Essen. . In seinem ersten Interview als RAG-Stiftungschef spricht Bernd Tönjes über seinen Vorgänger Müller, Evonik, Thyssenkrupp und die Ruhrkonferenz.

Seit etwas mehr als 100 Tagen ist Bernd Tönjes Chef der RAG-Stiftung. Als Nachfolger von Werner Müller, der krankheitsbedingt aufhören musste, hat Tönjes einen der einflussreichsten Posten im Ruhrgebiet. Bei seinem ersten großen Interview in neuer Funktion spricht Tönjes mit Ulf Meinke über die Lage von Evonik, die Führungskrise bei Thyssenkrupp und seine Ideen für das Revier.

Herr Tönjes, lässt sich Werner Müller kopieren?

Tönjes: Mit Sicherheit nicht. Er ist eine sehr markante Persönlichkeit. Zu versuchen, ihn nachzuahmen, würde ihm nicht gerecht. Das will ich auch gar nicht. Jeder von uns hat seinen eigenen Stil.

Ist Müller gleichwohl ein Vorbild für Sie?

Tönjes: Ja, in vielerlei Hinsicht. Seine Gabe, Strategien hartnäckig umzusetzen und sich von anderen nicht in Bockshorn jagen zu lassen, ist beispielhaft.

Was macht Ihren Stil aus?

Tönjes: Ich arbeite gerne teamorientiert und strategisch. Das heißt nicht, sich in jedem Einzelfall einer Mehrheitsmeinung anzuschließen. Ich kann auch mal eine einsame Entscheidung treffen, wenn ich von ihrer Richtigkeit überzeugt bin.

Werden Sie auch inhaltlich neue Akzente setzen?

Tönjes: Es ist ja offensichtlich, dass nach dem Ende der Steinkohlen-Förderung neue Fragen entstehen, auf die wir Antworten geben wollen. 2018 ist eine Zäsur. Ab dem kommenden Jahr stemmen wir als Stiftung erstmals die Ewigkeitskosten in Höhe von rund 230 Millionen Euro, die nach dem Abschied vom Bergbau anfallen. Mit einem Stiftungsvermögen von rund 18 Milliarden Euro, aus dem wir unsere Erträge generieren, haben wir ein solides Finanzpolster.

Gemessen am Vermögen der Stiftung wirken die 30 Millionen Euro, die für Bildung, Wissenschaft und Kultur in 2019 eingeplant sind, recht bescheiden. Können Sie sich vorstellen, künftig mehr Geld bereitzustellen?

Tönjes: Ich kann mich daran erinnern, dass wir mit rund einer Million Euro angefangen haben. Im laufenden Jahr sind es 16,5 Millionen Euro. Insofern ist ein klarer Trend erkennbar. Wichtig ist, dass wir die 30 Millionen Euro gezielt für die Zukunft der Region einsetzen. Dazu zählt für uns unverändert die Bildungsförderung. Ein ganz wichtiger Punkt ist aus meiner Sicht aber auch, dass wir mehr Firmengründer und damit auch neue Arbeitsplätze bekommen.

Die Landesregierung will den Wandel im Revier durch die Ruhr-Konferenz vorantreiben. Gibt es aus Ihrer Sicht schon genug greifbare Ergebnisse?

Tönjes: Unternehmern geht es nie schnell genug. Grundsatz-Analysen gibt es genug. Und die Probleme wie die Unterfinanzierung der Städte, hohe Arbeitslosigkeit in bestimmten Stadtteilen, eine in die Jahre gekommene Infrastruktur und ein vergleichsweise leistungsschwacher ÖPNV liegen auf der Hand. Jetzt geht es darum, eine Prioritätenliste zu formulieren, um konkrete Projekte zu realisieren. Hierfür ist die Ruhr-Konferenz ein geeignetes Instrument. Es ist nur gut, was man tut.

Hilft dem Ruhrgebiet der Ruf nach mehr Geld vom Bund weiter?

