Essen. . Arbeitgeber können Stellen kaum noch besetzen. Ob Ausbildung und Einwanderungsgesetz helfen? In diesen Berufen ist der Arbeitsmarkt leergefegt.
Der Fachkräftemangel hat sich seit vielen Jahren angebahnt, wurde oft angezweifelt – jetzt ist er da: Acht Monate dauert es, bis ein Bahnunternehmen einen Lokführer findet. Knapp ein halbes Jahr sucht ein Sanitärbetrieb nach einem neuen Installateur, ebenso lange muss die Software-Schmiede darben, bis sie eine ausgeschriebene Programmierer-Stelle besetzen kann. Das geht aus der jüngsten Engpass-Analyse der Bundesagentur für Arbeit in NRW hervor (Tabelle).
Als Folge wird der Kampf um die Köpfe immer härter, klagen Handwerksbetriebe über Abwerbungen ihrer teuer ausgebildeten Meister durch die Industrie, werfen sich Konkurrenten böse Fouls vor. So klagte unlängst die Deutsche Bahn über gezieltes Abwerben ihrer Lokführer durch den Regionalbahn-Konkurrenten National Express. Die Briten entgegneten, umgekehrt würden Spediteure mit Geldprämien versuchen, Lokführer in den Lkw zu bekommen.
Handwerker beklagen Abwerbungen mit Prämien
Hoch dotierte Lockangebote beklagt auch Michael Rawe, Obermeister der Fachinnung Sanitär-Heizung-Klima-Klempnerei im Kreis Recklinghausen. Er beobachte immer öfter, dass vor allem große Wohnungs- und Energieunternehmen, die selbst nicht in diesem Handwerksberuf ausbildeten, die Fachkräfte der kleinen Betriebe abwerben würden, teils direkt aus der Meisterschule heraus. „Der Wind wird rauer“, sagt Rawe.
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Denn obwohl es in NRW und gerade im Ruhrgebiet noch immer viele Arbeitslose gibt, fehlen mittlerweile Zehntausende Handwerker, Pflegekräfte und Ingenieure. Es ist nur ein scheinbarer Widerspruch: In vielen Berufen streiten nach wie vor Dutzende Arbeitslose um eine freie Stelle, in einigen hat sich die Lage aber glatt umgedreht. Tiefbauunternehmen etwa können längst nicht alle Aufträge annehmen, und wenn es kein Notfall ist, kann man lange auf den Heizungsmann oder den Elektriker warten.
Das kostet die Unternehmen Umsätze und die Wirtschaft Wachstum. Arbeitsexperten und Wirtschaftsverbände werben daher seit Jahren für ein modernes Einwanderungsgesetz. Die Bundesregierung hat es inzwischen auf den Weg gebracht, ab 2020 wird Fachkräften aus Ländern außerhalb der EU die Einreise erleichtert. Dazu erhalten Flüchtlinge, die seit 18 Monaten einen Vollzeitjob haben, eine Duldung für 30 Monate. Weil die Hürden auch für Fachkräfte aus Drittstaaten aber im Vergleich mit anderen Ländern relativ hoch bleiben, sehen viele Experten darin noch keinen Durchbruch. Die NRW-Landesregierung will deshalb in diesem Jahr ein eigenes Einwanderungsgesetz mit niedrigeren Hürden in den Bundesrat einbringen.
Bis 2030 gehen in NRW 1,3 Millionen in Rente
Umso mehr Gewicht erhält die Aufforderung von Verbänden und Arbeitsagenturen an die Betriebe, wirklich jedem Jugendlichen eine Ausbildungs-Chance zu geben. Zuletzt blieben gleichwohl Jahr für Jahr mehr Ausbildungsplätze unbesetzt, was 2018 in dem Negativrekord von fast 10.000 vergebens angebotenen Lehrstellen in NRW gipfelte.
Gleichzeitig öffnet sich die Demografiefalle bis 2030 immer weiter: In NRW werden in den kommenden zehn Jahren rund 1,3 Millionen Beschäftigte in Rente gehen. Weil der Nachwuchs schon heute knapp ist, wird die Wirtschaft diese Lücke aus eigener Kraft kaum schließen können.
Einige Branchen stecken bereits mittendrin. „Die Suche wird immer schwieriger. Wir bilden schon über Bedarf aus, aber wenn eine etablierte Fachkraft ausfällt, ist sie kaum gleichwertig ersetzbar“, sagt Obermeister Michael Rawe, Chef des gleichnamigen Sanitär-, und Heizungsbauers in Recklinghausen.
Auch große Unternehmen wie der Essener Industrieanlagen- und Kesselbauer Oschatz sind vom Fachkräftemangel bereits „definitiv betroffen“, wie Geschäftsführer Werner Töpfl sagt. „Gerade bei Spezialisten etwa in der Elektro-, Mess-, Regel- oder Verfahrenstechnik scheint schlichtweg kein Markt zu existieren im Moment.“
Oschatz setzt auf ein Frühwarnsystem der Fachabteilungen und verstärkte interne Ausbildung. „Dies bedeutet, dass wir vermehrt Jung-Ingenieure aufnehmen und diese dann selbst langsam an eine höherwertige Aufgabe heranführen“, so Töpfl. Um als Arbeitgeber attraktiver zu werden, beteilige man seine Mitarbeiter am Unternehmenserfolg und biete flexible Arbeitszeiten, Home-Office und Gleitzeittage an.
Bahn castet jetzt auch in den Zügen Nachwuchs
Das wachsende Transportgewerbe und auch die Bahnunternehmen stoßen seit Jahren an ihre Grenzen, wenn es darum geht, Personal zu rekrutieren. Es fehlen Kraftfahrer und Fahrpersonal für die Schiene. Auf dem freien Arbeitsmarkt sei es „schwierig, einen Lokführer zu finden“, bestätigt eine Sprecherin der Bahn in NRW. Deshalb bilde die Bahn auch über Bedarf aus.
Gleichzeitig hat der Staatskonzern die Hürden für Bewerber gesenkt, etwa das Anschreiben bei Bewerbungen abgeschafft. „Die Erfahrungen zeigen, dass das Bewerbungsschreiben eine der größten Hürden für den Bewerber ist und gleichzeitig wenig aussagekräftig: Lebenslauf und Vorstellungsgespräch sind besser geeignet, Kompetenzen und Motivation der Bewerber festzustellen“, sagt die Bahn-Sprecherin. Zudem setze die DB auf offene Castings, etwa in Zügen und Bahnhöfen.