Essen. Schon in der Ausbildung stoßen viele Alten- und Krankenpfleger psychisch und körperlich an ihre Grenzen. Darunter leiden auch die Patienten.
Helfen als Beruf — wer eine Ausbildung als Pflegerin oder Pfleger beginnt, bringt eine mitmenschliche Motivation mit, die für viele schnell zur Belastung für die eigene Seele werden kann. Denn im Krankenhaus und im Altenheim wird nicht einfach gepflegt, dort wird im Akkord gearbeitet, es wird gezetert, gelitten und gar nicht selten gestorben. Gerade Neulinge nehmen die Bilder, Geräusche und Gerüche mit nach Hause.
Dass viele damit nicht klarkommen, ist bekannt. Wenigen Berufen kehren die Fachkräfte so zahlreich und so früh den Rücken – nur rund sieben Jahre bleiben ausgebildete Pflegekräfte in Deutschland ihrem Beruf im Durchschnitt treu. Und wer bleibt, wird oft selbst krank – das hat die jüngste Studie der Betriebskrankenkassen einmal mehr belegt.
Demnach werden Beschäftigte in Gesundheitsberufen deutlich häufiger selbst krank als in anderen Branchen — und dafür sind wiederum vor allem seelische Leiden verantwortlich. Altenpflegekräfte fehlten in NRW 2015 durchschnittlich 4,3 Tage wegen psychischer Erkrankungen – und damit fast doppelt so oft wie der Durchschnitt aller Berufsgruppen. Der BKK-Dachverband weist in seinem „Gesundheitsatlas 2017“ zudem nach, dass die Mitarbeiter in Altenheimen besonders viele Medikamente schlucken. Mit 338 Tagesdosen pro Jahr liegen sie weit über dem Gesamtschnitt von NRW (296) und erhalten auch deutlich mehr Arzneien verschrieben als die Pflegekräfte in anderen Bundesländern.
Die Belastung ist am Maximum angekommen
„Die Arbeitsbelastung in der Pflege ist an ihrem Maximum angekommen, was letztlich auch die Patienten und Heimbewohner zu spüren bekommen“, sagt Stefan Schwark, Experte des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe in NRW. Für ihn steht fest: „Wir sind jetzt an dem Punkt, wo wir umkehren und die Belastung wieder senken müssen. Je mehr Patienten auf eine Pflegekraft kommen, desto mehr kann schief gehen, bis hin zu Todesfällen.“ In deutschen Krankenhäusern müsse sich eine Schwester um 13 Patienten kümmern – doppelt so viele wie in Skandinavien. Und nachts ist die Personaldecke noch viel dünner.
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Der schlechte Ruf der Pflege, die harten Arbeitsbedingungen und die gerade im Altenheim mäßige Bezahlung haben über die Jahre deutliche Spuren hinterlassen: Weil Nachwuchs fehlt, mangelt es an Fachkräften, können freie Stellen nicht besetzt, die ohnehin knappen Personalschlüssel oft gar nicht erfüllt werden – all das geht zu Lasten der aktuell Beschäftigten. Sie reihen laut ihrem Berufsverband Extraschicht an Extraschicht und reiben sich dabei auf. „Wir beobachten massive Verstöße bei der Einhaltung von Pausen und der vorgeschriebenen Arbeitszeiten“, sagt Schwerk. Die Bezahlung an sich werde von den meisten gar nicht als größtes Problem wahrgenommen, sondern die enorme Arbeitsbelastung.
„Wir brauchen bessere Bezahlung und mehr Respekt“
Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbands, sieht die Politik sowie Kliniken und Heime in der Pflicht: „Wir brauchen eine bessere Bezahlung, aber wir brauchen vor allem bessere Arbeitsbedingungen und mehr Respekt zwischen den Gesundheitsberufen.“ Was er meint: mehr Respekt der Ärzte gegenüber den Pflegekräften.
Für den Pflege-Berufsverband wäre eine bessere Ausbildung entscheidend, um mehr und qualifizierteren Nachwuchs zu erhalten. Vor allem müssten die Azubis gründlich angeleitet werden, stattdessen würden sie im hektischen Klinik- und Heimalltag meist vom ersten Tag an voll eingebunden – mit Aufgaben, für die sie noch gar nicht reif seien, so Pflegeexperte Schwark. Mit der anspruchsvollen Arbeit am Menschen seien viele sehr bald überfordert, „psychisch geraten die Auszubildenden ganz schnell an ihre Grenzen“. Deswegen sei der Krankenstand bei Berufseinsteigern „sehr früh sehr hoch“.
Es dauert fünf Monate, um eine Stellen zu besetzen
In der Politik fehlt es nicht an Anerkennung für die Pflegeberufe, bessere Bedingungen in Kliniken und Altenheimen kosten aber Geld. Für die Kliniken gibt es aktuell ein Förderprogramm für zusätzliche Pflegestellen, in den Altenheimen soll der Personalbedarf geprüft werden – bis zur Umsetzung dauert es aber noch Jahre, im Heimalltag ist davon bisher nichts zu spüren.
Denn selbst wenn Heime neue oder frei gewordene Stellen besetzen wollen, gelingt ihnen das derzeit kaum. Aktuell kommen in NRW auf 100 freie Stellen in der Altenpflege nur 57 Arbeitslose. Deshalb dauert es im Schnitt 155 Tage, bis ein Heimleiter seine ausgeschriebene Stelle besetzen kann, das sind noch einmal zwei Wochen mehr als vor Jahresfrist. Laut Engpass-Analyse der Bundesagentur für Arbeit ist aktuell in keinem anderen Beruf die Suche nach einer Fachkraft so mühselig. Und jede unbesetzte Stelle bedeutet im Heimalltag fünf zusätzliche Schichten, die irgendjemand übernehmen muss.