Essen. . Hartz-IV-Empfänger werden in Herne und Duisburg häufiger und härter bestraft als etwa in Essen. Dabei gebe es „keinen Spielraum“, sagen sie.
Wer in Deutschland länger arbeitslos ist, lebt von Hartz IV. Ein Alleinstehender erhält 424 Euro Regelleistung plus eine warme Wohnung. Überall im Land. Doch was am Ende wirklich überwiesen wird, ob die Leistungen wegen möglicher Verfehlungen gekürzt werden und um wie viel, ist auch eine Frage des Wohnorts. So kürzen manche Jobcenter häufiger und härter als andere, wie die aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) aus 2018 zeigen.
Das gilt selbst in benachbarten Städten: In Bochum etwa wurden zuletzt genau drei Prozent der arbeitslos gemeldeten Leistungsbezieher sanktioniert. Im angrenzenden Herne dagegen mit 5,5 Prozent fast doppelt so viele. Mülheim (2,5 Prozent), Hagen (2,6 Prozent) und Oberhausen (3,1 Prozent) greifen besonders selten zu diesem Mittel.
Nicht jeder Hartz-IV-Empfänger gilt als arbeitslos
In NRW gibt es 1,13 Millionen erwerbsfähige Hartz-IV-Empfänger, von denen aber nur 435.000 auch offiziell als arbeitslos geführt werden. Aus der Statistik heraus fallen Erwerbsfähige, die keine Arbeit suchen, etwa weil sie Kinder erziehen, Ältere (58er Regelung), Kranke, Aufstocker und alle, die in Maßnahmen stecken.
Wenn es darum geht, die Bereitschaft der Arbeitslosen zu messen, Angebote anzunehmen, gibt die Quote der arbeitslosen, sanktionierten Leistungsempfänger das realistischere Bild, weil sie regelmäßig einbestellt werden, aus der größeren Gruppe dagegen nicht alle. Die Jobcenter nennen meist die andere, kleinere Quote.
Duisburg gehört mit 4,8 Prozent sanktionierten Hartz-IV-Empfängern zu den strengeren Jobcentern. Vor allem aber kürzt es im Durchschnitt 118 Euro und damit so drastisch wie kein anderes Jobcenter im Ruhrgebiet. Essen etwa streicht den Arbeitslosen im Schnitt nur 68 Euro.
„Die Bürger müssen sich darauf verlassen können, überall gleich behandelt zu werden“, sagt Carsten Ohm vom Sozialverband VdK in NRW. Weil es sich um Ermessensentscheidungen handle, seien gewisse Spannen normal. „Besorgniserregend wird es aber, wenn die Spanne zu groß ist. Das muss erklärt werden – und wo es nicht erklärt werden kann, muss es verhindert werden“, fordert der VdK-Experte für Sozialpolitik.
Die Jobcenter hätten keinen Ermessensspielraum, widerspricht Torsten Withake, Geschäftsführer Arbeitsmarktmanagement bei der BA in NRW. Aber die Faktoren seien in jedem Jobcenterbezirk zum Teil sehr unterschiedlich. „Wir tun Vieles, um das Eintreten von Sanktionen zu vermeiden“, sagt Withake. Das Sozialgesetzbuch sei aber keine Einbahnstraße. „Jobcenter brauchen auch eine Handhabe, wenn sich Einzelne entziehen.“ Er betont zudem, dass „in allen Jobcentern nur ein kleiner Teil der Leistungsempfänger von Sanktionen betroffen ist“.
„Die Bürger müssen überall gleich behandelt werden“
Insgesamt war die Sanktionierung in NRW leicht rückläufig – 2018 wurden landesweit knapp 99.000 Leistungsbeziehern mindestens einmal der Regelsatz oder die Wohnkostenübernahme gekürzt. Viele verstießen im Jahresverlauf mehrfach gegen die Regeln, insgesamt wurden 211.000 Sanktionen verhängt.