Tönjes: Wir müssen natürlich aufpassen, dass sich das Bild einer vermeintlich hilfsbedürftigen Region nicht verstärkt. Insofern kann ich nur davor warnen, immer neue Geldtöpfe zu fordern. Richtig ist aber auch, dass einige städtische Etats besonders belastet sind. Die Integration von Migranten zum Beispiel ist allerdings keine kommunale, sondern eine allgemein-staatliche Aufgabe.

Mit Thyssenkrupp befindet sich ein großer Arbeitgeber des Ruhrgebiets in einer schwierigen Lage. Treibt Sie dieses Thema um?

Tönjes: Ja. Das kann niemanden, der in der Region Verantwortung hat, kalt lassen. Thyssenkrupp ist ein Unternehmen, das Identität stiftend ist im Ruhrgebiet. Mit rund 160.000 Mitarbeitern weltweit ist Thyssenkrupp für Nordrhein-Westfalen von überragender Bedeutung. Insofern ist es wichtig für die Region, dass es dem Unternehmen gut geht.

Ihr Vorgänger Werner Müller hatte vor einigen Jahren ein Bündnis der RAG-Stiftung mit der Krupp-Stiftung ins Gespräch gebracht. Mit rund 21 Prozent der Anteile ist die Krupp-Stiftung nach wie vor größter Einzelaktionär von Thyssenkrupp, aber Finanzinvestoren haben an Einfluss gewonnen. Ist Müllers Idee nach wie vor aktuell?

Tönjes: Seinerzeit ging es darum, der Krupp-Stiftung eine Sperrminorität von 25,1 Prozent zu ermöglichen. Ob ein Erreichen dieser Schwelle nach wie vor von Bedeutung ist, kann ich nicht beurteilen.

Ihnen kommt künftig auch als Aufsichtsratschef des Chemiekonzerns Evonik eine besondere Verantwortung zu. Sind Sie mit der Entwicklung des Unternehmens zufrieden?

Tönjes: Es ist eine gute Truppe am Start, die unter der Führung von Christian Kullmann sehr teamorientiert arbeitet. Die entwickelte Strategie ist schlüssig. Dazu gehört unter anderem die Veräußerung des Methacrylat-Geschäfts mit der Marke Plexiglas. Der Verkauf – natürlich zu einem angemessen Preis – ist die richtige Entscheidung, denn er trägt dazu bei, Ressourcen für die Zukunft zu generieren. Evonik muss kontinuierlich wachsen. Wenn es auf Dauer gute Ergebnisse gibt, wird sich auch der Aktienkurs weiter positiv entwickeln.

Die Stiftungssatzung sieht vor, den Anteil an Evonik langfristig weiter zu reduzieren. Fühlen Sie sich an die Maßgabe, Aktien abzugeben, gebunden?

Tönjes: Selbstverständlich, aber die Satzung macht aus gutem Grund keine zeitlichen Vorgaben. Mit unserem Anteil von 68 Prozent ist Evonik eine tragende Säule der RAG-Stiftung. Evonik sichert uns in einer Niedrigzinsphase hohe und verlässliche Renditen. Es wäre unvernünftig, ein solches Asset leichtfertig zu verkaufen.

Die RAG-Stiftung hat auch zahlreiche Beteiligungen an mittelständischen Unternehmen erworben. Sind weitere Zukäufe geplant?

Tönjes: Klar ist, dass wir unser Vermögen nicht einfach auf das Bankkonto legen werden. Daher suchen wir permanent nach guten Unternehmen, an denen wir uns beteiligen können. Bislang sind wir vor allem im deutschsprachigen Raum fündig geworden. Wir haben aber auch schon im Ausland Beteiligungen an erfolgreichen Unternehmen erworben und können uns das auch weiterhin gut vorstellen.

Ist Stiftungschef eigentlich ein Vollzeit-Job?

Tönjes: Das kann ich ohne Umschweife bejahen.

Sie haben den Ruf, gerne viel und hart zu arbeiten. Können Sie sich bei der RAG-Stiftung genug ausleben?

Tönjes: Ich verspüre keine Langeweile, aber auch keine Überlastung. Mir macht der Job Spaß. Und mit meinen 62 Jahren denke noch lange nicht an die Rente.