Essen. . Bei der Hauptversammlung des Chemiekonzerns Evonik in der Essener Grugahalle herrschen geordnete Verhältnisse. Es gibt 99 Prozent Zustimmung.

Für RAG-Stiftungschef Bernd Tönjes ist es eine Premiere bei Evonik. Erstmals leitet Tönjes als Nachfolger des schwer erkrankten früheren Bundeswirtschaftsministers Werner Müller die Hauptversammlung des Essener Chemiekonzerns. Vor genau einem Jahr hat sich Müller beim Aktionärstreffen in der Grugahalle als Aufsichtsratschef verabschiedet. Er gehe davon aus, sagt Tönjes, dass Müller, der als Gründervater des Unternehmens gilt, heute über das Internet zuschaue.

Die RAG-Stiftung, die nach dem Ende der Steinkohlenzechen einen Großteil der Folgekosten des deutschen Bergbaus finanzieren soll, hat bei Evonik als Mehrheitsaktionärin eine herausragende Stellung. Zum Stiftungskuratorium gehören unter anderem NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis. Sie können beim Evonik-Großaktionär mitmischen.

RAG-Stiftung bleibt dominierender Faktor

Dass die Stiftung ihren Einfluss bei Evonik verringern wird, ist nicht absehbar. Auf Nachfrage eines Aktionärs sagt Tönjes, die Stiftung habe unlängst erklärt, dass sie „keine unmittelbare Reduzierung“ der Beteiligung plane und „auf lange Sicht signifikante Anteile“ halten wolle. Allerdings hatte die Stiftung, die auf dem Welterbe-Gelände Zollverein in Essen residiert, unlängst ein großes Aktien-Paket abgegeben.

Auch interessant

Die eindeutigen Machtverhältnisse bei Evonik schrecken nach Einschätzung von Stefan ten Doornkaat von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) andere Investoren ab. Finanzinvestoren hätten wohl kaum eine Chance, ihre Interessen gegen den dominierenden Aktionär durchzusetzen, der insbesondere an einer sicheren und attraktiven Dividende interessiert ist.

„Das beste Jahr in der noch jungen Geschichte“

Seit geraumer Zeit liegt die Evonik-Aktie unter dem Ausgabekurs von 33 Euro beim Börsenstart im Frühjahr 2013. Am Morgen der Hauptversammlung kostet ein Anteilsschein rund 25,50 Euro. Mit der Entwicklung an der Börse sei er „alles andere als zufrieden“, räumt Evonik-Vorstandschef Christian Kullmann ein.

Lob gibt es von den Aktionären für die geplante Gewinnausschüttung. Die Dividende in Höhe von 1,15 Euro je Aktie entspricht – gemessen am Schlusskurs zum Jahresende 2018 – einer Rendite von 5,3 Prozent. Entsprechend zufrieden zeigt sich auch Bernd Tönjes: „Das war das beste Jahr in der noch jungen Geschichte von Evonik“, schwärmt er. Auch Thomas Beisswenger vom Mitarbeiter-Aktionärsverein spricht von einem „absoluten Spitzenjahr“.

Abbau von rund 1000 Arbeitsplätzen

Vorstandschef Kullmann bekräftigt in der Grugahalle sein Ziel, Evonik „zum besten Spezialchemiekonzern der Welt“ zu machen. Den Umbau des Unternehmens will er vorantreiben. Nach der Trennung vom traditionsreichen Plexiglas-Geschäft und Firmenübernahmen in den USA strebe Evonik „weitere gezielte Zukäufe“ an, sagt Kullmann.

Auch interessant

Er verteidigt zugleich den geplanten Abbau von konzernweit rund 1000 Arbeitsplätzen in der Verwaltung und im Vertrieb. Ein „erhöhtes Kostenbewusstsein“ sei notwendig, betont er. Ziel sei es, die jährlichen Kosten des Konzerns bis zum Jahr 2020 um dauerhaft 200 Millionen Euro zu kürzen. Im vergangenen Jahr seien davon 50 Millionen Euro erreicht worden, weitere 50 Millionen Euro sollen im laufenden Geschäftsjahr folgen. „Das ist keine leichte Aufgabe“, sagt Kullmann. Betriebsbedingte Kündigungen seien in Deutschland aber bis Mitte 2023 ausgeschlossen.

„Evonik quasi in Sippenhaftung genommen“

Die schwache Entwicklung des Aktienkurses erklärt Kullmann unter anderem mit dem Einfluss politischer Themen auf die Börsen – und „der Angst vor einem konjunkturellen Abschwung“. Dabei sei Evonik „quasi in Sippenhaftung genommen“ worden.

Auch interessant

Für das laufende Geschäftsjahr zeigt sich Kullmann vorsichtig optimistisch. Evonik hat die Ergebnisprognose für 2019 unlängst etwas angehoben und erwartet nun Umsätze und Gewinne „mindestens auf dem Niveau des Vorjahres“. Nach dem bereits erfolgten Konzernumbau sei Evonik „stabiler und robuster mit klaren Wachstumsperspektiven – trotz eines herausfordernden Umfelds“.

Bei den Aktionären von Evonik hält sich der Diskussionsbedarf in Grenzen. Während bei anderen Großkonzernen zuweilen bis in die Nacht hinein getagt wird, kann Aufsichtsratschef Tönjes bei seiner Premieren-Hauptversammlung schon am frühen Nachmittag über die Tagesordnungspunkte abstimmen lassen. Die Zustimmung der Aktionäre liegt zwischen 99,7 und 99,9 Prozent.