- Mit Abstand häufigster Grund ist das Versäumen von Terminen – fast acht von zehn Verstößen (77 Prozent) sind so genannte Meldeversäumnisse. Wer nicht zum Termin erscheint oder einen Brief nicht fristgerecht beantwortet, dem wird die Grundsicherung um zehn Prozent gekürzt.
Der Sozialverband VdK sieht die Kürzungen insgesamt kritisch. „Es gibt bis heute keinen Nachweis, ob Sanktionen überhaupt eine Wirkung haben, also Menschen schneller aktivieren“, sagt Sozialexperte Ohm. Komplettstreichungen lehnt er strikt ab. Er sieht gar einen Zusammenhang mit der steigenden Zahl von Menschen, die in NRW keine eigene Bleibe mehr haben. Die Zahl der Wohnungslosen stieg 2018 landesweit um fast ein Drittel auf 32.300. „Die Tendenz, die Leistungen häufiger auch auf Null zu senken, könnte ein Grund dafür sein“, sagt Ohm.
Harald Thomé vom Erwerbslosenverein Tacheles kritisiert eine „unterschiedliche Geschäftspolitik der einzelnen Jobcenter“. Der eine Geschäftsführer predige Härte, der andere zweifle eher an der Wirkung der Sanktionen. Er wisse von Arbeitslosen, die aus Ärger über die Härte ihres Jobcenters oder mangelnde Förderung umgezogen seien, sagte er dieser Redaktion.
„Wir setzen nur um, was der Gesetzgeber vorsieht“, wehrt sich das Jobcenter Duisburg. Auch aus Herne ist zu hören, die Mitarbeiter hätten keine Spielräume. In beiden Städten, in denen häufiger und härter sanktioniert wird, können sich die Jobcenter nach eigenen Aussagen nicht erklären, warum andernorts seltener bestraft wird.
Die Jobcenter in Duisburg und Herne wehren sich
Rückendeckung erhalten sie von der BA in NRW: „Ein Ermessen für die Jobcenter zur Festlegung von Sanktionen besteht laut Gesetz grundsätzlich nicht“, heißt es aus Düsseldorf. Allerdings klingen die Zwischentöne in den Antworten der Jobcenter durchaus nicht immer gleich. So hieß es aus dem Jobcenter Mettmann, das auch für Velbert zuständig ist: „Wir gehen mit dem Instrument ganz ganz behutsam um.“
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Die bei weitem am stärksten betroffene Gruppe sind die jungen Arbeitslosen: Von den Unter-25-Jährigen erhält landesweit permanent etwa jeder Zehnte eine gekürzte Leistung. Im Ruhrgebiet geht auch mit den Jugendlichen das Jobcenter Duisburg am härtesten vor – und hat zuletzt knapp 14 Prozent der Unter-25-Jährigen die Leistung gekürzt, Gelsenkirchen dagegen nur knapp sechs Prozent. Die SPD will die schärferen Sanktionen gegen Jugendliche abschaffen, insbesondere keine sofortige Komplettstreichung mehr zulassen. Gleiche Regeln für alle Altersgruppen fordern auch der Städtetag und die BA in NRW selbst.
Das könnte der Bundesregierung womöglich ohnehin bald aus Karlsruhe verboten werden. Ob der Staat die selbst als Existenzminimum festgelegte Leistung überhaupt kürzen darf, prüft seit Januar das Bundesverfassungsgericht. Zumindest die vollständige Streichung jeglicher Unterstützung gilt auch unter Staatsrechtlern als fragwürdig.
>>> Frauen werden seltener sanktioniert
Frauen (2,7 Prozent) werden der Statistik zufolge landesweit nur halb so oft wegen Versäumnissen bestraft wie Männer (5,0 Prozent).
Auch ausländische Arbeitslose (3,1 Prozent) verstoßen laut den BA-Daten eher selten gegen die Pflichten der deutschen Grundsicherung. Der landesweite Schnitt liegt bei 3,9 Prozent.