Bochum. Der Immobilienkonzern will sich vom englischen Rasen verabschieden und auf wilde Blumenwiesen setzen. Nabu-Naturschützer helfen dabei.

„Die sollen sich mal lieber angucken, wie es in unserem Keller aussieht“, sagt die ältere Dame und läuft kopfschüttelnd an der Wiese vorbei, auf der Vonovia-Chef Rolf Buch gerade einen Baum pflanzt. Das Dax-Unternehmen will die Grünanlagen in seinen Siedlungen ökologischer gestalten und hat sich dazu den Naturschutzbund Nabu als Partner an seine Seite geholt.

Der Startschuss für das Projekt „Gemeinsam für mehr Artenschutz“ fällt an diesem Dienstagnachmittag im Bochumer Stadtteil Weitmar. In der Siedlung an der Bärendorferstraße mit ihren mehr als 1200 Wohnungen ist die Vonovia-Welt noch geteilt. Auf der einen Seite frisch modernisierte Häuser, auf der anderen Seite die Gebäude, die noch auf der Liste der Handwerker stehen.

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„Wir haben noch keine Antwort darauf, wie wir die Klimaziele für das Jahr 2050 erreichen werden“, räumt Vonovia-Chef Buch ein. „Aus diesem Grund investieren wir in Bochum-Weitmar in die Erforschung innovativer Technologien zur Energieerzeugung und –verarbeitung zusammen mit renommierten Partnern.“ Er kann sich vorstellen, die Wärme von Abwasser und Grubenwasser zu nutzen, Wasserstoff zu speichern. Denn der Manager weiß: „Neue Fassaden, Fenster, Dächer und Heizungen allein werden nicht ausreichen, um unsere Häuser CO2-neutral zu machen.“

Eigene Samenmischung für das Ruhrgebiet

Aber das ist alles noch Zukunftsmusik. In Bochum geht es an diesem Dienstag ganz konkret darum, Vögel und Insekten zurückzuholen, die selten geworden sind. Wie das gehen kann, umreißt Heide Naderer, die Landesvorsitzende des Nabu, der eine Partnerschaft mit Vonovia eingegangen ist. „Wir brauchen eine Blumenwiese statt eines kurz geschnittenen englischen Rasens“, sagt die Naturschützerin. Der Nabu hat eigens für das Ruhrgebiet eine Samenmischung zusammengestellt, die hier gedeihen kann.

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An der Bärendorferstraße müssen sich Bewohner darauf einstellen, dass der Rasen künftig seltener gemäht wird. Denn die Blumen und Unkräuter sollen Insekten anlocken, Bienenhotels und Nistkästen sind geplant. Aber auch neue Bäume, die dem Klimawandel besser trotzen können. Naderer und Buch pflanzen am Dienstag deshalb einen Spitzahorn.

Siedlungen lebenswerter machen

„Wir wollen unsere Siedlungen lebenswerter machen. Dabei müssen unsere Mieter und Landschaftsgärtner aber noch einiges lernen. Sie wollen wir natürlich mitnehmen und frühzeitig informieren“, sagt Vonovia-Chef Buch. Die Partnerschaft mit dem Nabu ist zunächst auf zwei Jahre angelegt und auf Nordrhein-Westfalen begrenzt. „Wir wollen Erfahrungen sammeln“, meint Nabu-Landesvorsitzende Naderer. Buch lässt freilich keinen Zweifel daran, dass es sein Ziel ist, das Artenvielfalt-Projekt auf alle seine Siedlungen in Deutschland mit nahezu 350.000 Wohnungen auszurollen. „Natürlich macht es Sinn, mehr Natur an alle unsere Standorte zu bringen. Als Marktführer muss man auch führen“, betont der Vonovia-Chef.

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Die schiere Größe des Bochumer Immobilienriesen war es dann auch, die dem Nabu die Entscheidung erleichterte, gemeinsame Sache mit dem Dax-Konzern zu machen, der mit Immobilien auch Geld verdienen muss. Unumstritten war die Partnerschaft unter den rund 100.000 Nabu-Mitgliedern in NRW nicht. „Es kamen viele Fragen und wir haben intern sehr intensiv diskutiert“, räumt Nabu-Landesgeschäftsführer Bernhard Kamp ein. „Pro Projekt erreichen wir mehrere Hundert Mieter, wodurch wir eine große Reichweite erzielen“, sagt Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Das habe schließlich den Ausschlag gegeben.

Nabu sieht in der Kooperation eine „Riesenchance“

Die Nabu-Landesvorsitzende sieht in der Kooperation mit Vonovia nun „eine Riesenchance, etwas umzusetzen“. Man werde da „richtig Arbeit reinstecken“. Und Naderer ist davon überzeugt: „Wenn das gut läuft, können wir das richtig groß machen.“ Doch erst einmal haben sich die Naturschützer vorgenommen, sich jede Vonovia-Siedlung in NRW genau anzuschauen und Konzepte zu entwickeln, wie die Grünflächen ökologisch umgestaltet werden können. Rolf Buch weiß, dass es nicht überall so viel Freiraum gibt wie in Bochum-Weitmar. Er denkt etwa an das hoch verdichtete Eltingviertel in Essen, an das ganz andere Maßstäbe und Maßnahmen anzulegen seien.

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Auch wenn sich die Mieter erst einmal an wilde Wiesen und nicht akkurat geschnittene Hecken zwischen den Wohnhäusern gewöhnen werden müssen, glaubt Nabu-Geschäftsführer Kamp an eine große Akzeptanz. „Das kommt den Bedürfnissen der Mieter entgegen, die sich naturnahe Gärten als Treffpunkte in ihrem Quartier wünschen“, sagt er. Der Verband will Sprechstunden anbieten, um die Menschen über die Planungen zu informieren. Vonovia will die Kunden zudem über die eigene Mieterzeitung auf dem Laufenden halten.

Der Nabu ist vom Erfolg überzeugt. Er hat ja bereits Erfahrungen mit einem anderen Konzernriesen gemacht: Durch die Kooperation mit dem zweitgrößten deutschen Lebensmittelhändler Rewe seien zuerst die Plastik-Einkaufstüten aus den Supermärkten verschwunden und danach schließlich die Folien um die Salatgurken.