Essen. . Feierlaune bei Evonik: Konzernchef Kullmann zeigt sich sehr zufrieden – und macht eine Geste, die selten geworden ist: das Victory-Zeichen.
Am Morgen nach dem Deal zeigt sich Konzernchef Christian Kullmann in bester Laune. Für die Fotografen, die zur Bilanzpressekonferenz in die Essener Evonik-Zentrale gekommen sind, reckt er sogar kurz seine rechte Hand für das Victory-Zeichen in die Höhe. Drei Milliarden Euro kann Evonik für den Verkauf der traditionsreichen Plexiglas-Sparte verbuchen. „Das ist bombastisch“, schwärmt Kullmann. Wenige Stunden zuvor – in der Nacht zum Dienstag – sind die Verträge unterzeichnet worden, nach Verhandlungen in einem Düsseldorfer Hotel mitten im Karnevalstrubel.
Unter dem Projektnamen Madrid hatte Evonik in den vergangenen Wochen und Monaten Angebote potenzieller Käufer eingeholt. Den Zuschlag erhielt der Finanzinvestor Advent. Mit der Trennung vom Methacrylat-Geschäft, zu dem die bekannte Marke Plexiglas gehört, verlassen etwa 3900 Beschäftigte den Evonik-Konzern – mehr als jeder zehnte Mitarbeiter.
„Bei Meter zehn von 100 Metern“
Kullmann spricht von einem wichtigen Schritt zum Umbau von Evonik. Doch am Ziel sehe er das Unternehmen längst nicht. Wenn er den anstehenden Weg mit einem 100-Meter-Sprint vergleiche, stehe Evonik jetzt „bei Meter zehn“, sagt Kullmann. Sein Ziel sei weiterhin, Evonik zum „besten Spezialchemiekonzern der Welt“ zu machen.
Zuletzt war Evonik in den USA auf Einkaufstour gegangen. Die Erlöse aus dem Verkauf der Plexiglas-Sparte dienen auch der Finanzierung der milliardenschweren Zukäufe im Ausland, darunter der Wasserstoffperoxid-Hersteller PeroxyChem aus Philadelphia sowie Teile der Unternehmen JM Huber und Air Products.
Das Methacrylat-Geschäft, von dem sich Evonik nun trennt, hat einen Schwerpunkt in Deutschland. Von den 3900 Mitarbeitern sind bundesweit 2750 beschäftigt. Die großen Standorte befinden sich in Worms, Darmstadt und Wesseling bei Köln. Betroffen sind auch Beschäftigte in der Essener Konzernzentrale.
Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen
„Wir geben das Unternehmen in gute Hände“, beteuert Kullmann. Wo sich künftig die Hauptverwaltung des Methacrylat-Geschäfts befinden werde, sei Sache des neuen Eigentümers. Vereinbart sei, dass für die Methacrylat-Beschäftigten – wie bei Evonik auch – ein Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis zum Jahr 2023 gelte.
Der Finanzinvestor Advent will das Methacrylat-Geschäft „als eigenständigen, globalen Marktführer“ etablieren, wie der zuständige Manager Ronald Ayles betont. Kunden sind unter anderem Unternehmen aus der Farben- und Lackindustrie sowie der Bau-, Auto- und Gesundheitsbranche.
Mit dem Verkauf schärfe Evonik sein Profil als Spezialchemiekonzern, erklärt Kullmann. Die Produkte von Evonik tragen Unternehmensangaben zufolge unter anderem dazu bei, Windeln saugfähiger, Autoreifen spritsparender, Flugzeuge leichter oder Autolacke kratzfester zu machen.
Ein paar Worte zu Borussia Dortmund
Als Hauptsponsor ist Evonik auch am Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund beteiligt. Mit Blick auf die Bundesliga-Tabelle sagt Kullmann, der auch im BVB-Aufsichtsrat ist: „Ich glaube nicht, dass sich Borussia Dortmund vor den Bayern fürchten muss.“ Dass die Bayern an den Tabellenersten heranrücken, sorge zumindest für eine „knisternde Atmosphäre“ – und das könne ja nicht schlecht sein.
Rund 36.000 Mitarbeiter – die Plexiglas-Sparte eingerechnet – gehören derzeit zu Evonik. Das sind etwa 500 Beschäftigte weniger als ein Jahr zuvor. Um die Kosten in der Verwaltung und im Vertrieb zu senken, will Evonik rund 1000 Arbeitsplätze abbauen – davon etwa 600 in Deutschland. Er sei zuversichtlich, dass dieses Ziel bis Ende kommenden Jahres durch freiwillige Vereinbarungen mit Beschäftigten erreicht werde, erklärt Personalchef Thomas Wessel. Das „Kostenbewusstsein“ bei Evonik habe sich „deutlich erhöht“, urteilt Vorstandschef Kullmann. „Unsere Strukturen hatten 2017 eine barocke Qualität.“
Dividendenrendite von 5,3 Prozent
Mit dem zurückliegenden Geschäftsjahr zeigt sich Kullmann zufrieden. Der Umsatz stieg um vier Prozent auf 15 Milliarden Euro. Die Gewinn-Marge (bereinigte Ebitda-Marge) sei auf 17,3 Prozent gestiegen und liege damit einen Prozentpunkt höher als im Jahr 2017. Dem mittelfristigen Ziel, eine Marge zwischen 18 und 20 Prozent zu erzielen, komme Evonik damit näher. Das Konzernergebnis legt um 31 Prozent auf 932 Millionen Euro zu.
Vorstand und Aufsichtsrat schlagen der Hauptversammlung am 28. Mai eine Dividende in Höhe von 1,15 Euro je Aktie vor. Gemessen am Schlusskurs zum Jahresende 2018 entspreche dies einer Dividendenrendite von 5,3 Prozent, so Evonik-Finanzchefin Ute Wolf. Mehrheitseigner ist die Essener RAG-Stiftung, die nach dem Abschied von den Steinkohlezechen die Folgekosten des Bergbaus finanziert.
Aktie von Evonik schon lange unter Ausgabekurs
Für das Jahr 2019 dämpft Kullmann die Gewinnerwartungen. Er gehe von anhaltenden politischen Unsicherheiten und einem schwächeren Wirtschaftswachstum aus. Daher rechne Evonik mit einem Ergebnis, „das auf dem Niveau von 2018 oder leicht darunter“ liegen werde.
Seit geraumer Zeit liegt die Evonik-Aktie unter dem Ausgabekurs von 33 Euro beim Börsenstart im Frühjahr 2013. Am Tag eins nach der Vertragsunterzeichnung zum Plexiglas-Verkauf sind es rund 26,50 Euro – trotz eines deutlichen Kurssprungs. Kullmann verweist auf die „politischen Börsen“ und zeigt sich von seiner Strategie überzeugt. „Wir machen eins: weiter“, sagt er.