Frankfurt/Main. Aus Furcht vor einer Deflation tut die Europäische Zentralbank alles, um endlich die Investitonen anzukurbeln - und setzt dabei auf Zinsen, die vom menschlichen Auge kaum noch wahrzunehmen sind. Am Donnerstag senkten die Frankfurter den Leitzins für den Euroraum weiter auf 0,05 Prozent.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Leitzins im Euroraum überraschend auf das neue Rekordtief von 0,05 Prozent gesenkt. Das beschloss der EZB-Rat am Donnerstag, wie die Notenbank in Frankfurt mitteilte. Zudem müssen Banken künftig einen noch höheren Strafzins von nun 0,2 Prozent bezahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken, statt es in Form von Krediten an Unternehmen weiterzureichen. Der Dax stieg auf ein Tageshoch. Der Eurokurs sank auf den tiefsten Stand seit Juli 2013.

Damit reagieren die Währungshüter auf die schwache Konjunktur im Euroraum - und auf die sehr niedrige Inflation, die im August auf 0,3 Prozent gefallen ist - den niedrigsten Stand seit Oktober 2009. Der Wert liegt seit Monaten deutlich unterhalb der Zielmarke der EZB von knapp unter zwei Prozent. Seit Monaten steht die Sorge im Raum, dass daraus eine gefährliche Deflationsspirale aus Preisverfall und schrumpfender Wirtschaftsleistung entstehen kann. Unternehmen und Verbraucher könnten dann Investitionen und Anschaffungen in der Erwartung weiter sinkender Preise hinauszögern. Das würde die ohnehin fragile Konjunkturerholung in Europa abwürgen.

Die Russland-Krise gab den Rest

Der Konjunkturpessimismus ist auch infolge der Russland-Ukraine-Krise gewachsen. Schon im Frühjahr hatte die Wirtschaftsleistung der Länder in der Eurozone stagniert. Niedrige Zinsen verbilligen tendenziell Kredite und Investitionen und kurbeln so die Wirtschaft an. Das stärkt den Preisauftrieb.

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Die meisten Volkswirte hatten vorerst keine weiteren Gegenmaßnahmen der EZB erwartet. Denn noch im September startet ein neues Kreditangebot für Banken. Dies soll die Kreditvergabe ankurbeln und gemeinsam mit den Zinsschritten vom Juni die Konjunktur in Schwung bringen. Dann würden auch die Preise wieder kräftiger steigen.

EZB und Fed werden auseinanderdriften

Allerdings hatte EZB-Präsident Mario Draghi zuletzt beim Notenbanker-Treffen im amerikanischen Jackson Hole vor sinkenden Inflationserwartungen gewarnt. In seiner viel beachteten Rede machte er deutlich dass der EZB-Rat die Inflationserwartungen sehr genau beobachten und notfalls innerhalb seines Mandats alle verfügbaren Instrumente nutzen werde, um die Preisstabilität mittelfristig zu garantieren. Im Gespräch ist der Kauf von Kreditverbriefungen (ABS-Papiere). Auch breit angelegte Anleihenkäufe (QE) sind nach Meinung vieler Ökonomen wieder wahrscheinlicher geworden.

Experten sind überzeugt, dass sich die Geldpolitik der EZB in den kommenden Monaten immer weiter von der ihrer US-Kollegen der Fed entfernen wird. Denn die US-Wirtschaft läuft wieder runder, so dass die Fed den Ausstieg aus ihrer extrem lockeren Geldpolitik einläuten konnte. Auch eine Zinswende deutet sich bereits an. Hingegen bleibt neben der EZB auch die Bank von Japan auf Krisenkurs. Sie kauft unvermindert weiter Wertpapiere zur Stützung der Wirtschaft, wie die Währungshüter am Donnerstag einstimmig in Tokio beschlossen. (dpa)