als noch vor zehn Jahren. Unterm Strich sieht der BKK Landesverband Nordwest darin einen Vorteil, weil Erkrankungen früher erkannt und die Betroffenen so erfolgreicher behandelt werden können.

Die Datenanalyse nutzen die Betriebskrankenkassen, um für besonders belastende Berufe gezielte Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Als Beispiel nennt der Landesverband Nordwest die BKK-Initiative „Wertgeschätzt“, die auf die Gesundheit der Mitarbeiter in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zielt. Dabei werden zum Beispiel Führungskräfte der Heime und Kliniken in der richtigen Ansprache für psychisch stark belastete Mitarbeiter geschult. Weitere Ansatzpunkte sind Arbeitsumfeld-Verbesserungen, Suchtbekämpfung und ein besserer Umgang mit Stress. „Ergänzt wird dies durch weitere Seminare etwa zum Thema ,Ernährung bei Schichtarbeit’ und ,Ergonomie am Arbeitsplatz’“, sagt Dirk Janssen, Vizechef des BKK Landesverbands Nordwest.