Essen. . BKK-Studie: NRW beim Einsatz von Antibiotika bundesweit auf Platz drei. Mehr vorgeschaltete Tests sollen unnötige Verschreibungen verhindern.

Für die Hersteller von Antibiotika war dieses Frühjahr ein gutes. Denn mit den Erkältungen steigt in Deutschland stets auch Verbrauch der verabreichten Bakterienkiller. Und zwar in Nordrhein-Westfalen ganz besonders, wie eine Studie des BKK Landesverbands Nordwest belegt. Er spricht für alle Betriebskrankenkassen aus NRW, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.

Die gesetzlichen Krankenkassen zahlten im vergangenen Jahr 637 Millionen Euro für rund 305 Millionen Tagesdosen an Antibiotika, rund 3,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Trotz der rückläufigen Ausgaben setzen sie sich für einen noch sparsameren Umgang mit Penicillin & Co. ein, um die Bildung von Resistenzen zu verhindern. Nebenbei würde das weitere Kosten sparen – nicht nur bei den Arzneien selbst, sondern auch für teure Folgebehandlungen durch Resistenzen, wenn bei wirklich schwerwiegenden Erkrankungen die dann dringend benötigten Antibiotika nicht mehr wirken.

Europaweit 25.000 Todesopfer durch Resistenzen

Einigen Patienten ist dann gar nicht mehr zu helfen: Von europaweit 25.000 Todesopfern antibiotikaresistenter Erreger pro Jahr geht das Europäische Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) nach aktuellem Wissensstand aus.

  • Die Auswertung der Daten von neun Millionen Versicherten ergab, dass in NRW bei Erkältungsschnupfen jeder sechste Patient (16 Prozent) ein Antibiotikum verschrieben bekommt.
  • Nur im Saarland (17 Prozent) bekämpfen Ärzte auch einfache Erkältungen noch häufiger mit dem Entzündungshemmern, in Rheinland-Pfalz (16 Prozent) ebenso viele.
  • In Hessen (7 Prozent) werden nicht einmal halb so häufig Antibiotika-Rezepte an Schnupfenpatienten ausgegeben.

Dort gibt es seit mehreren Jahren ein landesweites Projekt gegen Antibiotika-Resistenzen. Unter dem Motto „Weniger ist mehr“ werben die Ärztekammer und kassenärztliche Vereinigung für den zurückhaltenden Umgang mit der Antibiotika-Gabe besonders bei Atemwegsinfektionen. Das hat den Einsatz kurzfristig und deutlich sinken lassen.

Als Grund, warum in NRW die Keim abtötenden Mittel deutlich häufiger verschrieben werden, vermutet der BKK-Landesverband die hohe Arztdichte – vor allem im Ruhrgebiet. Je mehr Ärzte greifbar sind, desto eher erhalten Patienten, die Antibiotika in der Hoffnung auf schnelle Genesung verlangen, auch ein Rezept, so die These.

Kleiner Nachbar Niederlande als großes Vorbild

Dabei ist Nachbar Niederlande das große Vorbild im Kampf gegen Resistenzen: Nirgends werden weltweit weniger Antibiotika verschrieben als dort. Gemessen am europäischen Durchschnitt werden bei EU-weit fallender Tendenz auch in Deutschland noch vergleichsweise wenige Antibiotika verschrieben, allerdings mit besagten großen regionalen Unterschieden.

Warnung vor dem Einsatz bestimmter Antibiotika

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat in dieser Woche vor Risiken bestimmter Antibiotika gewarnt, die häufig bei Blasen- und Darmentzündungen eingesetzt werden. Ärzte sollen diese Fluorchinolon-Antibiotika deshalb nur noch in schweren Fällen verschreiben.

Bei der Einnahme der Wirkstoffe Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin und Ofloxacin drohten schwere, teils irreversible Nebenwirkungen auf das Nervensystem (Depressionen, Vergesslichkeit, Seh-, Hör- und Geruchsstörungen) sowie auf Muskeln und Gelenke (Schwellungen, Muskelschwäche, Sehnenentzündungen und -risse).

Antibiotika töten verlässlich Bakterien ab oder hindern sie an der Vermehrung. Aber nicht jedes ist für jede Bakterienart geeignet – und keines wirkt gegen Viren, die häufig Auslöser von Infektionen sind. Viele unnötige Antibiotika-Gaben könnten somit verhindert werden, wenn zuvor der Krankheitserreger identifiziert würde. Der BKK Landesverband Nordwest hat deshalb testweise am Nordrhein zwei Jahre lang die Kosten für Antibiogramme bei Harnwegsinfektionen übernommen, damit sie gezielter bekämpft werden können. Viele Ärzte hatten zuvor beklagt, dass sie auf den Kosten sitzen blieben. Die Ergebnisse stehen noch aus.

„Wichtiger als der absolute Rückgang der Antibiotikaverschreibungen ist es, die richtigen Antibiotika auch richtig einzusetzen“, sagt der renommierte Bremer Arzneimittelexperte Gerd Glaeske. Vor dem Einsatz eines Präparats zu testen, ob es auch das richtige ist, dauert allerdings in der Regel mehrere Tage. Bei akuten Erkrankungen können und wollen Arzt und Patient häufig nicht so lange warten.

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Dass Antibiogramme den Einsatz deutlich verringern könnten, legt die Statistik nahe: So untersuchen laut BKK-Daten bei Blasenentzündungen Ärzte in Berlin bei jedem zehnten Patienten vorab die Keime, in NRW nur bei jedem 20. Tatsächlich wird in Berlin bei 31 Prozent der Patienten ein Antibiotikum verschrieben und damit deutlich seltener als in NRW (39 Prozent). Auch kommt es in der Hauptstadt deutlich seltener zu Mehrfachverordnungen, weil das verschriebene Medikament aufgrund der Vorabtests häufiger anschlägt.

„Angesichts der medizinisch nicht erklärbaren Verordnungsunterschiede brauchen wir mehr Diskussion über regionale Erfolgsrezepte innerhalb der Ärzteschaft“, fordert Dirk Janssen, Vizechef des BKK-Landesverbandes. Er plädiert für einen gezielteren Einsatz von Antibiotika, auch durch mehr vorgeschaltete Keimanalysen.